Angst unter der Kippa
In Berlin ist ein Israeli verprügelt worden, weil er als Experiment eine jüdische Kopfbedeckung trug. Der Täter, offenbar ein syrischer Flüchtling, hat sich gestellt.
Ein lauer Dienstagabend am Berliner Helmholtzplatz, einer lebhaften Ecke des kosmopolitischen Szeneviertels Prenzlauer Berg. Zwei junge Männer, die eine jüdische Kippa auf dem Kopf tragen, werden von drei arabisch sprechenden Männern beschimpft. Einer von ihnen, ein junger Kerl, zieht seinen Gürtel aus der Hose und schlägt mit diesem brutal auf einen der beiden Kippaträger ein, «Yahudi, Yahudi» rufend, Jude auf Arabisch. Von weiteren Attacken wird er offenbar von seinen Begleitern abgehalten. Dann fliehen sie.
Antisemitische Angriffe wie dieser sind in der Millionenstadt Berlin mittlerweile schrecklich alltäglich geworden. Besonders bemerkenswert machte ihn der Umstand, dass das Opfer die Attacke mit seinem Handy filmte – und dass es kein Jude ist. Die 47 Sekunden lange Videosequenz der Tat verbreitete sich am Mittwoch rasend schnell in den sozialen Medien. Sie schockierte viele, weil sie den Betrachter unwillkürlich in die Perspektive des Opfers zwingt. Allerdings zeigt das Video nur einen Ausschnitt der Tat, insbesondere bleibt offen, was ihr vorausging. Das Opfer bestreitet, den Angreifer provoziert zu haben. Der Täter, nach Medienberichten ein 19-jähriger syrisch-palästinensischer Flüchtling, stellte sich am Donnerstag im Beisein einer Anwältin der Polizei. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen.
Attacke nach fünf Minuten
Dass das Opfer zwar Israeli, aber nicht jüdischen Glaubens ist, wurde erst einen Tag nach der Tat bekannt, als Reporter den jungen Mann ausfindig machten und befragten. Der 21-jährige Adam A., der seit drei Jahren in Deutschland lebt und seit kurzem in Berlin Tiermedizin studiert, ist nach eigenen Angaben in Israel in einer arabischen Familie «unter Juden» aufgewachsen. Er selber sei nicht Jude. Die Kippa habe er von einem Freund geschenkt bekommen – mit der Warnung, sie in Berlin besser nicht aufzusetzen, das sei zu gefährlich. Er habe das nicht glauben und akzeptieren wollen, deswegen hätten er und sein Freund Salah M. die Kippa als «eine Art Experiment» getragen. Nach fünf Minuten wurden sie attackiert.
Der Angriff löste grosse Empörung aus. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, beklagte, dass es zunehmend ein Problem sei, sich in deutschen Grossstädten als Jude zu erkennen zu geben. Antisemitische Einwanderer hätten ihr Bleiberecht verwirkt. Sigmount Königsberg von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sagte, in der Gemeinschaft wachse die Sorge. Einzelne Mitglieder dächten daran, Deutschland zu verlassen. Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Vorfall als «schrecklich». Deutschland müsse entschlossen gegen jeden Antisemitismus vorgehen, unabhängig davon, ob dieser von Neonazis oder von fanatischen Muslimen ausgehe. Aussenminister Heiko Maas sagte in Erinnerung an den Holocaust: «Juden dürfen sich bei uns nie wieder bedroht fühlen. Wir tragen Verantwortung dafür, uns schützend vor jüdisches Leben zu stellen.»

In Berlin gab es zuletzt so viele antisemitische Vorfälle wie noch nie seit Kriegsende. Eine spezialisierte Recherchestelle zählte letztes Jahr deren 947, 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Das sind zwei bis drei am Tag. Registriert werden auch Fälle, die keinen Straftatbestand erfüllen, aber dennoch ein bedrohliches Klima verbreiten und das Leben der jüdischen Gemeinschaft stark beeinträchtigen. Die Berliner Polizei hat im letzten Jahr 288 antisemitische Straftaten gezählt, doppelt so viele wie 2013.
Aufgrund der bisherigen Erhebungen lässt sich nicht verlässlich feststellen, für welche Angriffe Rechtsextreme und für welche muslimische Judenhasser verantwortlich sind. Bis vor kurzem wurden die meisten antisemitischen Straftaten von der Polizei pauschal als «politisch motivierte Kriminalität rechts» eingestuft, ausser wenn offensichtlich Muslime oder Linksextreme die Täter waren.
Experten glauben, dass der Anteil der muslimischen Täter in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Im Zuge der Flüchtlingskrise ist mindestens eine Million Menschen aus dem Nahen Osten neu nach Deutschland eingewandert. In den arabischen Gesellschaften ist der Hass auf Israel und auf die Juden seit langem stark verbreitet.
Während die meisten Kommentatoren und Parteien den zunehmenden Antisemitismus unabhängig von dessen Herkunft ächten, wird dieser am rechten und am linken Rand oft instrumentalisiert. Die Alternative für Deutschland verurteilt den muslimischen Judenhass besonders scharf, weil er zu ihrer pauschalen Kritik an Muslimen und Einwanderern passt und zudem noch die Möglichkeit bietet, von jenem der Rechtsextremen abzulenken. Die extreme Linke wiederum versucht den arabischen Antisemitismus oft als politische Reaktion auf angebliche oder tatsächliche Aggressionen Israels zu rechtfertigen oder zu verharmlosen.
Viele Opfer sind Schüler
Seit drei Jahren sind in Berlin auch immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen jüdische Schüler von arabischen oder türkischen Mitschülern gemobbt wurden. Viele Schulen, Behörden und Experten bemühen sich seither verstärkt um Aufklärung und Prävention, etwa mit Antisemitismusbeauftragten oder Besuchen in früheren Konzentrationslagern. Diese Arbeit ist aber langwierig und schwierig. Und ohne die Mithilfe der muslimischen Eltern, Verbände und Vorbilder wird sie kaum gelingen.
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