Alfred Eschers Erbe gründet auf Sklavenarbeit
Erstmals gibt es Beweise für die dunklen Geschäfte der Familie von Zürichs grösstem Wirtschaftspionier.

160 Jahre lang waren es bloss Gerüchte. Das Erbe des grossen Zürcher Wirtschaftspioniers Alfred Escher soll auf Erträgen aus einer Sklavenplantage der Familie auf Kuba beruht haben. Das Gerücht kam erstmals auf, als Eschers Vater Heinrich 1853 starb und seinem Sohn Alfred 1 Million Franken vererbte (nach heutigem Wert rund 12 Millionen) sowie mehrere Liegenschaften, unter ihnen der grosszügige Belvoirpark samt Villa. Konservative Gegner des liberalen Politikers bezeichneten ihn darauf als Nutzniesser der Sklavenwirtschaft.
Eine «Schlammschlacht» sei das gewesen, urteilte 2006 der Historiker Joseph Jung. Er verfasste eine grosse Alfred-Escher-Biografie zum Jubiläum der Credit Suisse – jener Bank, die Alfred Escher 1856 als Schweizerische Kreditanstalt gründete und damit den Grundstein für Zürichs Finanzplatz legte.
Jetzt hat der Kölner Sklavereiforscher Michael Zeuske im Nationalarchiv von Havanna ein Dokument gefunden, das den Sklavenbesitz der Familie Escher auf Kuba bestätigt: Laut einer Steuerliste der spanischen Kolonialbehörde aus dem Jahr 1822 waren auf der südwestlich von Havanna gelegenen Kaffeeplantage «Buen Retiro» 82 Feld- und 5 Haussklaven beschäftigt. Die Plantage gehörte Heinrich Escher – zwei seiner Brüder verwalteten sie für ihn.
Der Vater wusste Bescheid
Die knapp 90 Sklaven bewirtschafteten ein Gelände mit einem Umfang von 4 Kilometern mit 200'000 Kaffeepflanzen, 5800 Bananenstauden und 500 Obstbäumen. Die Sklaven auf Kuba waren damals einem 14-Stunden-Arbeitstag unterworfen und wurden von Aufsehern mit Hunden scharf bewacht. Die Plantage der Familie Escher konnte mit ihrer mittleren Grösse rund 300 Tonnen Kaffee jährlich produzieren.
Laut Historiker Zeuske galt das Kaffeegeschäft auf Kuba angesichts des beginnenden Booms der Kaffeehäuser in Europa bis Ende der 20er-Jahre als sehr rentabel. Später lief Brasilien mit grossflächigen Plantagen Kuba den Rang ab. 1831 waren bei den Eschers noch 71 Sklaven beschäftigt. Sklavenhandel betrieben sie über ihren eigenen An- und Verkauf hinaus nicht (lesen Sie die ganze Geschichte auf dasmagazin.ch: «Die Sklaven der Familie Escher»).
Als grosser Liberaler und Pionier der Moderne hätte sich Escher am Umstand der unfreien Arbeitskraft stören müssen. Davon ist jedoch nichts bekannt, auch sein Vater äusserte sich nie öffentlich zum Thema. Dabei kannte der Erbauer des Belvoir-Guts das Unrecht aus eigener Anschauung, hatte er doch Kuba 1803 besucht. Der frühere Chefhistoriker der Credit Suisse und Escher-Biograf Joseph Jung verteidigt ihn heute: «Wenn man damals als weisser Farmer auf Kuba tätig war, hatte man zwangsläufig Schwarze, die für einen arbeiteten.» Moralisch anstössig wäre für ihn erst der Handel mit Sklaven.
Politiker fordern Aufklärung
Die Zürcher Lokalpolitiker Michael Kraft (SP) und Walter Angst (AL) fordern nun eine Aufarbeitung dieser Geschichte. Sofern ihre Parteien einwilligen, werden sie am nächsten Mittwoch im Gemeinderat einen Vorstoss einreichen. Ziel sei nicht nur die Anerkennung der unbequemen historischen Fakten durch die Stadt, sondern auch, diese der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Eine Möglichkeit wäre, eine Informationstafel im Zürcher Belvoirpark aufzustellen, dem ehemaligen Landgut von Heinrich Escher, das heute der Stadt gehört.
«Historisch betrachtet, ist das mehr als nur eine Fussnote», sagt Kraft. Es sei ein Beispiel, dass die Schweiz bei der Sklaverei nicht abseitsstand, obwohl sie ein Binnenland ist. «Das gehört ins öffentliche Geschichtsbild. Vielleicht sieht man dann auch Alfred Escher anders.»
Die Stadt Zürich dürfte offen sein für den Vorstoss. Sie pflegt einen «offenen Umgang» mit historischen Erkenntnissen. 2007 hat sie bereits die Beteiligung von Zürcher Financiers am Sklavenhandel beleuchten lassen.
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