
Überall werden sie auf die Strasse gehen. Egal, ob in New York, Sydney, Berlin, London, Tokio, Amsterdam, Accra, Panama-Stadt, Hongkong, Madrid, Paris oder Genf. Am 22. April werden Forscher, Dozenten, Studenten und Bürger rund um den Globus in 480 Städten demonstrieren. «Wir wollen ein Zeichen setzen», sagt Courtney Thomas, die den March for Science in Genf mitorganisiert. Denn die Freiheit von Forschung und Wissenschaft sei in Gefahr. Trump sei nur ein Beispiel dafür, wie Emotionen die sachliche Diskussion verdrängen. Es sei unverantwortlich, dass fundierte Erkenntnisse mit «alternativen Fakten» gleichgestellt werden würden. Und dass die neue Regierung in den USA bestimmte Daten zurückhalte, sodass sie nicht mehr für alle zugänglich seien.

Die 31-jährige Chemikerin, die seit knapp fünf Jahren an der ETH Lausanne forscht, kämpft an vorderster Front für den Solidaritätsmarsch. Zuerst waren die Kundgebungen nur in den Staaten geplant, doch nun wird daraus eine weltweite Demonstration. Gemeinsam mit rund 40 Kollegen aus Lausanne und Genf setzt sich Courtney Thomas für die Veranstaltung in der Schweiz ein, die höchstwahrscheinlich nur in der Romandie stattfindet. Zwar hätte auch jeweils eine Gruppe aus Bern und Basel von ihnen nach Tipps und Informationen für eine eigene Demo gefragt, doch leider sei daraus bisher nichts geworden, sagt die gebürtige Amerikanerin bei unserem Treffen in einem Konferenzzimmer auf dem Campus der Hochschule. Und aus Zürich habe sie bisher noch gar nichts gehört. Umso mehr hofft sie, dass alle Interessierten aus der ganzen Schweiz nach Genf kommen würden. Denn es sei auch ein Fest für die Wissenschaft mit Vorträgen und Diskussionen sowie familienfreundlichen Events wie etwa Experimenten und Gameshows.
Verschwundene Websites
Mit der Aktion wollen die Forschenden darauf aufmerksam machen, wie wichtig gute und seriöse Forschung ist. «Wenn Fakten jedoch bewusst umgedeutet oder geleugnet werden, wird jedem konstruktiven Dialog die Basis entzogen», sagt Thomas. Vor kurzem berichtete die «New York Times», dass es in den USA bisher bereits ein paar Änderungen auf den Websites der Bundesforschungseinrichtungen gab. Zum Beispiel hat das Energiedepartement eine Infografik, die den Zusammenhang zwischen Kohle und Treibhausgasemissionen herstellt, verschwinden lassen. Auch fehlt inzwischen eine Website des Innendepartements über potenzielle Folgen für die Umwelt durch «Fracking» – eine Methode, bei der Risse im Gestein einer Lagerstätte im tiefen Untergrund erzeugt, geweitet oder stabilisiert werden.
«Wir vertreten keine Lobby und kein politisches Lager», sagt Thomas. Vielmehr gehe es ihnen darum, friedlich zu demonstrieren und zu veranschaulichen, was die Wissenschaft für die Politik und auch für die Gesellschaft bedeute. Wie wichtig es sei, dass sie als Forschergemeinschaft mit ihren Resultaten Fakten lieferten, die sich zwar im Lauf der Zeit ändern oder auch mal widersprüchlich sein könnten, aber als grosses Ganzes ein sachliches und solides Fundament für die Bewertung eines komplexen Themas darstellten. Denn nur auf diese Weise liessen sich wissenschaftlich abgestützte Massnahmen etwa gegen den globalen Klimawandel ausarbeiten und auch umsetzen. Für gefühlte Wahrheiten brauche man dagegen keine Forschung, so die Wissenschaftlerin.
«Wir vertreten keine Lobby und kein politisches Lager.»
Seit knapp fünf Jahren arbeitet Courtney Thomas in einem Labor der ETH Lausanne, wo untersucht wird, wie Krebs entsteht und wie sich Metastasen im Körper ausbreiten. Zurzeit erforscht sie, ob sich bereits für andere Krankheiten zugelassene Medikamente vielleicht auch für die Bekämpfung von Darmkrebs eignen könnten. Denn einige Patienten vertragen die Standardbehandlung wie etwa eine herkömmliche Chemotherapie nicht und suchen nach einer medikamentösen Alternative. «Da die von mir analysierten Wirkstoffe bereits alle für etwas anderes auf dem Markt sind, muss ich am Schluss viel weniger toxikologische und klinische Tests machen, als wenn ich ein völlig neues Medikament lancieren würde», sagt Thomas. Doch es sei eine Suche nach der Nadel im Heuhafen.
Hat sie sich schon immer für Wissenschaft interessiert? «Ja, aber ich denke, dass irgendwie jeder in seinem Herzen ein Forscher ist – unabhängig von seinem Alter, seiner Kultur oder seinem Beruf», antwortet Thomas. Denn die Neugier zum Ausprobieren stecke in jedem von uns und sei die treibende Kraft für Innovationen. Neben der Forschung macht es ihr Spass, Neues aus der Wissenschaft möglichst vielen Menschen mitzuteilen. Deshalb schreibt sie News aus den Bereichen Umwelt, Chemie, Biologie und Medizin, die sie auf ihren Blog «Science Daily Dose» stellt oder per Newsletter verschickt. Momentan ist sie aber viel zu stark mit der Organisation der Kundgebung beschäftigt, sodass kaum Zeit für anderes bleibt. Im Sommer hat sie dann ihre nächste grosse Herausforderung: «Mit dem Velo um den Genfersee!», sagt sie lachend. «200 Kilometer in zwei Tagen!»
Basis für politische Entscheidungen
Unter dem Motto «Science, not Silence» wollen die Wissenschaftler in zwei Wochen weltweit demonstrieren, wie vernetzt sie untereinander sind, und zeigen, dass sie Brücken zwischen den Ländern schlagen. «Wir sind eine globale Community», sagt Thomas. Es ist unerlässlich, dass die Forschergemeinde jetzt über die eigenen Grenzen hinaus zusammenhält. Denn sie seien meist international tätig, würden oft gemeinsam publizieren, Ergebnisse untereinander austauschen, diskutieren und sich auch gegenseitig korrigieren. Dafür brauche es jedoch Transparenz und Offenheit, aber auch den uneingeschränkten Zugang zu allen Daten.
Ist es nicht auch ein Risiko, wenn Wissenschaftler sich jetzt in die Politik einmischen? «Nein», kontert Thomas. Schliesslich seien sie indirekt längst auch ein Teil davon. Denn die von ihnen gelieferten Fakten stellen eine wichtige Entscheidungsgrundlage für Politiker dar und sind richtungsweisend. Für den Bürger ist es wichtig, zu sehen, dass sich weltweit Forscher für die fundamentalen Werte der Wissenschaft einsetzen. «Ich hätte mir früher nie träumen lassen, dass es mal so weit kommen würde», sagt Thomas. Doch im Gegensatz zur Schweiz, die in dieser Beziehung geradezu paradiesische Verhältnisse habe, sei dieses wissenschaftliche Grundverständnis mit der neuen Regierung in den USA nun leider in Gefahr gekommen. Deshalb gehe sie demonstrieren und zähle darauf, dass möglichst viele zu dem Megaevent in Genf kämen – auch aus Bern, Basel und Zürich.

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Aktivistin für die Forschung
Da wissenschaftlich erwiesene Fakten bestritten und politisiert werden, finden weltweit Demonstrationen statt. Courtney Thomas organisiert sie in der Schweiz.