Viele Männer, die zu mir kommen und sich für ihre Hochzeit einen Anzug schneidern lassen möchten, wollen auf diesen Tag hin abnehmen. Sie nehmen nie ab! Trotzdem sage ich ihnen bei unserem ersten Treffen, dass sie theoretisch bis zu fünf Kilo zu- oder abnehmen könnten. Das ist der Stoffumfang, den ich bearbeiten kann. Mehr als drei Monate im Voraus würde ich darum einen Hochzeitsanzug auch nicht schneidern.
In gewissen Läden in Zürich müssen korpulente Kunden zehn Prozent mehr bezahlen, weil es für ihre Körper mehr Stoff braucht. Aber was ist mit einem sehr dünnen Kunden? Dem müsste man ja viel weniger verrechnen – was dann niemand macht. Wir machen keinen Preisaufschlag, wir verrechnen unsere Arbeit und nicht den Stoff. Ein Anzug kostet bei uns 890 Franken aufwärts. Ich will alle ansprechen: Lehrlinge, Pensionierte, Politiker, Sportler, Banker. Im vergangenen Jahr habe ich für eine Familie aus dem Libanon und den USA Anzüge gemacht, die hörten von mir durch einen Freund. Via E-Mail habe ich ihre Masse genommen, anhand von Bildern – hat alles gut geklappt!
Ich mache auch Businessanzüge, aber Hochzeitsanzüge sind das Hauptgeschäft – die Leute heiraten fast das ganze Jahr über, von Januar bis September. Mir ist es enorm wichtig, dass der Bräutigam gut aussieht. Wir müssen ihn näher zur Braut rücken; sie ist ja eigentlich der Mittelpunkt an einer Hochzeit. Ich will, dass der Mann neben ihr besteht.
Plötzlich diese Vielfalt
Beim ersten Treffen frage ich den Kunden nach dem Hochzeitsdatum, dem Kleid, das die Frau tragen wird, und nach seinen Vorstellungen. Trägt sie klassisch, kann er nicht zu ausgefallen sein. Einer wollte einmal die Italien-Flagge auf die Ärmel seines goldenen Anzugs genäht haben. Das habe ich nicht gemacht: Seine Frau trug ein langes weisses Kleid mit Spitzen, es hätte einfach nicht gepasst. Stattdessen habe ich ihm die Knopflöcher in den Farben Italiens gestickt.
Bei mir kann man alles auswählen: Hemd, Manschettenknöpfe, Anzahl Knöpfe fürs Jackett, Innenfutter. Es soll möglichst individuell sein. Einer meiner Kunden war bei der Schweizergarde: Seine Zukünftige hatte er in Rom kennen gelernt. Er hat mir Stoff mit Abbildungen von Rom gebracht, den habe ich als Innenfutter für seine Jacke benutzt. Manchmal sticke ich auch kleine Texte hinein, wenn das jemand wünscht. Bei der Wahl des Innenfutters verlieren die meisten Kunden die meiste Zeit. Obwohl man es gar nicht sieht! Die Anzüge, die man im Laden bekommt, sind ja immer gleich: aussen blau oder grau, innen blau oder grau. Kommen die Kunden dann zu mir, sehen sie plötzlich die Vielfalt an Möglichkeiten, die verschiedenen Stoffe und Muster. Sie sind überwältigt und fragen mich: Welches Hemd kann ich dazu anziehen? Aber es spielt gar keine Rolle – es ist ja nur innen. Ich ermuntere sie dazu, ein spezielles Innenfutter zu machen. Ich finde, an der Hochzeit soll man auch ein bisschen ausbrechen, etwas wagen.
Massgeschneidertes sollte aber klassisch bleiben. Beim Jackett mache ich entweder einen oder zwei Knöpfe – drei oder vier gibt es nicht, das ist keine Mode mehr, sondern schrumpft den Körper visuell, es wirkt beengend. Sonstige No-gos? Einer, der eher ein bleicher Typ ist, kann keinen beigen Anzug anziehen. Das macht ihn nur noch bleicher. Jeder Kunde ist schliesslich ein Visitenkärtchen für mich. Darum bin ich auch bei jedem neuen Anzug nervös.
Die Reinigung schadet dem Stoff
Es gibt gewisse Läden in Zürich, die fertigen Massgeschneidertes an, aber dann müssen Kunden doch noch recht viele Änderungen vornehmen lassen. Warum? Viele sagen offenbar: Lieber ein bisschen zu gross, dann kann man es noch verändern. Das verstehe ich nicht: Der Anzug muss einfach sitzen. In 99 Prozent ist das bei mir der Fall. Das eine Prozent sind Kunden, die es noch enger haben wollen oder denen ich es ein bisschen zu eng gemacht habe.
Das Wichtigste überhaupt sind die Länge und Breite bei den Oberschenkeln, bei den Oberarmen und Schultern und die Taillierung. Der Stoff muss gut fallen. Die Taschen am Jackett aussen lasse ich zugenäht – nicht dass jemand noch seine Brille oder sein Handy hineinsteckt und die Jacke ausbeult. Wer will, dem nähe ich dafür Innentaschen.
Wenn es auf dem Anzug Flecken gibt, soll der Kunde zuerst zu mir kommen, und ich entscheide, ob er ihn in die Reinigung bringen muss oder nicht. Die Reinigung schadet dem Stoff ja letztendlich, weil sie ziemlich aggressiv ist. Manchmal reicht es auch, die betreffende Stelle mit dem gleichen Stoff zu reiben.
Luis Figo auf Linkedin angeschrieben
Es war immer mein Traum, mit 30 mein eigener Chef zu sein. Vor vier Jahren, mit 31, habe ich es schliesslich geschafft: Meine Partnerin Michèle und ich führen jetzt unser Geschäft Fashion & Image Massanzüge, seit drei Jahren sind wir hier an der Häringstrasse 18 im Zürcher Niederdorf.
Ich muss schon auch schauen, dass ich zu Aufträgen komme. Den Fussballstar Luis Figo aus Madrid habe ich einfach auf Linkedin angeschrieben und gesagt, dass ich gerne etwas für ihn machen würde. Auf gut Glück reiste ich nach Madrid. Per Zufall ass er in jenem Hotel zu Abend, in dem ich schlief. Seither nähe ich für ihn Casual-Anzüge. Kariem Hussein, der Leichtathlet, ist auch ein Kunde von mir: Eines seiner Innenfutter besteht aus seinem Wettkampfleibchen. Das sind wichtige Werbeträger für mich. Ich selber trage nur mein eigenes Zeug. Das Geld gebe ich lieber bei mir aus!
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Auf das Innere kommt es an
Massschneider Oscar Pinnelli will mit seinen Hochzeitsanzügen dem Bräutigam jene Aufmerksamkeit geben, die er verdient. Mit einem besonderem Innenfutter etwa.