Abschiedstränen für das ETH-Regenradar
Die Kugel auf dem Physikturm der ETH Hönggerberg ist eine Landmarke – und für viele eine beliebte Informationsquelle bei Regen und Gewittern. Jetzt verschwindet das Wetterradar.
3. Juli 2008: Auf allen Kanälen wird vor heftigen Gewittern gewarnt. Im Mittelpunkt des Interesses steht eine 3,7 Meter grosse Kugel auf dem Hönggerberg. 147'303 Personen klickten während des Sturms auf www.metradar.ch. Wenn es blitzt und wie aus Kübeln giesst, ist diese Seite beliebter als die Newsseiten der grossen Schweizer Tageszeitungen. Das Wetterradar gibt gratis, aktuell und präzise Auskunft, wo es wie stark regnet – im Raum Zürich sogar quartiergenau. Grün ist trocken, hellblau bedeutet Nieselregen, rot starker Regen, und bei Gelb gibts oft Hagel oder Überschwemmungen.
Doch die geliebte Kristallkugel der vielen Hobby-Regenwahrsager verschwindet im Oktober. Auf dem Dach des Physikgebäudes baut die ETH ein Gasthaus für Professoren und Studenten sowie ein öffentliches Restaurant. Für den Atmosphärenphysiker Willi Schmid (59), der das Wetterradar betreibt, geht ein Kapitel zu Ende. Und für das bald 30-jährige Radargerät wohl ebenfalls. Schmid würde die Kugel samt Elektronik zwar zum symbolischen Preis von einem Franken verkaufen – Interessenten in der Schweiz gibts aber kaum. Denn das Radar muss auf einem Punkt stehen mit freier Sicht weit herum.
Das Radar wurde Anfang der Achtzigerjahre von einem privaten Unternehmer am Genfersee zur Bekämpfung von Hagelschlägen gekauft. Die Firma ging pleite, und die ETH Zürich kaufte 1983 die ganze Ausrüstung aus der Konkursmasse für 50'000 Franken. Physiker Schmid, damals noch ETH-Assistent, war zuständig für den Betrieb. Internet gab es noch nicht, das Radar diente fast ausschliesslich der Forschung.
Ende der 90er-Jahre änderte die ETH ihre Prioritäten – das Wetterradar gehörte nicht mehr dazu. Willi Schmid, mit Herz und Seele der Vorhersage von kurzfristigen Wetterereignissen verschrieben, gründete eine eigene Firma, die Metradar in Stallikon. Das Radargerät ging zu einem Kaufpreis von einem Franken an ihn über, und er kann es heute von seinem Büro in Stallikon aus betreiben.
Der Boom des Internets und die Nachfrage nach präzisen Wetterprognosen halfen Willi Schmid und seiner Zweimann-Firma. Er konkurrenziert die grossen Wetteranbieter von Jörg Kachelmann über Peter Wick bis zur staatlichen Meteo Schweiz nicht – er hat einen Nischenmarkt gefunden: präzise Kurzfristprognosen bis zu zwei Stunden vor Wetter-Ereignissen. Zu seinen Kunden zählen kantonale Tiefbauämter, Feuerwehren, Flughäfen, Freilichtveranstalter aber auch Privatpersonen wie Biker, Bauern, Tennisklubs oder Wandergruppen. Sie werden automatisch per Fax, E-Mail, SMS oder Pager gewarnt.
Eher Hobby als Geldquelle
Das Ende des ETH-Radars wird für Hunderttausende von Hobby-Meteorologen schlimmer sein als für den professionellen Atmosphärenwissenschaftler. Dieser bezieht auch Daten von Meteo Schweiz, bearbeitet sie mit seinem Kurzfrist-Vorhersagemodell und verkauft sie weiter, zum Beispiel an Jörg Kachelmann. «Ohne Radar habe ich für meine eigentliche Arbeit endlich mehr Zeit», sagt Schmid. Denn das Radar sei «fast nur Hobby», mit dem er bloss ein paar Tausend Franken an freiwilligen Spenden einnehme.
Unter der grossen Fan-Gemeinde des ETH-Radars ist das Wehklagen über das Verschwinden beträchtlich. Denn Schmids Radar ist viel aktueller als das staatliche Meteo-Schweiz-Radar auf dem Albis. Dieses ist für Gratiskunden immer mindestens 30 Minuten in Verzug. Weil Meteo Schweiz den Luftraum über der Schweiz bis 12'000 Meter Höhe analysiert, sind die bodennahen Vorhersagen zudem weniger genau. Schmid dagegen lässt seinen Radarstrahl viel flacher und langsamer über die Schweiz kreisen.
Kachelmann als Retter?
Im November ist auf dem ETH-Dach Baubeginn. Wenn das Radar keinen Abnehmer findet, wird es verschrottet. Einziger ernsthafter Interessent in der Schweiz ist Jörg Kachelmann. Im appenzellischen Gais müsste er das Radar auf einem Turm montieren. Überdies müssten Lager und Software für rund 200'000 Franken revidiert werden. Interesse haben auch eine private Gruppe in Beromünster sowie Meteodienste in USA, Kanada und Finnland. Einen Trost für Radar- und Wetterfans hat Willi Schmid: Er plant die Weiterführung seiner Webseite metradar.ch mit bearbeiteten Radarbildern von Meteo Schweiz.
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