51 Monate Haft für Jörg Kachelmann?
Die Anklage fordert für den Wettermoderator eine lange Haftstrafe, gewährt ihm aber «Medienrabatt».
Von Thomas Knellwolf,Mannheim Was hat eine Stadtneurotikerin namens Paprika mit dem Fall Kachelmann zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft Paprika, eine Romanheldin, als Überraschung für ihr gestriges Plädoyer aufgespart. Die Stadtneurotikerin ist die Icherzählerin des Buchs «Ruf! Mich! An!». Die Anklagebehörde vermutet, dass Jörg Kachelmann auf diese literarische Vorlage zurückgriff, als er sich das einzige Mal zum Vergewaltigungsvorwurf gegen ihn äusserte. Die harmlose Darstellung seiner letzten Begegnung mit Sabine W. (Name geändert) ausserhalb des Gerichtssaals ähnelt tatsächlich einer Stelle im Werk der ostdeutschen Journalistin und Ex-Wettermoderatorin Else Buschheuer. Darin geht es um «tabulosen Sex» mit einem Unbekannten. Mitgearbeitet haben soll am «Roman für Grossstädter» auch Jörg Kachelmann, der auf dem Umschlag zitiert wird. Die Anklagebehörde will mit dem Beispiel verdeutlichen, dass der Wettermoderator die Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010 weniger glaubwürdig darstellt als die Radiomoderatorin, die ihn angezeigt hat. Auch der letzte Chat zwischen der Ex-Geliebten und dem Angeklagten deutet für Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge darauf hin, dass dem so ist: Zuerst sei, wie besprochen, die «vorgekochte» Pasta gegessen worden, ehe es zum folgenschweren Streit gekommen sei. Die Chat-Sequenz, die unvollständig zitiert wurde, ist allerdings nicht eindeutig: Der Angeklagte regte darin an, zuerst die «Hauptaufgabe», gemeint ist Geschlechtsverkehr, zu erledigen. Gegen einen solchen Ablauf spricht aber laut der Staatsanwaltschaft, dass das nicht explizit so verabredet war – was ungewohnt gewesen wäre. Der Doppelschock Sabine W. schildere den Streit zwischen ihr und Jörg Kachelmann – so habe die Aussagepsychologin Luise Greuel gefunden – mit «hohem Erlebnisbezug». Die vielen Lücken in ihrer Erzählung liessen sich mit einer Art doppeltem Schock erklären. Schock 1: Zuerst habe der angeblich so treue Jörg Kachelmann weitere Liebschaften eingestanden. Schock 2: Dann habe er eine Todesdrohung ausgestossen. Deshalb könne Sabine W. nicht schildern, wie die Tat genau abgelaufen sei. Mehrere Rechtsmediziner haben Zweifel daran, dass die Verletzungen so entstanden sind, wie Sabine W. es – dürftig – darstellte. Die Staatsanwaltschaft weist aber darauf hin, dass keiner der Sachverständigen dies ganz ausgeschlossen habe. Ein entscheidender Punkt scheint für die Anklagebehörde der Tampon zu sein, den die Spurensicherung im Abfalleimer sicherstellte. Daran fand sich ein DNA-Muster, das dem Erbgut Jörg Kachelmanns entspricht. Der Beschuldigte hatte zuerst gesagt, er habe keinen Tampon berührt.Der Angeklagte offenbare zudem, findet die Staatsanwaltschaft, ein verstörendes «Nachtatverhalten». Nicht bekannt war bislang, dass Kachelmann beinahe alle seine SMS aus der Zeit von Mitte Januar 2010 bis Mitte Februar 2010 gelöscht haben soll. In den fehlenden Nachrichten sehen die Staatsanwälte einen «Versuch des Angeklagten, gezielt Spuren zu beseitigen» – was bedeutsam sei wegen zweier Vorfälle: Am 17. Januar 2010 soll eine Zürcher Zeugin eine für sie unangenehme Begegnung mit Kachelmann gehabt haben. Drei Wochen später soll sich die angeklagte Tat ereignet haben. In Zürich war es laut Lars-Torben Oltrogge zu einem «Überschreiten von Grenzen ohne Absprache» gekommen – angeblich nicht zum ersten Mal. Mehrere Ex-Geliebte hätten von ähnlichen Vorfällen berichtet. Minimum wäre fünf Jahre Die Staatsanwaltschaft hat «keine Zweifel», dass sich Kachelmann schuldig gemacht hat. Weil er aber durch die intensive Medienberichterstattung sein Privatleben eingebüsst habe und seinen Beruf nicht mehr ausüben könne, will sie ihm einen «Rabatt» gewähren. Statt der Mindeststrafe bei schwerer Vergewaltigung von fünf Jahren hält sie vier Jahre und drei Monate für angemessen. Am Dienstag wird die Verteidigung darlegen, warum sie einen Freispruch fordert. Staatsanwälte Lars-Torben Oltrogge (l.) und Oskar Gattner. Foto: Reuters
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