Anwältin von Rupperswil-Mörder unter Beschuss
Laut dem Gericht soll Renate Senn die Opfer mitverantwortlich für die Tat gemacht und zu viel in Rechnung gestellt haben. Experten widersprechen.

Fünf Monate ist es her, dass das Bezirksgericht Lenzburg den Vierfachmörder von Rupperswil zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mit anschliessender Verwahrung verurteilt hat. Gleichzeitig verordnete es eine ambulante Therapie. Nun liegt das schriftlich begründete Urteil vor. Es umfasst 161 Seiten und kann von den Parteien während 20 Tagen angefochten werden. So weit, so normal.
Ungewöhnlich sind am Urteil zwei Dinge: Zum einen legen die Richter darin offen, dass sie sich über die Form der Verwahrung für Thomas N. uneinig waren. Eine Minderheit sprach sich für die lebenslange Verwahrung aus und folgte damit dem Antrag der Staatsanwältin. Die Mehrheit befürwortete die ordentliche Verwahrung. Bereits bei der mündlichen Urteilsverkündung hatte Gerichtspräsident Daniel Aeschbach diese Meinungsverschiedenheit öffentlich gemacht. Nun auch noch schriftlich – laut Strafrechtsexperten ist das die absolute Ausnahme.
Opfer verhöhnt?
Ungewöhnlich am schriftlich begründeten Urteil ist auch, dass das Gericht Kritik an Verteidigerin Renate Senn übt. Aus seiner Sicht hat sie in ihrem dreistündigen Plädoyer die Opfer verhöhnt. Bis zuletzt habe sie versucht, ihnen die Verantwortung für das Handeln des Täters zuzuschieben. Das zeige, dass bei Thomas N. weder echte noch aufrichtige Reue vorhanden sei.
Die Richter stören sich auch an den Honorarnoten der Verteidigerin. 115112 Franken betragen sie bis zur Hauptverhandlung. Dazu kämen noch die Auslagen für den Gerichtsprozess selbst. Statt des üblichen Aargauer Anwaltstarifs von 200 Franken habe Senn 220 Franken pro Stunde verrechnet, schreibt das Gericht. Zwar sei das Verfahren «sehr zeitintensiv» gewesen. Dies schlage sich aber in der Anzahl Stunden nieder und nicht in der Höhe des Stundenansatzes.
Video – Reaktionen auf das Urteil (14. März 2018)
Auch die Anzahl verrechneter Stunden ist den Richtern zu hoch. So sei nicht ersichtlich, wieso Senn Telefonate von mehr als zehn Stunden mit der Mutter von Thomas N. verrechnet habe. Oder den Fachaustausch mit Rechtsanwälten. Oder das Lesen diverser Zeitungsartikel.
All dies gehöre nicht zu den notwendigen Aufgaben einer amtlichen Verteidigerin und müsste eigentlich aus der Honorarrechnung gestrichen werden, schreibt das Gericht. «Aus Praktikabilitätsgründen» streiche man ihr jedoch die Entschädigung für den Prozess. Auch ohne diese werde Senn «überaus angemessen entschädigt».
«Es ist auch eine symbolische Strafe», folgert die «Schweiz am Sonntag», die über die Honorarkürzung berichtet hat. «Senns Plädoyer ist dem Gericht keinen Rappen wert.» Auch der Zürcher Strafverteidiger Valentin Landmann kritisiert auf Tele M1 die von Senn verrechneten Arbeitsstunden: «Es ist ein grotesk hoher Aufwand.» Auch bei sehr komplexen Wirtschaftsdelikten habe er noch nie eine so hohe Rechnung einreichen müssen. Senns Plädoyer wiederum nehme er in Vorlesungen zum Thema Strafverteidigung als «krasses Beispiel, wie man auf keinen Fall verteidigen soll».

Es ist nicht das erste Mal, dass Renate Senn solch heftige Kritik einstecken muss. Als sie das Mandat von Thomas N. im Mai 2016 annahm und sich nicht sofort äusserte – Kritik. Dann meldete sie sich per Medienmitteilung zu Wort: Sie werde ihre Arbeit mit allem Respekt und mit Würde gegenüber den Opfern und den Hinterbliebenen wahrnehmen. Aus diesem Grund könne und werde sie ihren Mandanten «weder in der Öffentlichkeit verteidigen noch als dessen Sprachrohr dienen». Sie schrieb auch, dass Thomas N. Anrecht auf einen korrekt durchgeführten Prozess habe. Doch das ging in der Kritik unter, die folgte. Es gehe nicht an, dass Senn sich als Anwältin öffentlich von ihrem Mandanten distanziere, empörte sich ihr Zürcher Kollege Thomas Fingerhuth. «Wer, wenn nicht der Verteidiger, ist das Sprachrohr eines Täters?», fragte er in der «SonntagsZeitung». Das rief den Aargauischen Anwaltsverband auf den Plan, der sich öffentlich hinter Senn stellte. Auch Strafverteidiger nahmen sie in Schutz.
Dann kam der Prozess, und Senn wurde erneut angegriffen. Wegen ihres Plädoyers, in aller Heftigkeit. Als das Urteil verkündet war, sagte sie: «Ich habe nur meinen Job gemacht.» Dieser Ansicht sind auch zwölf Strafverteidiger, darunter bekannte Namen wie Matthias Fricker, Niklaus Ruckstuhl und Konrad Jeker. Sie verteidigen Kollegin Senn in einer gemeinsamen Stellungnahme – weil die Kritik mit der Veröffentlichung des Urteils eine neue Dimension angenommen habe.
«Dass nun auch das Gericht in dieses Horn stösst, ist purer Populismus.»
Als Sprecher der Gruppe tritt Thomas Fingerhuth auf, der Senn vor gut zwei Jahren kritisierte. «Was wir jetzt erleben, ist nicht nur eine Diffamierung von Frau Senn, sondern von allen Strafverteidigern, die ihren Job ernst nehmen», sagte er der «Aargauer Zeitung». Etablierte Medien und anonyme Blogger hätten keine Hemmungen, Senn und ihre Arbeit öffentlich herabzusetzen. Dies grenze an Rufmord. «Dass nun auch das Gericht in dieses Horn stösst, ist purer Populismus.»
Aus Sicht von Fingerhuth hat Senn die Opfer nicht verhöhnt. Sie habe einzig das Verhalten der Opfer aus Perspektive ihres Mandanten geschildert. Auch bezüglich Honorarrechnung verteidigt der Anwalt seine Kollegin: Diese sei «ganz sicher nicht überhöht». In Zürich betrage der Ansatz 220 Franken, und auch das sei ein «sehr tiefer Tarif». Renate Senn selbst will sich derzeit nicht öffentlich äussern.
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