Auf dem Thron von Rajasthan
Aussergewöhnliches auf dem Hügel, Bescheidenheit im Dorf – in Bishangarh taucht der Besucher in zwei Welten Indiens ein.

Das Geschäft läuft, für den nächsten Tag ist eine grosse Gruppe angekündigt, das bedeutet: volles Haus. Der Chef lächelt, er lehnt sich bei einem Glas Wein entspannt zurück. Sebastian Binny sitzt unter freiem Himmel auf der Terrasse im sechsten Stock des Hotels, in dem er als General Manager amtet. Er blickt hinüber zur Bühne, auf der eine lokale Musikgruppe die Gäste unterhält. Männer sorgen für Trommelwirbel, zwei Frauen für Artistik. Sie türmen auf ihrem Kopf Töpfe auf, bewegen sich dazu grazil und beeindrucken auch Binny. Dann schweift sein Blick in die endlos scheinende Ferne, bevor er die rhetorische Frage in die Runde platziert: «Gefällt es euch hier?»
Binny ist 43, aufgewachsen in Kerala im Südwesten Indiens und ein umtriebiger Gastgeber. Seit Oktober ist er nach Jahren auf den British Virgin Islands zurück in seiner Heimat, weil eine neue Aufgabe gerufen hat. Er leitet das Alila Fort Bishangarh, ein faszinierendes Hotel, in dem sich «Vergangenheit und Gegenwart treffen», wie es der Chef formuliert. Bloss: Ist es präzis genug, von einem Hotel zu schreiben?
Der Zerfall wurde gestoppt
Wer von Jaipur, der Hauptstadt des Bundesstaates Rajasthan mit drei Millionen Einwohnern, Richtung Norden fährt, erreicht nach anderthalb Stunden das Dorf Bishangarh mit 2000 Einwohnern. Und entdeckt auf einem kleinen Fleck Indien grosse Kontraste zwischen Luxus auf dem Hügel und alltäglicher Bescheidenheit ausserhalb des Forts.
Majestätisch erhebt sich diese imposante Anlage mit reicher Geschichte und erstaunlichem Wandel, als wäre sie der Thron von Rajasthan. Sie diente einst als Fort, um das Königreich von Jaipur gegen Eindringlinge zu schützen, verwahrloste danach aber zusehends. Die Ruine wurde das Zuhause von Fledermäusen und Affen – bis zwei Unternehmer vor zehn Jahren beschlossen, den Zerfall der Festung zu stoppen.

Sie entwarfen Pläne, um ein Luxusresort hochzuziehen, und verzichteten bewusst darauf, einen prunkvollen Palast zu bauen, um den Charakter und somit das Einzigartige des Forts beizubehalten. Ritu und Sandeep Khandelwal, ein Architektenpaar aus Jaipur, wurden mit der Umsetzung beauftragt – und damit mit einer komplexen Aufgabe. «Es war zwar kompliziert», sagte Sandeep Khandelwal einmal, «aber wir waren so fasziniert, dass wir diese Aufgabe unbedingt lösen wollten.»
Behandlungen im Spa-Bereich
Der Um- und Neubau erstreckte sich über neun Jahre, und als im vergangenen Sommer das Alila Fort Bishangarh eröffnet wurde, kam Verblüffendes zum Vorschein: ein einzigartiges Hotel mit verwinkelten Gängen und 59 Zimmern oder besser: 59 Suiten in 5 Kategorien und mit 22 verschiedenen Layouts. Jede hat eine Mindestfläche von 52 Quadratmetern – und einen wunderbaren Fernblick.
Wenn Hotelmanager Sebastian Binny nun vom Feedback der Gäste in den ersten Monaten erzählt, kann er sich kurz halten: «Sie sagen alle: Wow!»
Das Fort ist offiziell nicht klassifiziert und bietet doch alle Annehmlichkeiten eines Fünfsternhauses, von Schlafkomfort über fantastisches Essen bis Behandlungen im Spa. Und man könnte leicht auf die Idee kommen, dass es wie ein Fremdkörper wirkt in einer Gegend, in der viele Menschen in einfachsten Verhältnissen leben. Solchen Gedanken kann Binny nichts abgewinnen, er sieht im Hotel einen Wirtschaftsmotor für die Region, ein perfektes Argument, um das Geschäft mit Touristen anzukurbeln. «Wir schaffen viele Arbeitsplätze», sagt er, «die Leute im Dorf wissen das und stehen deshalb auch hinter dem Projekt.»
Töpfern und Teppiche weben
Der Weg führt hinunter, raus aus dem Fort, hinein ins Dorfleben von Bishangarh, es geht über eine holprige Strasse, vorbei an Kühen, Ziegen, zu einem kleinen Hof mit sandigem Vorplatz. Drei Büffel sind angekettet, sie gehören zum Kapital der Familie, die hier lebt: Die Vierbeiner liefern Milch, die auf dem Markt verkauft wird. Ein Mann hockt vor einer Drehscheibe und demonstriert die filigrane Kunst des Töpferns. Mit beeindruckender Geschwindigkeit und Leichtigkeit formt er Lehm zu Vasen und Bechern in verschiedenen Grössen. Er liefert sie an Läden und erhält dafür ein wenig Geld.
Vor einem anderen Haus ist eine Frau daran, einen Teppich zu weben. Sie wirbelt mit flinken Fingern, stundenlang macht sie das. Bis sie dieses Werk vollendet hat, werden mehrere Wochen vergangen sein. Reich wird sie damit zwar nicht, aber immerhin hat sie die Gewissheit, dafür doch entschädigt zu werden. Der Teppich ist von einem Händler bestellt worden.
«Wir profitieren in irgendeiner Form alle davon»
Der Juwelier des Dorfes zeigt stolz sein breites Angebot, alles Handarbeit. Und preiswert. Sein Geschäft ist auch Treffpunkt für Senioren, sie geniessen die wärmende Sonne und schauen hoch zum Fort. Wie sie das finden, ein solches Resort, das sich nur Gäste mit einem gut gefüllten Portemonnaie leisten können? «Kein Problem», sagen sie, «wir können in irgendeiner Form alle davon profitieren.»

Autos und Motorräder fahren vorbei, an das ständige Hupen hat sich der Fremde längst gewöhnt. Übertönt wird das Ganze an diesem Mittag von Musik, die aus mächtigen Lautsprechern dröhnen muss, so laut ist sie. Eine Hochzeit steht bevor, und das heisst in der indischen Version: Es wird laut, bunt und vermutlich lang. Ein Volksfest, das schon einmal ein paar Tage dauern kann.
Teetrinken beim Eremiten
Von alldem bekommt Parmanand nichts mit. Er ist 69 und Sadhu-Priester, der sich von seiner Familie verabschiedet hat und nun fernab des Dorfes lebt. Er hat sich ins nahe Aravalligebirge zurückgezogen, die meiste Zeit verbringt er damit, in seinem kleinen Tempel zu beten. Fremde empfängt Parmanand herzlich, er braut für sie Tee und setzt aus Jux eine Sonnenbrille auf, die ihm ein Besucher geschenkt hat. Die Nächte verbringt er oft auf der Pritsche vor seiner Hütte. Parmanand lebt zwar in der Einsamkeit, er hat auch nicht vor, daran jemals noch etwas zu ändern. Und doch ist er nicht immer allein. Er erhält oft Gesellschaft, etwa, wenn die Leute aus dem Dorf ihn mit Nahrungsmitteln versorgen, und das tun sie regelmässig. Mit dem heiligen Mann wird sehr respektvoll umgegangen. Als wir uns verabschieden, winkt er zufrieden. Er setzt sich auf seine Pritsche.
Zurück im Alila Fort, zurück in der Welt, die keine Wünsche offenzulassen scheint: Rajat Chandna ist der Chef de Cuisine des Hotels und Vorgesetzter von 25 Köchen. Er referiert über die Besonderheiten der Gerichte von Rajasthan. Wer es sehr gut gewürzt und sehr scharf mag, ist in dieser Region Indiens bestens aufgehoben. Dann wirbelt Chandna und erteilt zur Mittagsstunde eine Lektion am Herd.
Am Abend taucht Chandna auf der Terrasse wieder auf, es ist spät geworden, der Tag anstrengend gewesen. Er fragt: «Wie wars? Alles okay?» Sein Chef Sebastian Binny hebt den Daumen, die Gäste am Tisch nicken und lächeln. Wie könnte es auch anders sein?
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Die Reise wurde unterstützt von Alila Hotels & Resorts und Tourasia.
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