«Arbeiten, wo andere Urlaub machen»
Werner Bätzing, Geograf und Autor sieht ein mögliches Potenzial in digitalen Dörfern. Doch dies auch nur bedingt.

Herr Bätzing, was sind digitale Dörfer? Für diesen Begriff gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Ein rein digitales Dorf wäre auch sinnlos, denn natürlich gibt es auch in digitalen Dörfern das analoge Wirtschaften in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, Tourismus oder Handwerk. Deshalb würde ich es so beschreiben: Ein digitales Dorf wäre ein Dorf, das neben den traditionellen Wirtschaftsaktivitäten via Internet einen Wirtschaftsbereich besitzt, der digital funktioniert.
Ist es sinnvoll, digitale Dörfer in Bergregionen zu schaffen? Ja, sehr. Einmal zur Stärkung der Peripherie und zur Stärkung von peripheren Arbeitsplätzen in unternutzten Siedlungsstrukturen, und zum andern – was genauso wichtig ist – als Entlastung der Zentren, die aus allen Nähten platzen und weitere Zuwächse nicht mehr verkraften.
Kennen Sie bereits funktionierende Beispiele? Leider nicht, bestenfalls schwache Ansätze.
Welches Potenzial haben Tele-Arbeitsplätze in Bergregionen? Dank der neuen Technik können viele Wirtschaftsaktivitäten, die nicht an einen bestimmten Standort gebunden sind, auch in der Peripherie ausgeübt werden. Das hat drei zentrale Vorteile: erstens die günstigen Boden- und Mietpreise. Zweitens das grosse Platz- und Raumangebot, denn es gibt oft grosse Nebengebäude, die leer stehen oder unternutzt sind. Drittens die Lebensqualität: Arbeiten, wo andere Urlaub machen.
Und warum wird das noch nicht öfter gemacht? In der Schweiz gab es in den 1980er- und 1990er-Jahren grössere Forschungsprojekte zum Thema Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Berggebiet dank neuer Technologie. Im Ergebnis waren die Effekte aber immer bescheiden, weil die Technik zwar viel Verlagerungspotenzial bereitstellt, die Menschen dies aber nur eingeschränkt nutzen.
Warum? In einem peripheren Bergdorf zu arbeiten und zu leben, erfordert einen bestimmten Lebensstil. Viele junge Menschen, die ein Start-up-Unternehmen gründen, haben einen grossstädtischen Lebensstil oder brauchen den engen räumlichen Kontakt zu ihren Kollegen, zu ihrer ehemaligen Universität oder zu anderen ähnlich strukturierten Unternehmen. Dann ist ein Umzug in ein Bergdorf nicht denkbar. Zielgruppe für das digitale Dorf sind daher in erster Linie Menschen, die aus diesem Dorf stammen, die eine Ausbildung in der Stadt gemacht haben und dann in ihr Heimatdorf zurückkehren, um sich dort mittels digitaler Vernetzung einen Arbeitsplatz aufzubauen. Diese Menschen wissen, auf welches Alltagsleben sie sich einlassen, sie sind in der Regel in der Lage, zwischen dem traditionellen Dorfleben und dem modernen Leben zu vermitteln. Sie könnten dazu beitragen, dass ein Dorf neue Perspektiven entwickelt.
Sollte der Staat anschieben? Es braucht die entsprechende Infrastruktur. Erfahrungen aus Bayern und Österreich zeigen zudem, dass Betriebsgründungen in der Peripherie für die Gründer oft sehr schwierig und risikovoll sind; wenn der Staat solche Gründungen unterstützt, kann die Zahl der Betriebsgründungen deutlich erhöht werden.