Auf ihn hören die Notenbankchefs
Der Zürcher Ökonom David Dorn gilt als einer der führenden Forscher zu Ungleichheit und Welthandel.

Jeden Sommer treffen sich in Jackson Hole, einem Bergort im US-Bundesstaat Wyoming, die mächtigsten Notenbankchefs der Welt. Eingeladen sind jeweils auch einige besonders einflussreiche Ökonomen, die ihre Forschungsarbeiten präsentieren dürfen. Nur einer von ihnen kam diesen Sommer von ausserhalb der USA: der 38-jährige Schweizer David Dorn, der an der Universität Zürich als Wirtschaftsprofessor tätig ist.
In Volkswirtschaftslehre zählt die Uni Zürich zu den führenden Hochschulen Europas – nicht zuletzt wegen ihrer Professoren, die aus der ganzen Welt stammen. David Dorn aber kommt aus der Schweiz – als einziger ordentlicher Professor der Fakultät. Im gleichen Gebäude, in dem heute sein Büro und die seiner Ökonomenkollegen untergebracht sind, befand sich früher eine Kantonsschule, die einst Dorns Vater besucht hat. Aufgewachsen ist er in Dielsdorf, die Matura hat er an der Kantonsschule Bülach gemacht. Studiert hat er dann in St. Gallen, wo er auch seine Doktorarbeit verfasste. Bereits damit erreichte er, wovon viele Ökonomen nur träumen: Das international wichtigste Organ der Zunft, die «American Economic Review», hat das erste Kapitel seiner Doktorarbeit als Beitrag abgedruckt. Heute erhält der junge Professor immer wieder Angebote anderer Universitäten.
Für seinen Erfolg gibt es gute Gründe. Der 38-jährige unverheiratete Dorn gilt als einer der führenden Forscher in jenen Themen, die im Moment am meisten bewegen: die Folgen der Globalisierung und der neusten technologischen Entwicklungen für die Arbeitsmärkte und die Ungleichheit. «Es ist eine neuere Entwicklung, dass Zentralbanker sich für den internationalen Handel und die Ungleichheit interessieren», sagt Dorn zu seinem Auftritt in Jackson Hole.
«Heute können sich in der Ökonomie neue Ideen durchsetzen, selbst wenn sie nicht allen gefallen.»
Zusammen mit dem an der US-Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrenden David Autor und weiteren Ökonomen hat Dorn in jüngster Zeit die aufsehenerregendsten Studien zu diesen Themen verfasst. Er und seine Co-Autoren zeigten zum Beispiel, dass die steigenden Importe aus China in den USA zu einem deutlichen Stellenverlust in Teilen der Industrie geführt haben. Und dass dieser Verlust in anderen Bereichen der US-Wirtschaft nicht wieder wettgemacht wurde.
Er und seine Kollegen wiesen weitere negative Folgen der Chinaimporte auf, die über die Verluste bei Jobs und Einkommen hinausgehen: etwa eine grössere Sterblichkeit der Männer als Folge eines erhöhten Alkohol- und Drogenkonsums. Weniger Heiraten und Geburten, dafür eine Zunahme des Anteils der Geburten bei Unverheirateten und Teenagern. Ein besonders starker Anstieg war auch beim Anteil jener Kinder festzustellen, die in verarmten Haushalten mit nur noch einem Elternteil aufwachsen.
Dorn untersuchte zudem schon lange vor der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, wie die Importkonkurrenz durch chinesische Produkte auf die Politik in den USA gewirkt hat. Das Resultat: Vor allem dort, wo diese Konkurrenz besonders stark war, haben moderate Volksvertreter am deutlichsten an Zuspruch verloren.
Die Ergebnisse von Dorns Forschung stehen im Widerspruch zu dem, was Ökonomen lange für gesichertes Wissen hielten und gelehrt haben: Freihandel nützt letztlich allen. Selbst in der Theorie war zwar klar, dass Konkurrenz aus dem Ausland in einigen Branchen Verlierer produzieren würde. Doch unter dem Strich sollte die Gesellschaft gewinnen, weil durch die Öffnung der Grenzen günstigere und mehr Produkte verfügbar sind. Und wenn die Gesellschaft insgesamt schon gewinnt, dann stehen auch Mittel zur Verfügung, um die Verlierer zu entschädigen.
Alte Dogmen halten nicht mehr
Das Problem ist allerdings, dass es nie zu einer solchen Entschädigung gekommen ist. Wie Dorn und seine Kollgen zeigen, waren die dazu aufgesetzten Programme etwa in den USA und in der EU deutlich zu tief dotiert im Vergleich zum Einbruch der Einkommen, den die Importkonkurrenz ausgelöst hat.
Gemäss hergebrachter ökonomischer Theorie müsste der Freihandel auch dazu führen, dass ein Land sich bei der Produktion auf jene Bereiche konzentriert, in denen es relativ die grösste Produktivität aufweist – Ökonomen sprechen vom komparativen Kostenvorteil. Das erfordert aber einen Wandel der Wirtschaftsstrukturen. Kapital und Beschäftigte müssen die nicht mehr konkurrenzfähigen Bereiche verlassen und sich auf jene konzentrieren, in denen der komparative Kostenvorteil liegt. Wie Dorn in Jackson Hole den versammelten Notenbankern gezeigt hat, findet ein solcher Anpassungsprozess nur extrem langsam statt – bis zu 10 Jahre kann es dauern, bis 90 Prozent der Anpassung vollbracht sind –, selbst wenn den Beschäftigten an anderen Orten und in anderen Sektoren höhere Löhne winken.
«Die Ökonomik hat in den letzten drei Jahrzehnten eine unglaubliche Transformation durchgemacht», sagt Dorn dazu. Seine Forschungsresultate würden alte Weisheiten seines Fachs teilweise infrage stellen. Noch in den 80er-Jahren seien vorwiegend mathematische Modelle im Zentrum der ökonomischen Forschung gestanden, erklärt er. «Heute dominiert die Empirie: das Sammeln und Auswerten von Daten zur Erforschung der ökonomischen Lebensrealität.» Das sei auch durch bessere statistische Methoden und technologische Fortschritte möglicht geworden. Dank der Empirie spielen laut Dorn auch Ideologien innerhalb der Ökonomie heute eine kleinere Rolle.
Die Welt wird komplizierter
Besonders in der Makroökonomie waren einst Richtungskämpfe legendär: So hat allein die Frage, ob Märkte ohne Eingriff vom Staat oder von der Notenbank zum Idealzustand finden, zu unendlichen Debatten und Dogmenstreitereien geführt. «Die Ökonomie war lange aufgeteilt in unterschiedliche Ideengebäude, die auf unterschiedlichen Annahmen über die Welt basierten», sagt Dorn. Diese Zeit ist gemäss dem Zürcher Professor aber vorbei: «Heute können sich in der Ökonomie neue Ideen durchsetzen, selbst wenn sie bisher universellen Annahmen zu widersprechen scheinen und nicht allen gefallen.» Junge Forscher hätten auch den Vorteil, keine Karriere verteidigen zu müssen, die auf bisherigen Forschungsresultaten und Lehrmeinungen basierten.
Die neue Art des Forschens macht die Dinge aber komplizierter als in der alten Welt der grossen Dogmen. Ein Beispiel dafür ist die Globalisierung. Hier gibt es kein Pro oder Kontra mehr. Die Feststellung, dass Freihandel zu grossen wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen kann, bedeutet nicht, dass die alten ökonomischen Ansichten auf den Kopf gestellt werden. Wie Dorn und seine Kollegen in ihren Studien nachweisen, kommt es bei der Beurteilung der Wirkung einer Politik wie eben des Freihandels sehr auf die konkreten Bedingungen in einem Land an. Ein generelles Urteil lässt sich schwer fällen. Vor allem in den ärmeren Schwellenländern hat die Globalisierung die durchschnittlichen Einkommen deutlich erhöht. Und selbst in den reichen Ländern profitieren grosse Teile der Bevölkerung.
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