Angriff auf die besten Böden im Land
Die Wirtschaft rüttelt an einem Tabu: Sie will einen Tauschhandel mit Ackerflächen einführen, um mehr Bauland zu erhalten.

Was auf den Teller kommt, soll auf Schweizer Boden wachsen. Die Initiative zur Ernährungssouveränität will diesem Ideal wieder näher kommen. Am Montag diskutiert der Ständerat darüber. Doch die Entwicklung geht in die andere Richtung: Schon heute stehen pro Person nur noch rund zwei Tennisplätze Acker zur Verfügung, das ist viel weniger als in den Nachbarländern. Geht es nach dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und dem Schweizer Gewerbeverband (SGV), wird diese Fläche weiter abnehmen. Der heutige Schutz behindere die Entwicklung. Denn seit 1992 muss jeder Kanton einen definierten Anteil an besten Ackerböden, sogenannten Fruchtfolgeflächen (FFF), beisteuern.
Festgelegt sind diese Kontingente in einem vom Bundesrat verordneten Sachplan. Weil Siedlungen vielerorts an solche Böden grenzen, wird das Einzonen von Bauland schwierig. «Es gibt bereits einige Kantone, die wegen des Sachplans in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eingeschränkt sind», sagt Roger Wehrli vom Wirtschaftsdachverband. Dazu gehören laut Wehrli etwa das Tessin, Uri, Schaffhausen und Basel-Stadt.
15 Kantone geraten ins Minus
Economiesuisse schlägt daher ein neues Instrument vor: den Handel mit FFF. Will ein Kanton neues Bauland einzonen und kann deshalb sein FFF-Kontingent nicht mehr erfüllen, soll er den fehlenden Anteil einem anderen Kanton abtreten können, der sein Kontingent entsprechend erhöht. Dabei sei bilateral eine Entschädigung auszuhandeln, so Wehrli. Der Preis würde sich wohl unter anderem danach richten, wie viel wert jenes Gebiet hätte, das der Kanton neu einzonen könnte. Mit der Flexibilisierung will Economiesuisse den heutigen Mindestumfang an FFF sicherstellen.
Experten, die im Auftrag des Bundes abgeschätzt haben, wie viel Ackerfläche bis in 25 Jahren überbaut würden, gehen davon aus, dass mit Massnahmen wie mit dem kantonsübergreifenden Handel tatsächlich immerhin der Mindestumfang von 438 460 Hektaren gehalten werden könnte. Allerdings gingen fast 5300 Hektaren unwiederbringlich verloren – und damit fast die gesamte heutige Reserve. 15 Kantone würden gemäss dieser Prognose ihr Mindestkontingent nicht mehr erfüllen und wären auf ausserkantonale Flächen angewiesen. Hart würde dies die Waadt und Bern treffen. Im Falle Berns entspricht das prognostizierte Manko von über 800 Hektaren etwa dem bisherigen Baulandbedarf von zehn Jahren.
Der Gewerbeverband will darum noch weitergehen: «Die Kontingente für die Kantone müssen angepasst werden, um der wirtschaftlichen Entwicklung der Kantone gerecht zu bleiben», sagt SGV-Direktor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler. Als Beispiel nennt er die Waadt, die früher stark landwirtschaftlich geprägt gewesen sei und heute eine andere Wirtschaftsstruktur aufweise. Bigler argumentiert auch mit der Produktivität der Böden. Da diese erheblich gestiegen sei, brauche es weniger davon.
Kosten von rund 400 Millionen Franken
Der Schweizer Bauernverband kann mit dieser These nichts anfangen: Am Schutz führe kein Weg vorbei. Alles andere, etwa der Handel mit Ackerböden, werde ein Randphänomen bleiben. Zudem fehlen heute die Voraussetzungen für einen solchen Handel. Armin Keller von der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope betont: «Bevor Böden gehandelt werden können, muss man deren Qualität kennen.» Bisher stünden solche Daten nur sehr lückenhaft zur Verfügung.
Für eine vollständige Erhebung rechnen Bodenexperten mit einem Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren und summierten Kosten von rund 400 Millionen Franken. Sie sind überzeugt, dass sich dieser Aufwand lohnt. Denn abgesehen vom Bodenhandel könnten dank dieser Kenntnisse Umweltschäden vermieden werden, indem etwa nur so viel gedüngt wird, wie der Boden aufnehmen kann. Das würde der Verschmutzung von Gewässern vorbeugen.
Kontraproduktive Idee
Die Vorschläge zur Weiterentwicklung des Sachplans FFF werden gegenwärtig von eingeladenen Stellen und Verbänden geprüft, Ende Jahr dürfte der Bundesrat an der Reihe sein. Entweder hält er am – allerdings umstrittenen, da demokratisch wenig legitimierten – Verordnungsweg fest, oder aber er legt einen Gesetzesentwurf vor. Dann könnte das Parlament mitreden.
Unter Bundesparlamentariern ist auf bürgerlicher Seite aber kaum Bereitschaft auszumachen, von der Mindestfläche abzuweichen – selbst in Biglers Partei, der FDP, nicht. Nationalrat Peter Schilliger zum Beispiel möchte das Problem mit der Schaffung neuer FFF lösen. Landwirte könnten nicht mehr benötigte Infrastrukturen wie kleine Ställe zurückbauen und damit Platz für neue FFF schaffen. Schilliger würde sogar finanziellen Anreizen zustimmen.
Widerstand gegen die Pläne der Wirtschaft regt sich auch in der politischen Mitte. CSP-Nationalrat Karl Vogler lehnt nebst der Aufweichung der landesweiten Minimalfläche auch einen FFF-Handel ab: «Der Verlust der FFF als Ganzes wird damit nicht gestoppt, sondern nur umgelagert.» In links-grünen Kreisen fallen die Pläne durch. Grünen-Nationalrat Bastien Girod und SP-Nationalrätin Silva Semadeni fordern sogar einen verstärkten Schutz. Die Kantone müssten das erwartete Wachstum so lenken, dass kein zusätzliches Kulturland verbraucht werde. «Alles andere sind Scheinlösungen», so Semadeni, «die den Kulturlandverbrauch ankurbeln, statt zu bremsen.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch