Abschied von der grossen Liebe
Nach 40 Jahren trennen sich die Wege von Etienne Jornod und der Berner Galenica. Der Romand, der seinen Erfolg gerne am Börsenkurs misst, setzt seine Karriere nun in Zürich fort.

Wie verlässt man ein Unternehmen, für das man fast 40 Jahre lang gearbeitet hat? «Ich habe meine Firmenkreditkarte zerschnitten, meine Schlüssel der Personalchefin abgegeben, den Leuten ciao gesagt – und weg», erzählt Etienne Jornod. «Seither bin ich nie mehr dort gewesen. Das ist für mich der einzige Weg, um mit dieser sehr emotionalen Trennung umgehen zu können.»
Es war der 7. April, an dem Jornod die Kontrolle über das Unternehmen verloren hat, das er so liebte. An diesem Tag brachte der Galenica-Konzern sein früheres Kerngeschäft unter dem Namen Galenica Santé an die Börse. Zum abgespaltenen Unternehmen gehören die Apothekenketten Amavita, Sun Store und Coop Vitality, der Medikamentengrosshandel sowie Schweizer Traditionsmarken wie Algifor, Merfen und Perskindol.
Jornod bleibt Verwaltungsratspräsident der Rest-Galenica, die jetzt nur noch aus Vifor Pharma besteht. Das Unternehmen stellt Eisenmedikamente und andere Präparate her, mit denen auf dem Weltmarkt dereinst Milliarden umgesetzt werden könnten. Um das Wachstum zu finanzieren, wurde das gesamte alte Galenica-Geschäft verkauft.
Heute Nachmittag wird der Schlussstrich unter die Trennung gezogen: Die Galenica AG wird sich an ihrer Generalversammlung im Berner Casino in Vifor Pharma AG umbenennen und ihren Sitz von Bern nach St. Gallen verlegen (wobei die operative Zentrale in Glattbrugg bei Zürich steht).
«Ich schlafe nur wenige Stunden»
Seit 1995 hat Etienne Jornod die Galenica geführt. Die meiste Zeit davon im Doppelmandat als Präsident und Konzernchef, seit sechs Jahren als «exekutiver Verwaltungsratspräsident». Anfänglich sah es danach aus, als würde Jornod so etwas kürzertreten. Doch weiterhin liefen alle Fäden bei ihm zusammen, er arbeitete immer noch «Tag und Nacht», wie er selber sagt. «Ich schlafe nur wenige Stunden.» Wie zum Beweis dafür hat Jornod die Anfrage für dieses Gespräch um 5.27 Uhr beantwortet – an einem Sonntagmorgen.
Jornod wuchs in Neuenburg als Sohn eines Arztes und ältestes von sechs Kindern auf. Er war ein schlechter Schüler, litt unter Legasthenie. In Biel machte er eine Lehre als Drogist. 1975 heuerte er am Galenica-Hauptsitz in Bern-Bethlehem an. Er verliess das Unternehmen für ein BWL-Studium an der Uni Lausanne und kehrte anschliessend gleich nach Bern zurück. Dann arbeitete er sich die Karriereleiter hoch.
Jornod erzählt, einige Apotheker hätten ihn als «Verräter» bezeichnet.
Die Galenica war damals fest in der Hand von Apothekern. Das Unternehmen belieferte sie, und nur sie, mit Medikamenten. Kaum Präsident geworden, versuchte Jornod ab 1996, die Besitzer von einem Strategiewechsel zu überzeugen. «Ich sagte ihnen: ‹Wenn wir alles so beibehalten, sind wir bald weg vom Fenster.›» An einer ausserordentlichen Generalversammlung im Dezember 1999 präsentierte Jornod den Apothekern die entscheidenden Statutenänderungen. «Das war der wichtigste Moment in meinem Leben als Chef, meine grösste Leistung.» Nach fünf Stunden Diskussion stimmten die anfänglich skeptischen Aktionäre mit 76 Prozent zu.
Jornod konnte mit dem Umbau der Galenica beginnen. Neu wurden auch Drogerien, Ärzte und Spitäler mit Medikamenten beliefert. Das Unternehmen baute im bernischen Niederbipp ein gigantisches, automatisiertes Distributionszentrum. Die Galenica ist zur unangefochtenen Marktführerin geworden. Gleichzeitig hat sie eigene Apothekenketten aufgebaut. Jornod erzählt, einige Apotheker hätten ihn als «Verräter» bezeichnet, weil die Galenica sie nun konkurrenzierte.
Ein angetäuschter Rücktritt
Doch der Börsenkurs der Galenica-Aktie gebe ihm recht, findet Jornod. Er lässt sich gerne am Aktienkurs messen und sieht dabei nichts Anrüchiges. Am Rande von Pressekonferenzen zückt er auch mal sein Smartphone und zeigt den Journalisten stolz die Kursbewegung. Auch eine langfristige Kursgrafik zeigt Jornod gerne: Seit 1995 haben die Galenica-Titel fast 3000 Prozent an Wert zugelegt. Das vor allem dank den Eisenmedikamenten, deren Entwicklung Jornod forciert hat.
Der künftige Kurs der Vifor-Aktie hat einen ganz direkten Einfluss auf sein Vermögen. Denn seit 2011 lässt sich Jornod grossmehrheitlich in Aktien bezahlen, die während fünf Jahren gesperrt bleiben. Seinen Lohn von gut 4 Millionen Franken kann man durchaus als unbescheiden bezeichnen. Doch das simple Anreizmodell, das er sich mit dieser Art der Bezahlung gesetzt hat, ist transparenter und vielleicht wirkungsvoller als viele Vergütungskonstrukte anderer Konzerne.
Mit seinem welschen Schweizerdeutsch und seiner gewinnenden Art lässt Jornod seine Gesprächspartner gerne vergessen, dass sie es mit einem Alphatier zu tun haben. Als er sich im Vorfeld der Aufspaltung mit dem Grossaktionär Sprint Investments nicht über die Fortsetzung der strategischen Partnerschaft einigen konnte, kündigte Jornod im Dezember 2015 seinen Rücktritt an. Er wolle sich nach der Aufspaltung aus beiden Firmen – Galenica Santé und Vifor – zurückziehen, sagte er damals.
Doch heute ist klar: Das hatte Jornod nie wirklich im Sinn. Mit der Rücktrittsankündigung verunsicherte er bewusst die Aktionäre, was wiederum den Grossaktionär zum Handeln brachte. Sprint Investments – bestehend aus dem Apothekeninvestor Stefano Pessina und der US-Beteiligungsgesellschaft KKR – verkaufte seine 25-Prozent-Beteiligung. Jornod gewann das Powerplay und gab bald darauf bekannt, Vifor doch weiterhin führen zu wollen.
Der Umbau der NZZ
Auch als «exekutiver Verwaltungsratspräsident» von Vifor will Jornod sein Lohnmodell mit den gesperrten Aktien beibehalten. Sein Vertrag läuft bis 2020, doch es ist gut möglich, dass der 64-Jährige auch noch zehn Jahre Präsident des Unternehmens bleibt. Zu tun gibt es genug: Jornod wird den Aktionären an der heutigen Generalversammlung das Bild eines Schlosses zeigen. So solle Vifor einmal aussehen. Doch dafür muss das Pharmaunternehmen weitere Medikamente auf den Markt bringen und womöglich weitere Firmen übernehmen oder Joint-Ventures abschliessen.
Neben Vifor will Etienne Jornod künftig noch ein einziges anderes Mandat innehaben – ein nicht unbedeutendes: Seit 2013 ist er Verwaltungsratspräsident der NZZ Mediengruppe. Jornod ist stolz darauf, es als Romand auf einen der prestigeträchtigsten Posten in Zürcher Wirtschaftskreisen geschafft zu haben.
Wie er einst die Apotheker von einem neuen Geschäftsmodell überzeugte, will er nun die Zürcher überzeugen, dass die NZZ zum digitalen Medienhaus umgebaut werden muss, um fit für die Medienwelt der Zukunft zu sein. «Ein Posten, wo ich die Rentabilität um 0,2 Prozent steigern kann, interessiert mich nicht. Ich will Probleme lösen», sagt Jornod. Eine Strategie festlegen und die Firmeninhaber davon überzeugen, das liebt er. Er erklärt seine Strategien vor Mitarbeitern, Investorinnen, Analysten, Journalistinnen oder vor Vortragspublikum – und versprüht dabei eine fast mitreissende Leidenschaft.
Aber hat man nicht einmal genug gearbeitet? «Das ist mein Leben», sagt Jornod, «meine Familie kennt mich nicht anders.» Jornod wohnt mit seiner zweiten Ehefrau und den beiden gemeinsamen Töchtern in Muri bei Bern. Seine Frau war früher Personalchefin der Galenica und kennt das Unternehmen deshalb gut. «Wir haben zu Hause jeden Tag von der Galenica gesprochen», sagt Jornod. Dass er von der abgespaltenen Galenica Santé nun das Amt des Ehrenpräsidenten erhält, bezeichnet Jornod als «eine Anerkennung für meine Familie». Und obwohl er nie wieder einen Fuss in die Galenica-Santé-Zentrale in Bern-Bethlehem setzen will, hilft das symbolische Amt dem langjährigen Patron bei diesem «unglaublich schwierigen» Abschied.
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