ZoomAls der Schweiss von der Decke tropfte
Der Schweizer Fotograf Philipp Mueller dokumentiert in «120 bpm» die letzte grosse Jugendkultur.

«Ich wollte eine Discokugel sein, wie ein Stern leuchten. Ich trug Glitzer, Spiegelchen oder Pailletten, Plastik, Latex und andere Sachen. Es war übel, wie sehr man in diesem Zeug schwitzte.» Erinnerungen eines Partygängers, irgendwann in den frühen 90ern.



Es war die Zeit, in der ein neues Musikphänomen in die Schweiz schwappte, ein hypnotischer Beat, der von Detroit über London bis Berlin alle in seinen Bann zog: nz-nz-nz-nz-nz-nz-nz.
Auch in der Schweiz fanden die ersten Technopartys oft illegal in dunklen Kellern oder verlassenen Fabrikgebäuden statt, bald entwickelte sich vor allem in Zürich und Bern eine Clubkultur, die Banker, Bauarbeiter, Teenies, Models und Nobodys an Orten zusammenbrachte, wo der Schweiss von der Decke tropfte.



In einer dieser Nächte half Philipp Mueller an der Garderobe der legendären Zürcher Disco Roxy’s aus, ein junger Fotograf, der mit seinen Skinny Jeans, den langen Haaren und seiner Lederjacke eher dem Bild eines Wavers entsprach. Er begann ein Gespräch mit einem blonden Typen, der sich als Stylist bei einem Zürcher Szenecoiffeur entpuppte und ihn in die Zürcher Partyszene einführte. Bald fotografierte Mueller für Fanzines wie «Forecast» und «Sputnik» und natürlich auch an der Street Parade, die 1992 zum ersten Mal mit gerade mal 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattfand und auf ihrem Zenit über eine Million Menschen anzog.



Nun hat Mueller, der heute auch in Paris lebt, seine fotografischen Erinnerungen in «120 bpm» versammelt (der Titel verweist auf die durchschnittliche Anzahl «beats per minute» eines Clubtracks). Wie die Musik treiben auch die vielen bunten Bilder vorwärts. Frauen mit raspelkurzen orangen Haaren, Männer in Stöckelschuhen, Mädchen mit Zahnspangen: «120 bpm» erinnert – wie übrigens auch das jüngst gegründete Onlinearchiv Clubculture – an eine Zeit, die manche die letzte grosse Jugendbewegung nennen.
Philipp Mueller: 120 bpm, Edition Patrick Frey, 2021, 204 S., 52 Franken
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