Mitreissende KlassikAchtzehn Brillanten der Weiblichkeit
Die Sopranistin Golda Schultz nahm ihre erste Lied-CD auf – mit Musik nur von Komponistinnen. Funkelnd!

Die Frau legt das Nähzeug weg, sie verlässt die Mutter, das Haus, nichts kann sie aufhalten, kein Schloss, kein Riegel, sie geht zu dem Mann, den sie liebt, für den sie die ganze Schönheit der Welt ist. Sie geht mit ihm aufs Meer hinaus, mit dem Mann, der mehr Sehnsucht, mehr eine poetische Idee als real ist. Sie ertrinkt. Schwere, dunkle Romantik, gothic, hundert Jahre alt, trübe Akkorde, sich im Vagen verlierende Klaviergirlanden.
Über diesen schwebt die Stimme, wunderschön voller Wohlklang, der im nächsten Moment an der Erzählung zerbricht, am Drama, denn nichts anderes ist dieses Lied von Rebecca Clarke. Die Sopranistin Golda Schultz hat es für ihre erste Solo-CD aufgenommen, neben 17 weiteren. Ausnahmslos Lieder, die Frauen komponiert haben.
Golda Schultz wuchs in Bophuthatswana auf, damals eine Enklave im Apartheid-Staat Südafrika, in der es keine Rassentrennung gab. Sie studierte erst Journalismus, weil sie den Leuten Fragen stellen wollte, dann bald Gesang, in Kapstadt und an der Juilliard School in New York, wurde Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper und begann eine bahnbrechende Karriere, die sie zu den Salzburger Festspielen, nach Mailand und an die Met führte.
Und immer sang sie in Stücken, «in denen sich zwei Männer um eine Frau streiten, und die ist am Schluss tot», weil das halt oft so ist in der Oper. Doch auf ihrer ersten CD wollte sie die Frauen sprechen lassen. Zwar meist mit Texten, die Männer geschrieben haben. Aber nicht vertont.
Emilie Mayer galt zu Lebzeiten als weiblicher Beethoven
Mit ihrem Pianisten Jonathan Ware ging sie auf die Suche, fragte Freunde auf Facebook. «Es kam ein Wasserfall von Namen, wir könnten leicht sieben völlig unterschiedliche Programme damit machen.» Für die CD mit dem Titel «This Be Her Verse» wählte sie dann fünf Komponistinnen aus, Clara Schumann, Emilie Mayer, die zu Lebzeiten als der weibliche Beethoven galt und heute vergessen ist, Rebecca Clarke, die gegen den Willen ihres Vaters komponierte, Nadia Boulanger mit ihrer hocheleganten, französischen Grandezza und Kathleen Tagg.
Letztere schrieb drei Lieder für Schultz, intelligente, vom Musical inspirierte und disparat gestaltete Dramen nach Texten von Lila Palmer: Eine Frau ist keine Insel, der Konfettiregen ist vorbei, das Bett ist leer. «Die Lieder erzählen, was es heisst, im 21. Jahrhundert eine Frau zu sein.»
Tritt Schultz mit diesen 18 Brillanten auf, fragen manche Veranstalter, ob sie nicht auch Schubert singen könnte, aber danach kommen Zuhörerinnen und auch Zuhörer zu ihr und bedanken sich. Die einen, weil sie eine Stimme erhielten, die anderen, weil sie etwas verstanden haben. Und wohl auch, weil sie mitgerissen wurden von einer Stimme, die scheinbar ohne Mühe alles kann, die Balsam liefert, feinste Poesie, aber auch grosse, aufwühlende Oper.
Ein «Erlkönig» ist auch dabei, nicht von Schubert, sondern von Emilie Mayer. Introspektiv, ohne den männlichen Drang, was tun zu müssen, oder der Idee, helfen zu können. Eine Atmosphäre voller Rätsel, Unsicherheit. Brillant. Alle Frauen, wohl ausser der Zeitgenossin Tagg, komponierten gegen Widerstände, weil sie nicht anders konnten. Golda Schultz kann auch nicht anders, als diese Lieder zu singen.
Golda Schultz: «This Be Her Verse» (Alpha-Classics)
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