Auf die Knie für die Kunst!
Die Performance-Ausstellung «Action!» verwandelt das Kunsthaus Zürich in einen Spielraum. Das Publikum ist explizit aufgefordert mitzumischen.

Eines vorweg: Ziehen Sie bequeme Kleidung an. Und nichts Weisses. Denn: Sie werden, wenn Sie diese Ausstellung ernst nehmen, am Boden kriechen.
Aber alles der Reihe nach. «Action!» heisst die neue Schau im Kunsthaus Zürich, und der Name ist Programm: Da ist nichts mit Bildern an der Wand, sondern es geht um alle Arten der perform- und partizipativen Kunst. Also solche, bei der Künstler oder Kunstkonsument (oder beide) live etwas tun. Sprich: Es geht um Performance, um Happening, um Aktionskunst (und oft fliesst ja das eine ins andere).
Etwas mehr als einen Monat nur wird die Schau dauern, und sie ist ein rechtes Experiment. Nie zuvor gab es am Heimplatz Vergleichbares. Kuratorin Mirjam Varadinis musste recht lange Überzeugungsarbeit leisten; und jetzt, da man sie hat machen lassen, ist das Timing ziemlich perfekt. Denn zum einen ist es erst wenige Wochen her, dass in Venedig die 4-Stunden-Performance der Deutschen Künstlerin Anne Imhof den Goldenen Löwen für das beste Kunstwerk der Biennale abgeräumt hat. Zum anderen ist das Kunsthaus selbst grade total in Bewegung: Der «normale» Haupteingang ist nicht mehr; vorläufig betritt man das Museum über ein Provisorium, vorbei an der Baustelle und manchmal über etwas Schutt.
Ein Stück John Lennon
Und wenn man dann doch im Bührle-Saal ankommt, heisst es erst einmal: Schuhe ausziehen! Die libanesisch-syrische Künstlerin Mounira Al Solh hat gleich beim Eingang Holzpantinen in unterschiedlichsten Grössen bereitgestellt. Man schlüpft aus den eigenen Schuhen und klappert fremdbesohlt durch die Schau, bei jedem Schritt daran erinnert, dass man hier nicht nur Kunst konsumiert, sondern – klicker-di-klack! – auch ein bisschen mitproduziert.
Ja, man darf etwas davon sogar nach Hause nehmen: Wer sich bei dem Stapel schlichter Schwarzweissposter bedient, hält ein veritables Stück John Lennon und Yoko Ono in Händen. «WAR IS OVER» steht darauf, in fetten Versalien, und drunter, etwas kleiner, «If you want it». Wir kapieren: Dies ist weniger Feststellung als Aufforderung zu handeln. Und wem das nicht aktionistisch genug ist, leihe sich Marinella Senatores «Protest Bike» am Empfang aus: Von Fähnchen umflattert, kann man damit durch Zürich radeln und seine Mitmenschen via Megafon von dem unterrichten, was einen grade beschäftigt.
Kurz: Es kommt tatsächlich Schwung in dieses sonst eher etwas hüftsteife Haus. Und das bekommt ihm ungemein gut. Und uns, die wir nie recht wissen, was uns in dieser Schau wann erwartet, sowieso. Möglich, dass man zu einem Zeitpunkt durchs Museum läuft, da all die aneinandergereihten Bühnenräume leer stehen und man sich mit den Zeugnissen vergangener Aktionen begnügen muss. Zum Beispiel jener der legendären Guerilla Girls, die unzimperlich wie immer die US-Gedenkmonate dem trumpschen Modus angepasst haben (aus dem «Women's History Month» etwa wurde der «Locker Room Talk Month»). Oder Francis Alÿs' Video einer Aktion, für die er Hunderte Kinder an der Strasse von Gibraltar von marokkanischer und spanischer Seite her ins Meer und aufeinander zu laufen liess.
Historisches wird zeitgenössisch
Wer von Alÿs zu den Guerilla Girls gelangen will, muss sich nun eben auf alle viere begeben und durch eine nur meterhohe Passage des Choreografen William Forsythe kraxeln. Klar gibt es einen Schleichweg, aber psst! «Action!» fordert diese Schau schliesslich – von der Kunst und auch von uns. Und eigentlich sollte man da eh nicht unterscheiden: Schon 1967 forderte Happening- Vater Allan Kaprow, die Trennlinie zwischen Kunst und Leben müsse so fliessend wie möglich sein.
Ehrensache, hat man dem 2006 Verstorbenen im Herzen der Schau einen Platz eingeräumt. Einen Spielplatz, müsste man fast sagen, weil man sich da bei den bereitgestellten Autopneus bedienen und damit irgendwas Verrücktes anstellen kann. Oder, wahlweise, dem eigens dafür bisweilen aufkreuzenden Künstler San Keller dabei zuschauen.
So wird Historisches zeitgenössisch – und, umgekehrt, Zeitgenössisches historisch: Kann sich noch jemand an den «Skandal» erinnern, als Beyoncé an Obamas Inauguration Playback sang? Den Social-Media-Shitstorm hat die Britin Cally Spooner via LED-Schrift ins Kunsthaus geholt. Und manchmal – aber ohne Vorankündigung – wird eine Opernsängerin die bitterbösen Kommentare («if I see you I will spit on you») live vertonen.
Bleibt die Frage: Soll man den Besuch planen? Das üppige Performanceprogramm ist jedenfalls online. Aber Allan Kaprow und die anderen 30 Künstler der Schau würden wohl raten: einfach hingehen und sich überraschen lassen.
Bis 30. Juli. action.kunsthaus.ch
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