«Angst machen die 48 Prozent, die Nein gestimmt haben»
Moutier will zum Jura gehören. Für Bern ist der Jurakonflikt damit abgeschlossen, doch die Stadt bleibt gespalten.
51,7 Prozent Ja-Stimmen. Nach schier endlosem Warten in der heissen und schweissgetränkten Luft der Mehrzweckhalle steht um 17.20 Uhr fest: Die Berner Kleinstadt Moutier mit ihren 7700 Einwohnern wird in den Kanton Jura wechseln. Bei den Zuschauern bricht augenblicklich Jubel aus. Auf den Strassen feiern die Sieger das knappe Ergebnis mit einem Volksfest. Die Proberner dagegen, die sich am Rand der Stadt hinter der Maschinenfabrik von Tornos versammelt haben, sind bitter enttäuscht.
Das Resultat ist knapp ausgefallen. Wenn auch etwas deutlicher als 1998, als 41 Stimmen den Ausschlag gaben – damals für den Verbleib im Kanton Bern. Nun entschieden 137 Stimmen über den Wechsel in den Jura. Die Kleinstadt Moutier wagt damit einen Schritt, mit dem sie seit Jahrzehnten geliebäugelt hat. Schon seit den 80er-Jahren wählt Moutier mehrheitlich projurassische Behörden. Doch erstmals hat das Volk deren Ziel in einem Urnengang zugestimmt.
Der Jubel der Regierung
Marcel Winistoerfer, der bodenständige Bürgermeister von Moutier (CVP), ist nach dem Entscheid erschöpft, aber glücklich. Er betont dessen historische Bedeutung: «Das Volk hat, ermuntert von seinen Behörden, auf eine bessere Zukunft in jenem Kanton gesetzt, der seine historische Legitimität verkörpert, seine kulturelle Identität teilt und ihm sozioökonomisch nahe ist.» Winistoerfer räumt aber auch ein, dass Moutier eine gespaltene Stadt bleibe. «Was doch ein bisschen Angst macht, sind die 48 Prozent, die Nein gestimmt haben. Diesen Teil der Bevölkerung müssen wir noch überzeugen.»
Auch die jurassische Regierung jubelt, als sie in einem Sitzungszimmer in der Kantonshauptstadt Delsberg vom Resultat erfährt. Umgehend eilt das Gremium gemeinsam nach Moutier, um mit den Projurassiern zu feiern. Für die Regierung sei das Abstimmungsresultat «eine immense Freude», sagt Präsidentin Nathalie Barthoulot (SP). Der Kanton Jura wolle die Aufnahme von Moutier bis zum 1. Januar 2021 vollziehen.
Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg. Zuerst werden im September noch zwei weitere bernjurassische Gemeinden, Belprahon und Sorvilier (je rund 300 Einwohner), über einen Kantonswechsel abstimmen. Danach müssen die beiden Kantone die Modalitäten des Kantonswechsels in einem Konkordat regeln. Dem Konkordat muss das Volk in den Kantonen Bern und Jura zustimmen. Zudem muss der Kantonswechsel von der Bundesversammlung genehmigt werden.
Der Berner Regierungsrat versprach gestern, das Abstimmungsergebnis zu respektieren, legte sich aber nicht auf einen konkreten Termin für den Kantonswechsel fest. Der Prozess werde mehrere Jahre dauern, hiess es an der Medienkonferenz der Regierungsdelegation in Moutier. Die Regierungsräte zeigten sich enttäuscht über das Ergebnis. Der Berner Gemeindedirektor Christoph Neuhaus (SVP) sprach in Anspielung auf den Brexit von einem «Mouxit», den er bedauere, weil dieser die französischsprachige Minderheit im Kanton Bern schwäche.
«Wir können nun konstatieren, dass der Jurakonflikt zu Ende ist.»
Regierungspräsident Bernhard Pulver (Grüne) bedauerte den Entscheid, der aber als Ergebnis einer «lebendigen Demokratie» zu akzeptieren sei. Der Urnengang habe auch eine positive Seite: «Wir können nun konstatieren, dass der Jurakonflikt zu Ende ist.» Sobald auch noch die zwei weiteren Gemeinden Belprahon und Sorvilier über einen Kantonswechsel abgestimmt hätten, sei der politische Prozess durchgespielt, der im Juraabkommen von 2012 vereinbart sei. Dort hatten die beiden Kantone vereinbart, dass die Jurafrage noch einmal demokratisch geklärt wird – dafür würde dann der Jurakonflikt offiziell für beendet erklärt. Pulver erinnerte daran, dass der Berner Jura in der regionalen Abstimmung 2013 einen gemeinsamen Kanton mit dem Jura deutlich verworfen hatte. Nun werde Bern das Resultat der Gemeindeabstimmung in Moutier akzeptieren – es sei jetzt am Kanton Jura, seinen Teil des Abkommens einzuhalten und den Konflikt als gelöst zu betrachten.
Dass dies für die jurassische Seite, die stets auf eine «Wiedervereinigung» mit dem ganzen «Südjura» gepocht hatte, nicht einfach ist, zeigte sich gestern erneut. «Für mich gehört immer noch die ganze Region zum Jura», sagte Bürgermeister Winistoerfer – nicht nur seine Stadt Moutier. Zumindest räumte er ein, dass das nur «ein Gedanke im Hinterkopf» sei, der allenfalls «in ferner Zukunft» realisiert werde. Die jurassische Regierung hingegen ist an das Juraabkommen gebunden. Nachdem auch noch die zwei weiteren Gemeinden abgestimmt hätten, erklärte sie, «wird die jurassische Frage politisch gelöst sein». Minister Charles Juillard (CVP), der vor der Abstimmung laut über den Anschluss weiterer Gemeinden nachgedacht hatte, rückte gestern von dieser Vorstellung wieder ab.
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