Achtung, frisch geschnitten
Zur 70-Jahre-Feier gibt es am Filmfestival in Locarno viel Neues. Stargäste sind Adrien Brody, Nastassja Kinski und – Milo Rau.

Manchmal muss man zurückblicken, um zu verstehen, was heute passiert. Zum Beispiel ins Jahr 1990, als der grosse französisch-chilenische Regisseur Raúl Ruiz einen Film drehte, der unfertig blieb und irgendwann verloren ging. Das Festival Locarno hat ihn jetzt aufgetrieben und zeigt ihn frisch geschnitten im internationalen Wettbewerb, eine Entdeckung aus der Vergangenheit neben 17 brandneuen Werken. So war das also gemeint mit der historischen Rückschau im Jubiläumsjahr? Eine Weltpremiere mit dem stattlichen Alter von 27 Jahren?
Nicht ganz, man hat zur 70. Ausgabe des Filmfestivals auch ein Spezialprogramm mit Erstlingsfilmen organisiert, die in Locarno Premiere hatten und die Karrieren von Regisseuren wie Éric Rohmer befeuerten. Und überhaupt, erklärte der künstlerische Leiter Carlo Chatrian am Mittwoch an der Pressekonferenz in Bern: Locarno, das sei eine Art Beständigkeit im Suchen, auch in Richtung Vergangenheit. Ein Festival, das überdauere, weil es nicht ruhe.
Fünf Dokumentarfilme im Wettbewerb
Da war dann bald die Rede von «Tradition und Innovation». Richtig feierlich wurde es einem da noch nicht zumute, aber das wird sich vermutlich noch ändern. Das Palacinema nämlich, der nach einigem Hin und Her fertig gebaute neue Verwaltungshauptsitz des Festivals hinter der Piazza Grande, wird anlässlich des 70. Jubiläums eröffnet. Er bietet unter anderem drei neue Kinosäle mit modernster Technik. Auch das ExRex, der Saal für die Retrospektive, wurde renoviert und heisst jetzt GranRex. Die Retro gilt übrigens dem französischen Regisseur Jacques Tourneur (1904–1977). Für Chatrian sind auch dessen alte Schauerwerke über Zombies und Tiermenschen ein zeitgemässer Ausdruck einer Beschäftigung mit Angst und Anderssein: eine weitere visionäre Kraft von früher.
Auch im internationalen Wettbewerb sei das Genrekino prominent vertreten, sagte Chatrian am Medienanlass, an dem das Programm vorgestellt wurde. Ausserdem sind ganze fünf der 18 Titel Dokumentarfilme. Aus der Schweiz hat es Dominik Locher mit dem Spielfilm «Goliath» in den Wettbewerb geschafft. Der Zürcher erzählt darin von einem Mann, der sich nach Stärke sehnt, aber es mit dem Krafttraining übertreibt. Auf der Piazza Grande wird der europäische Autorenfilm, vor allem der französische, mit Unterhaltungskisten aus den USA kombiniert, darunter «Atomic Blonde» mit Charlize Theron und der Gangsterthriller «Good Time», in dem man eine neue Seite von «Twilight»-Vampir Robert Pattinson zu sehen bekommt.
Schon wieder Gotthard
Persönlich werden die beiden nicht nach Locarno reisen, dafür kommen die Schauspieler Adrien Brody (Leopard Club Award) und Mathieu Kassovitz (Excellence Award) sowie der Regisseur Jean-Marie Straub (Ehren-Leopard). Ausserdem besucht Nastassja Kinski anlässlich der Retrospektive das Festival, und der Franzose Olivier Assayas wird die Hauptjury leiten.
Ausser Konkurrenz zeigt Sabine Gisiger ferner «Willkommen in der Schweiz», ein Versuch über Migration. In der Dokumentarfilmreihe Semaine de la critique hat derweil «Das Kongo Tribunal» von Milo Rau Premiere. Vollends schweizerisch wird es dann zum Abschluss der 70. Ausgabe, die vom 2. bis 12. August dauert. Auf der Piazza Grande wird dann «Gotthard: One Life, One Soul» projiziert.
Schon letztes Jahr zeigte das Festival eine teure Fernsehproduktion über den Tunnelbau. Was hat man in Locarno bloss mit dieser Röhre? Es sind jetzt allerdings die Rockröhren der Band Gotthard, die dieser Film porträtiert. So ist es in Locarno eben: In der Kontinuität steckt immer auch der Drang zu etwas Neuem.
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