Achtung, fremdgesteuerter Mörder im Tatort!
«Ein Tag wie jeder andere» sog den Zuschauer auf in den Zwang eines Täters. Wagner verlieh dem Rachespiel eine schauerliche Eleganz.
Langsam geschieht es. Rechtsanwalt Peters zwingt den Richter in die Mitte des Raums, die Pistole gezückt. Er wartet. Volle Stunde. Er schiesst.
Zu diesen Szenen springt die Handlung später zurück, wenn Kriminalhauptkommissar Felix Voss die Tat rekonstruiert. Fliessend sind die Zeitsprünge, ohne billig zu wirken. Dann wischt die Kamera der Spurensicherung nach, das Rot sieht schön aus, bis man merkt, dass es Blut ist. Zwischendurch Wagner, nebenbei die nächste volle Stunde, die naht. Das nächste Opfer muss aber noch einige Minuten warten, um zu sterben. Erst zur vollen Stunde.
Grauenhaft wird die Frau, bereits angeschossen, am Laborkittel durch den Gang geschleift. Sie testete Lebensmittel. Milch. Fand Dioxine. Milchbaron Koch machte, dass sie schwieg. Eine Schwangere trank die Milch. Bei der Geburt schrie sie, ihr Kind nicht. Es kam tot zur Welt. Zur vollen Stunde.
Ruhig segelt er von der Brücke
Doch Milchbaron Koch kam davon – Freispruch dank Selbstanzeige. Ein spezieller Paragraf. Und die Zeit läuft weiter. Volle Stunden gibt es viele. Peters ist noch immer flüchtig. Und der Zuschauer ist mitgefangen in seinem Zwang und der Hast, rechtzeitig zum nächsten Schauplatz der nächsten vollen Stunde zu gelangen: zum Festspielhaus in Bayreuth. Zwischendurch der verzweifelte Kessler, der sein Kind verlor. In zerlumptem Jogginganzug nähert er sich einem Geländer. Zu Wagner. Poetisch. Traurig. Ruhig segelt er von der Brücke. Überlebt. Plötzlich sitzt er im Zuschauerraum des evakuierten Festspielhauses, vernarbt, halb blind, gelähmt.
Wieder hat man nicht gemerkt, wo das Vorher und das Jetzt beginnen und aufhören. Und dort, wo man meinte, es zu wissen, und sich gerne der Illusion hingab, dass es wohl inszeniert ist, war es nicht so. Denn beim Dreh lief Wagners «Walküre» auf der Bühne tatsächlich oft gleichzeitig zum Dreh der Krimihandlung – jenen Szenen, in denen Milchbaron Koch nur knapp dem Kopfschuss durch Rechtsanwalt Peters entkommt, Letzterer gesteuert durch den rachsüchtigen Kessler im unteren Zuschauerbereich. Peters war es, der Koch mit Paragraf 44 vor einer Strafe bewahrte.
Peters war es auch, der später von Kessler erpresst wurde. Das Leben von Kesslers entführter Tochter gegen das Leben von Milchbaron Koch. Doch nun war Peters tot – erschossen von Kriminalhauptkommissarin Paula Ringelhahn, für die dieser Tag nun so gar nicht mehr jedem anderen glich –, Koch lebte und das Ermittlerteam tobte. Denn Kessler wollte reden, mit Koch. Allein. Dafür käme Peters' Tochter frei. Darf man das Leben eines Menschen gefährden, um das eines anderen zu retten? Muss man die Rechte eines Menschen schützen, den man nicht mag, der moralisch verwerflich handelt?
Die Ermittler wähnten sich in Sicherheit, als sie Koch und Kessler in einen Raum reden liessen. Doch sie machten die Rechnung ohne Kesslers Ex-Frau. Die arbeitete einen Stock obendran, vergiftete Kochs Espresso, bevor er sich zum Gespräch begab. Sie war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, unter falschem Namen, um ihr Kind zu rächen. Nur ein Plan ging nicht auf: Dass die beiden vom Schicksal gebeutelten Eltern ihrem Leben selbst ein Ende bereiten konnten. Unfair scheint das Ende deshalb, auch wenn Koch tot war. Der Nachhall von Wagners «Walküre» verleiht dem unguten Gefühl zusätzlich Nachdruck.
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