Alternativer Nobelpreis für den Einsatz ihres Lebens
3000 Freiwillige bergen nach Angriffen in Syrien Überlebende. Die Weisshelme, eine Ägypterin, eine Russin und eine türkische Zeitung wurden nun geehrt.
Vor dem Krieg waren sie Bäcker, Lehrer oder Verkäufer. Jetzt sind sie Feuerwehrleute und Sanitäter – und rücken immer dann aus, wenn auf Rebellengebiete im syrischen Bürgerkrieg Bomben fallen.
«Wenn die Bomben herunterregnen, stürmen die Weisshelme heran», heisst es in dem Bürgerkriegsland. Oft sind sie die ersten vor Ort, die Verletzte versorgen oder Opfer aus den Trümmern ziehen. Als die Gruppe 2013 anfing, ihr Leben zu riskieren, um andere zu retten, bestand sie aus einem Dutzend Freiwilliger.
Inzwischen engagieren sich in der Organisation, die offiziell Syria Civil Defense heisst, 3000 Menschen. Der Alternative Nobelpreis ehrt am Donnerstag ihren «herausragenden Mut, ihr Mitgefühl und humanitäres Engagement».
Anwärter auf Friedensnobelpreis
Auch für einen Friedensnobelpreis werden die syrischen Retter gehandelt. Eine Kampagne, unterstützt von Hollywoodstars wie George Clooney, Daniel Craig und Ben Affleck, dem Sänger Justin Timberlake und seiner Kollegin Alicia Keys, macht sich dafür stark.
Die prominente Unterstützung macht die Freiwilligen zwar stolz. Aber, wie Ibrahim al-Hadsch von den Weisshelmen in der umkämpften Stadt Aleppo im Norden Syrien sagt: «Unser Ziel ist (...) nicht so sehr der Nobelpreis als vielmehr ein Ende des Kriegs in Syrien.»
Nähe zu Rebellen vorgeworfen
Die Hoffnung darauf ist wieder geschwunden, seit Syriens Militär die Waffenruhe am Montag nach einer Woche für beendet erklärt hat. Als Lastwagen eines Hilfskonvois von Luftangriffen getroffen werden, geht ein Video der Hilfsorganisation aus dem Norden des Bürgerkriegslandes um die Welt.
Es zeigt einen Mitarbeiter der Weisshelme in dem Ort Orem al-Kubra. Während hinter ihm noch die Flammen lodern, berichtet er, ein syrischer Helikopter habe die Fahrzeuge angegriffen.
Anhänger der syrischen Regierung werfen den Weisshelmen enge Kontakte zu Rebellen vor. Doch ein Sprecher der Organisation, Abdel Rahman al-Hassan, weist das zurück. Die einzige Aufgabe der Weisshelme sei es, Leben zu retten.
Dass die meist freiwilligen Helfer nur in Rebellengebieten aktiv sind, geht auf ihre Wurzeln zurück. Sie entstanden 2013 dort, wo es in dem Bürgerkriegsland keine staatlichen Strukturen mehr gab und Rettungshelfer fehlten.
Erfahrene Reparateure
Nach dem Angriff auf den Hilfskonvoi haben die Vereinten Nationen alle Hilfsgütertransporte in Syrien eingestellt. Noch mehr sind die Menschen jetzt auf die Freiwilligen angewiesen, die auch dabei helfen, die zerstörte Infrastruktur in den Städten wieder aufzubauen.
«Sie haben viel Erfahrung darin, Wasser und Elektrizität zwischen den Bombenangriffen wieder zu flicken», sagt der Direktor der Right Livelihood Award Stiftung, Ole von Uexküll. Die Ausbildung organisieren die Weisshelme selbst, finanzielle Unterstützung bekommen sie etwa aus den USA, Deutschland und den Niederlanden. «Deshalb gibt es auch Kritiker, die behaupten, die Weisshelme seien der verlängerte Arm der westlichen Regierungen – völliger Quatsch», sagt von Uexküll.
140 Retter starben
Mehr als 140 der zivilen Retter sind bei den Aktionen in den Trümmern schon ums Leben gekommen. Trotzdem wächst ihre Zahl. An 96 Stellen im Land sind sie im Einsatz, buddeln verletzte Kinder aus dem Schutt, reparieren Stromleitungen.
Für viele sei die gefährliche Arbeit «die einzige Art, in dieser absolut unmenschlichen Situation menschlich zu bleiben», sagt von Uexküll. «Vielleicht haben sie auch das Gefühl, dass sie ohnehin nichts zu verlieren haben.»
Der Preis, hofft der Schwede, hilft ihnen, «die Nachricht zu verbreiten, dass die syrische Bevölkerung genug von diesem Krieg hat». Er sei «ein Hoffnungsschimmer in den dunklen Tagen, in denen wir leben», sagt Weisshelm al-Hadsch.
Ehre für türkische Cumhuriyet
Ausserdem wurden die ägyptische Feministin Mozn Hassan, die russische Menschenrechtsaktivistin Swetlana Gannuschkina und die türkische Zeitung «Cumhuriyet» geehrt, wie die Right Livelihood Award Stiftung in Stockholm mitteilte.
Die «Cumhuriyet»-Redaktion zeichnete die Right Livelihood Award Stiftung «für ihren unerschrockenen investigativen Journalismus und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Meinungsfreiheit trotz Unterdrückung, Zensur, Gefängnis und Morddrohungen» aus.
«Zu einer Zeit, in der die Meinungsfreiheit in der Türkei zunehmend bedroht ist, beweist die Cumhuriyet, dass die Stimme der Demokratie nicht zum Schweigen gebracht werden kann», schrieb die Stiftung.
«Wir haben Putsche, Putschversuche, Belagerungszustände und Ausnahmezustände durchgemacht, aber wir haben niemals eine Einschränkung des Informationsrechts unserer Leser zugelassen», sagte der Präsident der Cumhuriyet-Stiftung, Orhan Enric, der Right Livelihood Stiftung.
Ermittlungen gegen Preisträgerin
Die ägyptische Feministin Hassan und ihre Organisation «Nazra für feministische Studien» bekommen den Preis «für ihren Einsatz für die Gleichstellung und die Rechte von Frauen unter Umständen von anhaltender Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung». Weil gegen sie ermittelt wird, darf Hassan das Land derzeit nicht verlassen.
«Das wird in vielen Ländern inzwischen gegen Akteure der Zivilgesellschaft verwendet, dass man sie als westliche Spione oder Vaterlandsverräter brandmarkt, weil sie Unterstützung aus dem Ausland bekommen», sagte der Direktor der Right Livelihood Award Stiftung, Ole von Uexküll. Dafür, dass Hassan zur Preisverleihung nach Stockholm kommen kann, will sich die Stiftung mit dem Netzwerk der Preisträger einsetzen.
Einsatz für Migranten und Flüchtlinge
Swetlana Gannuschkina engagiert sich seit 1990 in Russland für Migranten und Binnenvertriebene und hat nach Angaben der Stiftung mehr als 50'000 von ihnen rechtliche Unterstützung, humanitäre Hilfe und Bildung ermöglicht.
Die Russin nannte die Preisvergabe am Donnerstag «eine grosse Ehre und eine Solidaritätsbekundung». «Betrüblicherweise ist heute nur eine sehr kleine Anzahl an Flüchtlingen in Russland willkommen und die Rechte von Migranten werden regelmässig verletzt», sagte Gannuschkina der Stiftung.
SDA/rub
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