«Amerika ist unter Trump nicht faschistisch geworden – noch nicht»
Für US-Historiker Robert Kagan ist mit Trumps Wahl ein Albtraum wahr geworden. Nun müsse man wachsam bleiben.

Vor einem Jahr schrieben Sie in der «Washington Post», dass Präsidentschaftskandidat Donald Trump ein Frankenstein-Monster sei, gehegt und gepflegt von der Republikanischen Partei. Nun ist er im Amt. Ist ein Albtraum Realität geworden?
Für mich auf jeden Fall. Seine Wahl ist höchst bedauerlich. Ich mache mir Sorgen über seine Einwanderungspolitik, nicht nur die illegale Migration. Er war es, der den Begriff «Muslim-Bann» prägte. Auch was er über die Presse sagte, beunruhigt mich. Es ist zwar noch früh in seiner Amtszeit, aber wir wissen nicht, wohin das führen wird. Was die Aussenpolitik betrifft, ignoriert er, dass sich die USA 70 Jahre lang für eine liberale Weltordnung stark gemacht haben. Und er scheint auch nicht der Ansicht zu sein, dass dies die USA weiterhin tun sollten. Er hat sich zwar noch nicht aus der Nato zurückgezogen. Aber er sähe es gerne, wenn die rechtsradikalen Parteien in Frankreich, den Niederlanden und in Deutschland die anstehenden Wahlen gewinnen und die EU zerstören würden. Was ein Desaster wäre. Dazu kommt, dass er ein inkompetenter Führer ist. Trump weiss sehr wenig, und was er weiss, hat er von Fox News.
Sie sind aus der Republikanischen Partei ausgetreten. Aber sie kennen die Partei sehr gut. Gemäss Umfragen unterstützen die Republikaner Präsident Trump. Wird das anhalten?
Seine Umfragewerte steigen sogar aufgrund dessen, was er bisher getan hat. Seine Anhänger feiern ihn, wenn er sagt, die amerikanische Presse sei der Feind des amerikanischen Volks. Ich erwarte nicht, dass er Unterstützung verliert, selbst wenn es ihm nicht gelingt, seine wirtschaftlichen Versprechen zu erfüllen. Denn Trump wurde weniger aus wirtschaftlichen als aus kulturellen Gründen gewählt. Seine Wähler sind verärgert, weil sich das Land verändert hat. Gewisse weisse männliche Wähler sind voller Ressentiments und meinen, dass sie gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen benachteiligt seien. Trump gab diesen Leuten die Lizenz, sich so zu fühlen. Es ging vor allem um Identität.
Sie waren eben an der Sicherheitskonferenz in München. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow hatte dort verkündet, dass nun eine «post-westliche Weltordnung» kommen werde. Hat Lawrow recht, und hilft Trump den Russen, dieses Ziel zu erreichen?
Ich befürchte, dass der Westen seinen Willen und sein Selbstvertrauen verliert, um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Und wenn diese Tendenz anhält, steuern wir tatsächlich auf eine Weltordnung zu, die Lawrow vorschwebt, und die nicht mehr von den USA geprägt wird. Und Trump könnte diesen Prozess noch beschleunigen, weil er ebenfalls nicht mehr an dieser Weltordnung interessiert ist, wenn auch aus einem anderen Grund. Denn er glaubt einfach, dass die USA einen schlechten Deal machen.
Die Trump-Regierung sendet aber widersprüchliche Signale aus. Der Präsident sympathisiert offen mit Putin, während sein Verteidigungsminister eine kritische Haltung gegenüber Moskau einnimmt. Was gilt nun?
Ich würde lügen, wenn ich täte, ich wüsste es. Ich vermute aber, dass Trump nicht bereit ist für einen dramatischen Kurswechsel in der Aussenpolitik. So lässt er seine Minister die eigenen Aussagen korrigieren gegenüber den Europäern oder aber auch gegenüber China. Seine kritische Haltung gegenüber Europa hat sich aber kaum geändert. Und sein Berater Stephen Bannon hat klar gesagt, dass die Regierung Trump es begrüssen würde, wenn die EU auseinanderbricht – es wäre ein Desaster.
Kriegsheld im Weissen Haus: Trump stellt Herbert Raymond McMaster vor. (Video:Reuters/Tamedia)
Gibt Trump nicht einfach den «bad cop», und sein Vize Mike Pence spielt den «good cop» für die Alliierten?
Kaum. In dieser Regierung laufen die politischen Prozesse nicht so ab wie sonst üblich. Vielleicht ändert sich das nun mit dem neuen Sicherheitsberater H.R. McMaster. Trump setzt sich jedoch nicht hin mit Verteidigungsminister Mattis, um einen Entscheid zu treffen. Oder als der japanische Premier zu Besuch kam, gab es kein Treffen mit Aussenminister Tillerson, obwohl Shinzo Abe mehrere Tage da war. Das war früher unvorstellbar.
Wo erwarten Sie die erste internationale Krise, die Trump bewältigen muss?
Keine Ahnung. Aber Fakt ist, dass die Ambitionen von Russland und China zunehmen, während der Westen schwächelt. Und irgendwann könnten diese gegenläufigen Tendenzen zu einer Krise führen. Am ehesten vielleicht im Südchinesischen Meer. Diese Gefahr hätte aber auch bestanden, wenn Hillary Clinton gewählt worden wäre.
Und im Iran?
Ich glaube nicht, dass Trump beabsichtigt, hier militärische Gewalt einzusetzen. Es ist auch möglich, dass die Iraner den Atomdeal ihrerseits kündigen, denn in Teheran gewinnen derzeit wieder die Hardliner an Einfluss.
Bildstrecke: Aufstand gegen Trump
Historische Vergleiche hinken oft. Ich möchte Sie trotzdem bitten, zwei zu ziehen. Zunächst: Sind wir «Schlafwandler», die auf eine Krise zugehen, ohne es zu merken, wie Christopher Clarke die Welt am Vorabend des Ersten Weltkriegs beschrieben hat?
Ich bin nicht einverstanden mit Clarke. Ich glaube nicht, dass Länder wie Schlafwandler in einen Konflikt hineintappen. Das eigene Verhalten führt einen in eine bestimmte Richtung. Deutschland hat gewisse Entscheidungen getroffen, die zum Krieg führten. Wenn jetzt die USA etwa gegenüber Russland oder China eine rote Linie ziehen und dann agieren, wenn sie überschritten wird, passiert dies sehenden Auges. Am ehesten kommt es jedoch zu einer Krise, wenn der Gegner wie auch die Alliierten nicht sicher sein können, dass die USA reagieren. Trumps kritische Äusserungen zur Nato sind deshalb gefährlich, weil sie Zweifel säen.
Der zweite Vergleich: Sie warnten im Mai 2016, dass «der Faschismus nach Amerika komme», wenn Trump gewählt werde.Sind die USA nun faschistisch?
Amerika sind nicht faschistisch geworden unter Trump – noch nicht. Aber Trump hat keinen Respekt gegenüber demokratischen Prinzipien und Institutionen. Das zeigt sich, wenn er von «sogenannten Richtern» spricht oder die Medien zum Feind erklärt. Das kann bei seinen Anhängern zu einer Bewegung führen, die liberale demokratische Normen niedertrampelt. Die Frage ist, ob unser System stärker ist als Trump.
Einer von Trumps demokratisch zweifelhaften Tweets:
Was meinen Sie?
Ich hoffe, das System ist stärker. Und im Moment ist das wohl noch so. Der Republikanischen Partei kann man aber nicht trauen. Am ehesten können die Gerichte und die Presse Trump eindämmen. Allerdings sind die Medien gespalten, die Hälfte der Amerikaner bekommt die Nachrichten ausschliesslich von Fox News, nicht von der New York Times. Das sind zwei unterschiedliche amerikanische Realitäten. Wir müssen deshalb wachsam bleiben.
Sie haben auch Barack Obama kritisiert, weil er das globale Engagement der USA vermindert hat. War das nicht die logische Konsequenz nach den Fehlern der Regierung Bush, insbesondere im Irak?
Es war sicher eine Reaktion, und Obama wurde gewählt, um Bushs Politik zu korrigieren. Die Amerikaner hatten den Eindruck, dass beide Kriege, auch jener in Afghanistan, schlecht geführt gewesen seien. Deshalb war ein gewisser Rückzug unvermeidbar. Aber ein Präsident, der sich seiner Verantwortung besser bewusst gewesen wäre, hätte vorsichtiger agiert und die globale Rolle der USA weiterhin wahrgenommen. Das hat Obama versäumt.
Sie haben damals den Krieg gegen den Irak klar befürwortet. Nun kritisieren Sie den Abzug der US-Truppen 2011 als «verfrüht und unnötig». War nicht der Krieg an sich der eigentliche Fehler?
Als Historiker weigere ich mich, die Geschichte rückwärts zu schreiben. Tatsächlich hatte der Krieg negative Folgen, er wurde schlecht geführt und basierte auf falschen Annahmen der Geheimdienste. Aber ich bin dankbar, dass Saddam Hussein nicht mehr an der Macht ist.
Wäre die Region nicht stabiler mit ihm?
Nein. Alle konzentrieren sich auf die Fehler, die die USA im Irak begangen haben. Ich kann das verstehen. Aber die Leute haben vergessen, wer Saddam Hussein war. Er war nicht nur ein schrecklicher Diktator, er hatte bereits zwei Nachbarländer angegriffen, den Iran und Kuwait. Und er wollte noch mehr. Das war ein gefährlicher Mann. Das ist das Problem mit der Geschichtsschreibung: Man kann immer ein alternatives Szenario entwerfen zum Desaster, das man erlebt hat. Aber die Folge wäre dann allenfalls ein anderes Desaster.
Bildstrecke: Trump und Netanyahu – das Treffen
Dann also zurück zur Realität. Wenn Trump vom Nahen Osten spricht, spricht er nur vom IS. Aber das ist nur ein Problem in dieser Region. Welche Rolle werden die USA da künftig spielen?
Bisher ist Trumps Nahost-Politik kaum unterscheidbar von jener Obamas. Insbesondere in Syrien, wo die USA möchten, dass die Kurden den Job in Raqqa (Hochburg des Islamischen Staats, die Red.) erledigen, es gibt auch weiterhin Einsätze von Drohnen und Spezialkräften. Aber die US-Präsenz soll nicht erhöht werden. Derweil ist Trump freundlicher gegenüber Israel als Obama, dessen Beziehung zu Premier Netanyahu zuletzt völlig am Ende war. Aber wohin soll das führen? Selbst Obama konnte Netanyahu nicht dazu bringen, seine Politik zu ändern. Ich glaube nicht an einen Friedensplan, von dem die Regierung Trump nun spricht. Es wird weitergehen wie bisher.
Und im Irak? Können sich die Amerikaner dort festsetzen, wenn sie der Regierung in Bagdad helfen, Mossul vom IS zu befreien?
Es wäre besser, wenn die US-Truppen langfristig vor Ort helfen würden, die Lage zu stabilisieren. Das haben sie eigentlich auch getan, bis Obama den Abzug veranlasste. Was Trump machen wird, wissen wir noch nicht. Zumal es riskant ist, die US-Truppen, die derzeit die irakischen Streitkräfte beraten und ausbilden, in der Region zu belassen. Die amerikanische Öffentlichkeit wäre jedoch bereit, 5000 Soldaten auf unbegrenzte Zeit im Irak zu stationieren. Deshalb hätte Obama auch nicht alle Truppen vollständig abziehen müssen.
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