Auf die Flut folgt eine Welle ethnischer Konflikte
Durch den Zustrom an Hochwasser-Flüchtlingen nach Karachi spitzen sich die ethnischen Konflikte zwischen den ansässigen Muhajirs und den ankommenden Sindhis zu.
Hunderttausende Betroffene der Flutkatastrophe in Pakistan suchen in der 18-Millionen-Metropole Karachi Zuflucht. Wie das «Wall Street Journal» auf seiner Website berichtet, führt der Zustrom der Landbevölkerung in die Grossstadt jetzt zu ethnischen Konflikten, die die Regierung des pakistanischen Präsidenten Zardari zu destabilisieren drohen.
Die meisten Flüchtlinge sind ethnische Sindhis, die sich durch Sprache und ländliche Kleidung von der Bevölkerungsmehrheit in Karachi, den sogenannten Muhajirs, die Urdu sprechen, unterscheiden. In der Vergangenheit ist es immer wieder zu Zusammenstössen zwischen diesen zwei Bevölkerungsgruppen gekommen: Karachi liegt zwar in der Provinz Sindh, erhielt aber 1947 bei der Loslösung Pakistans von Indien durch den Zustrom muslimischer Flüchtlinge eine Urdu-sprechende Bevölkerungsmehrheit.
Schüsse auf Flüchtlinge
Am vergangenen Montag brach dieser schwelende Konflikt wieder auf. Polizei und paramilitärische Kräfte in Karachi schossen auf Hunderte Sindhi-Flüchtlinge, die 200 unbewohnte Wohnungen in einem Vorort besetzt hatten. Dabei kamen drei Personen ums Leben, 16 wurden verletzt. Nach diesem Vorfall wurde ein Lokalpolitiker verhaftet, der einer Partei von Sindhi-Nationalisten angehört. Dieser hatte die Flüchtlinge anscheinend aufgefordert, die Wohnungen zu besetzen.
Ein Politiker der regierenden Muhajir-Partei MQM, Khawaja Hassan, zeigte sich gemäss «Wall Street Journal» sehr besorgt: «Wenn sie (die Sindhis) zu Hunderttausenden kommen, wie sollen sie überleben?» Der wahre Anlass für diese Sorge ist allerdings eher die Befürchtung, die eigene Klientel könne dereinst nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die Muhajir-Partei versucht sie nicht nur gegen die Sindhis zu verteidigen.
In den vergangenen Jahren kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der MQM und Paschtunen, die vor den Kämpfen zwischen den Taliban und den Regierungsstreitkräften im Nordwesten Pakistans in den Süden nach Karachi flohen. Die Gewalt zwischen Muhajir und Paschtunen soll bereits über 1000 Menschenleben gekostet haben. Als Rechtfertigung ihrer Opposition gegen den Zustrom an Paschtunen verweist die MQM gerne auf die Verhaftung des Taliban-Führers Abdul Ghani Baradar in Karachi im vergangenen Februar.
1 Million Flüchtlinge werden erwartet
Für Karachi sind die flüchtenden Sindhis, die sich in jüngster Vergangenheit in Bezug auf ihre Ansprüche auf «ihre» Stadt zurückgehalten haben, eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Zerreissprobe: Zwar hat die Regierung der Provinz Sindh angesichts der rund 1 Million erwarteten Flüchtlinge 30 Flüchtlingslager um Karachi errichtet. Dort müssen die Flutopfer allerdings in der brütenden Hitze in überfüllten Zeltdörfern ausharren. Etwas besser sieht es in einem nördlichen Vorort von Karachi aus, wo gemäss «Wall Street Journal» 10'000 Personen in Wohnungen einquartiert sind, die der Regierung gehören – jedoch bei einer Belegung von 10 Personen pro Zimmer.
Angesichts des Leids der Flüchtlinge wirken die Äusserungen der Politiker Karachis, die den alten Konflikt zwischen Sindhis und Muhajir anheizen, völlig deplatziert. Den lokalen Sindhi-Nationalisten sind die Flüchtlinge natürlich sehr willkommen, würden sie bei einem Verbleiben in Karachi die Machtverhältnisse in der Grossstadt zu ihren Gunsten verändern. Auf der anderen Seite stehen die Muhajir-Politiker, die die Sindhis möglichst vor den Toren der Stadt behalten möchten. Dass die ehemaligen Flüchtlinge aus Indien keine Flüchtlinge aus der Umgebung wollen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, bedeutet doch das arabische Wort «Muhajir» nichts anderes als «Flüchtling».
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