20 Jahre Streit um 2 Sekunden Musik
Ist Sampling Kunst oder Klau? Eine hängige Klage der deutschen Gruppe Kraftwerk bringt die Gerichte in Entscheidungsnöte.

Der Streit zieht sich seit über zwanzig Jahren hin, die Reihenfolge geht so: 1997 hatte der Frankfurter Hip-Hop-Produzent Moses Pelham für das Stück «Nur mir» der Rapperin Sabrina Setlur ein Stück Musik eingeschlauft, das er von der Düsseldorfer Gruppe Kraftwerk übernommen hatte. Und zwar ohne Erlaubnis oder Entgelt. Anfang der Nullerjahre klagte Ralf Hütter von Kraftwerk Pelham wegen Verletzung des Copyrights an. Das Sample dauert zwar nur 2 Sekunden, grundiert aber den ganzen Song.
Im Sommer gab der Europäische Gerichtshof in dritter Instanz Kraftwerk prinzipiell recht. Der EU-Entscheid für die Künstler und gegen den Kopisten war rechtlich nicht bindend, hatte aber Signalcharakter. Der Fall ging zurück an den deutschen Bundesgerichtshof.
Wie komplex dieser Prinzipienstreit ausgeartet ist, zeigt schon der Umstand, dass in Karlsruhe zwar wieder beraten wurde, das Urteil aber erst in Wochen oder gar Monaten zu erwarten ist. So sehr hat sich laut Fachleuten die Rechtslage kompliziert, so tiefgreifend wird sie sich auf die Aneignung fremder Kunst auswirken. Denn der Entscheid, egal wie er ausfällt, rührt an das Werkverständnis schlechthin.
Wer Fremdes ohne kreative Weiterverarbeitung übernimmt, soll dafür zahlen. Wer es nicht tut, wird zum Dieb.
Wie lange kann man von einer kreativen Weiterverwendung reden, ab wann liegt ein Diebstahl des geistigen Eigentums vor? Der Europäische Gerichtshof hatte einen Kompromiss vorgeschlagen: Künstler dürfen ein fremdes Sample verwenden, wenn sie es so stark verändern, dass man das Original nicht mehr heraushört. Liegt aber nicht gerade darin der Reiz eines Samples: dass es vom Wiedererkennungseffekt profitiert?
Kraftwerk kennen sich bei solchen Streitigkeiten aus. Schon 1982, auf seinem für Rap und Hip-Hop wegweisenden Stück «Planet Rock», hatte sich der afroamerikanische Musiker Afrika Bambaata extensiv bei den «funky Germans» bedient, wie er Kraftwerk anerkennend nannte. Ihr metronomisch elektrischer Beat auf dem Stück «Trans Europa Express», damals unerhört, liess sich ideal für das Wiederholen von Rhythmus-Tracks verwenden, welche die DJs in der New Yorker Bronx mit zwei Plattenspielern erzeugten, um einen Song endlos tanzbar zu machen.
Die Musiker von Kraftwerk verlangten daraufhin einen Dollar pro verkaufter Single – und bekamen ihn auch. Auch wenn es schwierig ist, die introvertierten Deutschen zu kontaktieren, sagen sie bei Sampling-Anfragen in der Regel zu. Gegen Rechnung, wie es sich gehört.
Der Streit um die künstlerische Leistung einer Übernahme geht weit über die Musik hinaus. Sollte der Entscheid am Ende wieder zugunsten von Kraftwerk ausgehen und ihnen das Recht auf das Copyright zusichern: Müsste man heute die Ausstellung von Andy Warhols «Campbell Tomato Soup Box» verbieten? Wie ist es mit uneingestandenen Zitaten in der Literatur? Mit Collagen aus Fremdmaterial in der Malerei oder im Film?
Es ist ja nicht mehr so, dass beim Sampling nur gewildert wird. Für jeden wie immer unverkennbaren Schrei von James Brown und all die anderen fremden Reize müssen die Kopisten zahlen. Auch deshalb wünscht man sich, dass Kraftwerk am Ende der jahrzehntelangen Prozesskaskade recht bekommen. Wer Fremdes ohne kreative Weiterverarbeitung übernimmt, soll dafür zahlen. Wer es nicht tut, wird zum Dieb.
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