
Die Hausverwaltung des japanischen Parlaments hat zehn Tage Zeit, das Gebäude für Eiko Kimura rollstuhlgängig zu machen. Die 54-Jährige wurde am Sonntag ins Oberhaus gewählt. Sie wird mit ihrem roten Elektro-Rollstuhl kommen, auf dem sie mehr liegt als sitzt. Ihre Beine und die linke Hand sind gelähmt. Zusammen mit ihr wurde Yasuhiko Funaga gewählt, der fast komplett gelähmt ist. Die beiden sind die ersten Schwerbehinderten im japanischen Parlament.
Kimura stürzte als acht Monate altes Baby so unglücklich aus dem Kinderwagen, dass sie einen Halswirbel brach. Seither ist sie querschnittgelähmt. Ihre Kindheit verbrachte sie grösstenteils in Heimen. Seit 25 Jahren lebt sie in einem Projekt, das Schwerbehinderten zu möglichst viel Selbstständigkeit verhelfen will. Kimura hat ein pädagogisches Studium absolviert und ist Mitautorin zweier Bücher. Eines von ihnen stellt unter dem Titel «Ich lebe, töte mich nicht!» 21 Schwerbehinderte vor.
Die Vorurteile sind geblieben
Bis vor zwei Jahrzehnten schien es in Japan keine Behinderten zu geben, sie waren nicht sichtbar. Die Familien sperrten sie weg, sie schämten sich ihrer. Wagte sich jemand mit dem Rollstuhl doch an die Öffentlichkeit, schaute man weg. In U- und S-Bahnhöfen gab es keine Lifte, Amtshäuser hatten keine schwellenfreien Eingänge. Der Pfleger eines Heims, der vor drei Jahren 19 Patienten ermordete, sagte, die Existenz Mehrfachbehinderter sei nicht lebenswert.
Vieles ist besser geworden, Tokio nützt die Paralympischen Spiele für weitere Anpassungen. Die Vorurteile freilich sind geblieben. Ein Gesetz verpflichtet grosse Unternehmen, 2,2 Prozent ihrer Stellen für Behinderte zu reservieren, den Staat sogar zu 2,5 Prozent. Doch fast alle Ministerien fälschten die Zahl ihrer Behinderten.
Im Wahlkampf tourte Eiko Kimura in ihrem roten Rollstuhl durch Behinderteneinrichtungen, sie sprach – wie alle Kandidaten – auch vor Bahnhöfen. Am Montag in den ersten Morgenstunden, als ihre Wahl bestätigt wurde, fragte sie, ob das Parlament sie überhaupt nehme. Sie fühle «ein enormes Gewicht» der Verantwortung für die Behinderten, die ihr ihre Stimme gegeben hätten.
Kimuras Wahlsieg gilt als «Anti-Establishment-Wahl».
Der Stratege hinter ihrer Wahl ist Taro Yamamoto. Der populäre Schauspieler verlor nach der Katastrophe von Fukushima alle seine Fernsehjobs, weil er gegen die Kernkraft aufgetreten war. Als Antwort kandidierte er vor sechs Jahren fürs Oberhaus – und gewann mit einem Glanzresultat. Im April gründete er seine eigene Partei.
Er rekrutierte Kimura, Funaga und neun weitere Kandidaten, mit ihm auf einer Liste zu kandidieren. Er selber gewann am Sonntag deutlich mehr Stimmen als Kimura und Funaga, aber ein Kniff des Wahlgesetzes erlaubte es ihm, Kimura und Funaga den Vortritt lassen. Der 44-Jährige hat zugunsten von Kimura und Funaga auf die eigene Wiederwahl verzichtet.
Kimuras Wahlsieg gilt als «Anti-Establishment-Wahl». Dazu zählt auch das Mandat einer Kommunistin in Tokio, die Wahl eines offen Homosexuellen, von AKW-Gegnern und 28 Frauen – mehr als je zuvor. So viel «Anti-Establishment» gab es in Japans Parlament noch nie. Aber nur für Kimura und Funaga muss umgebaut werden.
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Auf dem roten Rollstuhl ins Oberhaus
Eiko Kimura ist die erste Querschnittgelähmte, die ins japanische Parlament gewählt wurde.