
Es ist ein besonderer, aber vermeintlicher Coup: Zwar erregten die Cryptoleaks-Enthüllungen weltweit Aufsehen, aber den Schweizer Medien war es vorbehalten, die Echtheit der Geheimdienst-Unterlagen anzuzweifeln, die belegen, dass die CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) jahrzehntelang über die Zuger Crypto AG gezinkte Chiffriergeräte in die halbe Welt verkaufen.
Cryptoleaks – alles Fake? Für Roger Köppel scheint das zumindest nicht abwegig. Der «Weltwoche»-Chefredaktor unterschiebt Bernd Schmidbauer, dem ehemaligen Geheimdienstkoordinator im deutschen Kanzleramt, er habe von einem «angeblichen» BND- und CIA-Bericht gesprochen. Dabei hat Schmidbauer die Echtheit der Dokumente dem ZDF ausdrücklich bestätigt. Auch der BND stellt die Authentizität der CIA-Dokumente zum gemeinsamen Projekt mit dem Decknamen Minerva nicht infrage. Wie sollte er auch? Der damalige BND-Präsident Ernst Uhrlau hat ergänzende Berichte aus deutscher Warte erarbeiten lassen.
Trotzdem wird das Geheimpapier auch sprachanalytisch angezweifelt. Die «NZZ am Sonntag» findet, der Text klinge «salopp, schon fast derb», das Englisch holpere. Als Belege dienen Spitzfindigkeiten: Ein Verschreiber («insure» statt «ensure») und der Titel «MINERVA – A History». Korrekt lauten müsste es «A History of Minerva», doziert das Sonntagsblatt. Als ob es im Englischen keine Untertitel gäbe.
Dieser Medienexperte Kurt W. Zimmermann mag sich mit Groschenromanen auskennen, mit CIA-Studien offensichtlich nicht.
Kurt W. Zimmermann, der in der Schweiz als Medienexperte gilt, nimmt diese Zweifel dankbar auf und gibt noch eins drauf: «Die Quelle des Minerva-Papiers ist auch ZDF, ‹Washington Post› und ‹Rundschau› bis heute nicht bekannt», behauptet er in der «Weltwoche». Das ist eine wenig fromme Lüge. Dem ZDF-Film bei «Frontal 21» hätte er entnehmen können, dass die Aufarbeitung des Geheimdienst-Coups des Jahrhunderts Mitte September 1999 bei einer Geheimdienstkonferenz in Berlin ihren Ausgang nahm. Motor des Unterfangens war auf amerikanischer Seite der altgediente CIA-Mann Richard S.
Die «Washington Post» hat zu Cryptoleaks zahlreiche Hintergrundgespräche mit CIA-Veteranen geführt. Richard S., der 31 Jahre in der CIA verbrachte und mehr als ein Jahrzehnt lang von München aus im Geheimen die Fäden bei der Crypto AG zog, war auch verantwortlich für die Erarbeitung der Minerva-Studie und wurde dazu dem «Office of History» der CIA zugeteilt. Beim zweiten Autor handelt es sich um Tom J., der bereits eine vierbändige Geschichte der NSA geschrieben hatte. Er hatte Zugriff auf ihre internen geheimen Dateien und auf jene Briefwechsel und Dokumente des verstorbenen Crypto-Gründers Boris Hagelin. Mit noch lebenden Akteuren der Operation führten die Autoren Experteninterviews, auch mit involvierten BND-Mitarbeitern im Juni 2001 im oberbayerischen Pullach.
Ein erster Teil des Minerva-Berichts wurde 2005 dem BND überreicht, «was sich als keine gute Idee herausstellte», wie ein CIA-Mann bedauerte, als er erfuhr, dass die Studie beim ZDF gelandet war.
Auch Hobby-Linguist Zimmermann zweifelt an der Urheberschaft der CIA für die Studie und übernimmt die NZZ-Argumente nahezu wörtlich: «Denn das Papier ist über weite Strecken im Stil eines ‹Jerry Cotton›-Groschenromans gehalten, gespickt mit boulevardesker Sprache und mit dramatisierenden Ausrufezeichen.» Nun mag sich dieser Medienexperte mit Groschenromanen auskennen, mit CIA-Studien offensichtlich nicht. Im amerikanischen Nationalarchiv sind zahllose Studien des «CIA History Office» zugänglich.
Die Schweizer Regierung und die Armeeführung, die ansonsten nun ein grösseres Rechtfertigungsproblem hätten, werden dankbar sein, dass einige versuchen, die Cryptoleaks abzutun.
In der publizistischen Hast kam Zimmermann offensichtlich nicht dazu, vergleichend mehrere Tausend Seiten mit den vielen Burlesken zu lesen. So urteilt er in einem Kinderglauben, welcher Sprache sich CIA-Mitarbeiter bedienen.
Abgehört worden sei ohnehin nicht, da die Crypto AG nur Geräte für «Text- und nicht für Tonübertragungen» gefertigt hätte, weiss Zimmermann in seiner Kollegenschelte. Ein kurzer Blick in den Produktkatalog des Unternehmens hätte ihn eines Besseren belehrt. Als intellektuellen Kraftakt wird man auch Zimmermanns Presseschau nicht werten können. Die Enthüllung habe international selbst bei Medienkollegen keinerlei Resonanz gehabt, nur in der Schweiz sei sie zum «Skandälchen» hochgeschrieben geworden. Sein Tunnelblick übersah die Veröffentlichungen in Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Grossbritannien, Italien, Russland, China, um nur einige Länder zu nennen. Insgesamt gab es in den letzten zwei Wochen weit über 1000 Veröffentlichungen zu den Cryptoleaks.
Richtig ist, dass die Debatte seit Veröffentlichung in der Schweiz am breitesten und heftigsten geführt wird. Das erklärt sich damit, dass die Neutralität in der Geschichte und der Identität dieses Staates stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Dazu passt dieses grosse Geheimdienstprojekt auf eigenem Boden offenkundig schlecht, speziell dann, wenn die Schweiz darüber schon früh informiert war, wie das CIA-Papier belegt.
Das scheint bei einigen Schweizer Journalistenkollegen zum Reflex geführt zu haben, das Geheimpapier in seiner Echtheit anzuzweifeln oder – falls es doch echt sein sollte – es als unbedeutend abzutun. Die Schweizer Regierung und die Armeeführung, die ansonsten nun ein grösseres Rechtfertigungsproblem hätten, werden dafür dankbar sein. Schliesslich ist dies im nationalen Interesse. In anderen Ländern würde man solche Journalisten als «eingebettet» bezeichnen.
Erich Schmidt-Eenboom:Der Geheimdienstspezialist ist Leiter des deutschen Forschungsinstituts für Friedenspolitik und hat das Cryptoleaks-Projekt begleitet.
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An die lieben Crypto-Zweifler
Die Schweizer Debatte über die Cryptoleaks nimmt aus der Aussensicht teilweise skurrile Züge an.