Ägyptische Polizei schiesst scharf – mehr als 100 Tote
Viel mehr Tote als zunächst berichtet: Bei den grössten Protesten in Ägypten seit zweieinhalb Jahren sind mehr als 100 Personen getötet worden. Muslimbrüder werfen der Polizei vor, sie schiesse, «um zu töten»
In der ägyptischen Hauptstadt Kairo protestieren die Anhänger der Muslimbrüder weiterhin gegen die Armee und die Übergangsregierung. Nach Recherchen der britischen Rundfunkanstalt BBC, die sich auf Umfragen in Krankenhäusern bezieht, sind bei den neusten Protesten mehr als 100 Menschen getötet worden, rund 1500 zudem verletzt. Die ägyptische Regierung hatte Berichte über eine hohe Zahl von Toten zunächst abgestritten. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium aber eingeräumt, dass alleine in Kairo mindestens 74 Menschen getötet worden seien.
Die Demonstrationen waren die grössten in Ägypten seit dem Umsturz von vor zweieinhalb Jahren. In Alexandria, der zweitgrössten Stadt, kamen den offiziellen Angaben zufolge neun Menschen bei Zusammenstössen ums Leben.
Unterschiedliche Darstellungen
Der neuerliche Gewaltausbruch lässt die Hoffnung auf eine politische Aussöhnung am Nil in noch weitere Ferne rücken. Die Zusammenstösse in Kairo brachen unweit eines seit Wochen andauernden Sitzprotests von Anhängern Mursis nahe der Rabaah-al-Adawijah-Moschee im Morgengrauen aus.
Örtliche Bewohner hätten sich Strassenschlachten mit den Demonstranten geliefert, als diese ihren Sitzstreik auf eine nahegelegene Strasse ausweiten wollten, erklärte das Innenministerium. Daraufhin habe die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas reagiert, um die beiden Seiten auseinanderzutreiben.
Nach Angaben der Muslimbruderschaft griffen hingegen Einheiten der Bereitschaftspolizei die Menge von Demonstranten am Rande des Protestcamps in der Vorstadt Nasr City an.
Im Feldspital der Muslimbruderschaft spielten sich am Samstagmorgen nach Angaben von Reportern dramatische Szenen ab. Immer wieder wurden Tote und Schwerverletzte gebracht. Mitarbeiter der «New York Times» zählten bis zu Mittag 49 Leichen. Auffallend viele Opfer hätten Schussverletzungen an Kopf und Brust aufgewiesen.
Der Sprecher der Bruderschaft, Gehad al-Haddad, erklärte verbittert: «Sie (die Polizisten) schiessen nicht, um zu verwunden, sondern um zu töten.» Nach Angaben von Ärzten sind die meisten Opfer durch Schrotkugeln getötet worden, einige durch scharfe Schüsse.
«Trick der Muslimbruderschaft»
Der Hergang wurde unterschiedlich dargestellt. Nach Berichten von Teilnehmern zog eine Gruppe aus dem Protestlager los, um die 6.-Oktober-Brücke in der Innenstadt zu blockieren. Unmittelbar nach dem Verlassen des Lagers seien die Demonstranten von Einheiten der Polizei mit scharfer Munition beschossen worden.
Innenminister Ibrahim sagte hingegen auf einer Medienkonferenz am Samstag im Kairo: «Es war ein Trick der Muslimbruderschaft, um einen Zwischenfall zu provozieren und Sympathien für sich zu gewinnen.» Nach seinen Angaben wurden 51 Polizisten und Polzeirekruten verletzt, zwei von ihnen schwer.
Strassenschlacht in Kairo: Gegner und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi bewerfen sich gegenseitig mit Steinen. (Video: MoheetTV)
Protestlager sollen bald geräumt werden
Innenminister Ibrahim stellte eine baldige Räumung der islamistischen Protestlager – jenes in Nasr City und eines weiteren vor der Universität Kairo im Stadtteil Giza – in Aussicht. «Die Anwohner leiden darunter, und die Sit-ins blockieren vitale Verkehrswege in Kairo», erklärte er. Die Staatsanwaltschaft prüfe entsprechende Beschwerden von Anwohnern.
Am Freitag hatten in ganz Ägypten Hunderttausende für und gegen die Entmachtung Mursis demonstriert. Während die Islamisten nahezu täglich gegen den «Militärputsch», wie sie die Absetzung Mursis nennen, demonstrieren, hatte das Militär erstmals seit dem Umsturz die eigenen Unterstützer in Massen auf die Strasse gerufen.
Armeechef Abdel Fattah al-Sisi wollte sich damit offenbar «grünes Licht» geben lassen, um noch schärfer gegen die demonstrierenden Muslimbrüder vorzugehen.
AFP/AP/sda/mw
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