Asylskandal bringt Horst Seehofer in Not
In 1200 Fällen soll in Bremen eine frühere Amtschefin Flüchtlingen missbräuchlich Asyl gewährt haben. Das Bundesamt in Berlin ignorierte den Verdacht.

Nuri Khalil nennt der «Spiegel» den Kurden, der erzählt, wie leicht man in Bremen Asyl bekommen konnte. Khalil lebt seit 20 Jahren in Deutschland, sein Asylgesuch war längst abgelehnt worden, eigentlich hätte er ausreisen müssen. Da erfuhr er 2015, dass es in Hildesheim einen Anwalt gebe, der ihm helfen könne: 1000 Euro zahlte er diesem bar auf die Hand, ein paar Monate später erhielt er Asyl.
Weil es so gut geklappt hatte, schickte Khalil seinen Bruder hinterher: Für ihn kostete es 500 Euro – und nochmals 1500 für den Rest der Familie, als der positive Bescheid kam. Khalil wies der Behörde einen gefälschten syrischen Ausweis vor, der aus dem damaligen Hoheitsgebiet der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stammte. Obwohl es offensichtlich war, dass er über seine Herkunft log und der Hinweis auf den IS eine Sicherheitsüberprüfung hätte auslösen müssen, winkte ihn das Amt durch.
«Mutter Teresa von der Weser»
Zwischen 2013 und 2016 sollen Fälle wie der von Khalil bei der Bremer Aussenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Alltag gewesen sein. Hunderte von Flüchtlingen sollen missbräuchlich zu Asyl gekommen sein – vor allem Kurden, die sich als syrische oder irakische Jesiden ausgaben. Im Zentrum des Systems standen die Leiterin der Bremer Filiale, Ulrike B., und der Anwalt Irfan C. Die «Mutter Teresa von der Weser» machte mit den Asylbescheiden Flüchtlinge glücklich, ihr Hildesheimer Komplize hielt ihr diese busladungsweise zu. Mitarbeiter sagen, Ulrike B. habe von Irfan C. geschwärmt und ihn auch privat getroffen. Die Amtsleiterin sorgte dafür, dass die Anträge ihres Lieblingsanwalts vorgezogen und meist ohne weitere Prüfung genehmigt wurden. Zudem behändigte sie Anträge aus anderen Bundesländern und stürzte deren Entscheide um.
Seit Herbst letzten Jahres ermittelt die Bremer Staatsanwaltschaft gegen Ulrike B. und Irfan C. sowie gegen weitere mit diesem befreundete Anwälte und einen Übersetzer wegen bandenmässigen Asylmissbrauchs, Betrugs und Korruption. Ob die Motive der beiden «Fluchtengel» eher ideeller oder finanzieller Art waren, ist noch nicht klar. Die Behörde hat überdies begonnen, alle 18'000 Asylentscheide zu überprüfen, die seit 2000 in Bremen gefällt wurden – zudem alle anderen, an denen Ulrike B. und Irfan C. beteiligt waren sowie weitere von Ämtern, die stark abweichende Anerkennungsquoten aufweisen.
Aus Sorge um den Ruf des Amtes
Der Skandal von Bremen fällt Bamf-Chefin Jutta Cordt und ihrem Vorgesetzten, dem neuen Innenminister Horst Seehofer, nun auf die Füsse, obwohl die Verfehlungen zum grössten Teil vor ihrer Zeit im Amt geschehen sind. Seit Anfang 2014 gab es eine Fülle von internen Meldungen, detaillierten Berichten, später auch externen «Brandbriefen», die die Nürnberger Zentrale auf das mutmasslich kriminelle Gebaren hinwiesen. Doch diese ging dem Verdacht erst entschieden nach, als nach einem besonders dreisten Fall eine Anzeige unvermeidlich war.
Noch Anfang 2017 ordnete ein Abteilungsleiter intern an, aus Sorge um den Ruf des Amtes sei den Hinweisen möglichst «geräuschlos» und nicht «bis ins Detail» nachzuforschen. Die Untätigkeit mag zu einem Teil dem heillosen Chaos geschuldet gewesen sein, in welches das Amt ab 2015 in der Flüchtlingskrise stürzte. Allerdings gibt es auch Indizien, dass Ulrike B. in der Zentrale Komplizen gehabt haben könnte, die sie vor allzu scharfer Nachfrage schützten.
Chefin wusste Bescheid
Bamf-Chefin Cordts Amt steht in akuter Gefahr, seit bekannt wurde, dass sie bereits kurz nach ihrem Antritt Anfang 2017 eine Mail erhalten hatte, die darstellte, was in Bremen schiefgelaufen war. Weder hatte sie danach gehandelt, noch hatte sie diesen Umstand dem Bundestag zur Kenntnis gebracht, als sie letzte Woche befragt wurde. Schlimmer noch, sie liess auch ihren neuen Dienstherrn Seehofer ins offene Messer laufen. Dieser wusste nichts von der Bremer Affäre, als er Cordt Anfang April in Nürnberg zum Antrittsbesuch traf – obwohl diese schon im Dezember einen internen Bericht auf dem Tisch liegen hatte.
Seehofer, der bei Skandalen schon früher unerbittlich aufräumte, hat angekündigt, er werde «alles tun», um das Vertrauen ins Bamf wiederherzustellen – «organisatorische und personelle Konsequenzen» inklusive. Der Innenminister möchte vor allem abwenden, dass im Bundestag ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Dies haben FDP und Alternative für Deutschland (AfD) bereits gefordert; allerdings sind sie dafür auf die Hilfe der Grünen angewiesen, die einen Ausschuss nur als «letztes Mittel» sehen.
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