Ära Rajoy nach sieben Jahren zu Ende
Mit Stimmen der katalanischen Abgeordneten hat der Sozialist Sánchez Spaniens Premier Rajoy gestürzt. Dem neuen Regierungschef ist die Einheit des Landes aber ebenso wichtig wie dem alten.

Seinen letzten Abend als spanischer Ministerpräsident verbrachte Mariano Rajoy im Restaurant Arahy nahe der Puerta de Alcalá in Madrid, bekannt für gute Fischgerichte. Sieben Stunden lang machte er dort, was man «sobremesa» nennt – man bleibt bei ein paar Drinks sitzen, nachdem der Tisch abgeräumt ist. Dass nicht weit entfernt im Parlament über seine Zukunft debattiert wurde, dass sein Gegenspieler Pedro Sánchez gerade erfolgreich die Mehrheit für seinen Sturz organisierte, schien Rajoy nicht den Appetit zu verderben. Auf seinem Parlamentssitz stand nur seine Tasche. Gegen 22 Uhr verliess er das Lokal, umarmte den Kellner und liess sich zur Limousine geleiten.
Als am Freitagmittag dann die Abstimmung anstand, hatte Rajoy schon mit allem abgeschlossen: «Das Misstrauensvotum wird wahrscheinlich angenommen, was bedeutet, dass Pedro Sánchez neuer Ministerpräsident werden wird», sagte er und beglückwünschte seinen Rivalen. Kurz danach war die Ära Rajoy nach sieben Jahren beendet: 180 der 350 Abgeordneten sprachen dem Konservativen das Misstrauen aus, Sánchez' Sozialisten, Linksalternative und baskische und katalanische Abgeordnete. Der 63-Jährige ist der erste Regierungschef Spaniens, der auf diese Weise gestürzt wurde.
Sánchez wird nun Chef einer Minderheitsregierung, die sich auf nur 84 der 350 Sitze im Parlament stützt. Wie zuvor Rajoy muss er sich seine Mehrheiten jeweils zusammensuchen, eine Regierungsbeteiligung der sich eifrig anbietenden Linksalternativen von Podemos schloss er vorerst aus. Sánchez hat Neuwahlen angekündigt, liess aber offen, wann diese stattfinden sollen. Die Zukunft Rajoys und seiner Volkspartei ist völlig offen, der Partido Popular (PP) rangiert derzeit in den Umfragen noch hinter den liberalen Ciudadanos.
Die Geste, die Debatte über seine Zukunft schlichtweg zu ignorieren, sagte zum Schluss noch einmal viel aus über das Amtsverständnis des schweigsamen Galiciers, der Journalisten auf einer Pressekonferenz schon mal abfertigte. Als Arroganz und Dickköpfigkeit wurde ihm das ausgelegt, vor allem im Umgang mit den renitenten Katalanen, was die moderne spanische Demokratie in ihre tiefste Krise stürzte.
Selbst gestürzt ist Rajoy aber über etwas anderes: über die Korruptionsaffären in seiner konservativen Partei, deren Nutzniesser sich schamlos mit Millionen Euro bereichert haben, während wiederum Millionen Spanier nach sieben Jahren Sparpolitik in einer prekären Existenz leben und nur durch Familienhilfe oder Auswanderung über die Runden kommen.
Den Ruf eines Schwiegermutterlieblings
Mitte Mai wurden 29 Parteigänger des PP vom Nationalen Gerichtshof zu insgesamt 351 Jahren Haft verurteilt, die Mitschuld der Partei wurde ausdrücklich festgestellt. Da ahnte Sánchez: jetzt oder nie. Rajoy wurde nie etwas nachgewiesen, doch seine nonchalante Haltung zur Korruption in den eigenen Reihen hat die Wut vieler Spanier wachsen lassen. Dass er es schaffen würde, den ausgefuchsten Taktiker Rajoy zu stürzen, hatten Sánchez zuvor wenige zugetraut, dem Mann mit dem Ruf eines Schwiegermutterlieblings, intellektuell blass und rednerisch oft fahrig. Doch der Machtinstinkt des «hübschen Pedro», wie manche ihn nennen, ist nicht zu unterschätzen.
Sánchez gewann nicht nur die Linksalternativen, sondern auch die Nationalisten aus Katalonien und dem Baskenland. Die baskische Nationalpartei (PNV) hatte Rajoy bisher gestützt und auch dem Haushalt zugestimmt, der den Basken zur Belohnung wieder Extrahappen in Millionenhöhe bescherte. Sánchez rangen die PNV-Abgeordneten das Versprechen ab, dass dieser Bonus unangetastet bleibt – dann liessen sie Rajoy fallen.
Puigdemont feiert
Die katalanischen Abgeordneten konnte Sánchez leicht gewinnen, die Gelegenheit, den verhassten Rajoy zu stürzen, war für sie einfach zu schön. Der Regierungschef hatte die Separatisten gegängelt und gedemütigt, ihnen jeden Kompromiss verweigert, ihre Regierung entmachtet. Eine PP-hörige Justiz nahm Regierungsmitglieder in Untersuchungshaft, andere setzten sich ins Ausland ab – wie Carles Puigdemont. Der feierte den Sturz seines Widersachers mit einem genussvollen Tweet aus dem Berliner Exil: «Die Regierung Rajoy hat den demokratischen Ruf der Katalanen ignoriert. Heute wird sie auch durch unsere Stimme der Macht enthoben werden.»
Doch zum Feiern ist es zu früh. Puigdemont muss immer noch mit Auslieferung rechnen. Und im Sozialisten Sánchez werden die Katalanen zwar einen konzilianteren Gesprächspartner finden. In der Frage, ob die Katalanen über ihre Unabhängigkeit befinden dürfen, ist Sánchez aber so stur und knallhart wie Rajoy. Die Einheit Spaniens ist auch seinem PSOE heilig. Grundlegende Konflikte mit den katalanischen Abgeordneten, auf die Sánchez' Regierung angewiesen ist, sind also so gut wie unvermeidlich.
Der linke Sozialdemokrat Sánchez ist kein Systemgegner und Krawallbruder wie die italienischen Populisten. Aber er wird, wie schon der portugiesische Kollege António Costa, den Sparkurs aufweichen – zu erwarten sei «eine Austerität mit menschlichem Antlitz», heisst es.
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