Aufmarsch der Missverstandenen
Die Böhsen Onkelz sind eine der umstrittensten Bands. Für sie strömten die Massen gestern ins Zürcher Oberland. Darunter auch ein paar schwarze Schafe.
Der Voreingenommene würde nun erstmals leer schlucken: Sind das Hitlergrüsse, mit denen das Publikum in den ersten Reihen die Band begrüsst? Nein, natürlich nicht. Es sind Handys, die die Rückkehr der Böhsen Onkelz auf die Bühne festhalten sollen. Auch die Onkelz-Fans sind in der Neuzeit angekommen, die Stimmung bleibt nostalgisch. In der Gegenwart von rund 10'000 Fans, die gestern in Hinwil der Vergangenheit frönten
Auf dem Plakat des Festivals Rock the Ring, in dessen Rahmen das Konzert stattfand, sind die Böhsen Onkelz nicht gelistet. Gemäss Veranstalter habe die Band dies so gewünscht. Sie macht kaum Werbung, weil sie weiss, dass ihre Fans ohnehin erscheinen. Eine grössere, treuere Anhängerschaft dürfte es im deutschen Raum kein zweites Mal geben.
Das Eingeschworene ist an diesem Abend ab der ersten Textzeile zu spüren. Fast alle Fans singen mit, Wort für Wort, die Fäuste gereckt: «Hier sind die Onkelz, schnall dich an. Warum willst du laufen, wenn du fliegen kannst.» Wer dazu gehört, der lässt sich treiben. Wem die Band weniger vertraut ist, staunt und bleibt aussen vor. Er gehört nicht zur «Familie», die die Band im Laufe des Konzerts immer wieder beschwört.
«Für immer Böhse»
Die Familie gibt sich auch äusserlich zu erkennen. Tausende Fanshirts, viele Tattoos. Die Treue auf ewig in die Haut geritzt: «Für immer Böhse» steht auf Stefans Nacken, der aus Nürnberg angereist kam. «Die Onkelz sind eine Lebenseinstellung». Stefans Bilanz: 25 Jahre Onkelz-Fan und nur zwei Konzerte verpasst. In einem Fall sei gerade sein Sohn auf die Welt gekommen. Mit den Onkelz sei es wie mit jeder Lebenseinstellung, sagt Stefan. «Entweder du ziehst sie voll durch, oder du lässt es bleiben.» Näher kann oder will er die Faszination dieser Band nicht erklären. «Nur wer dabei ist, kann das verstehen.»
Die Böhsen Onkelz sind ein Rockphänomen aus Frankfurt am Main, deren Mitglieder und Fans sich schon immer missverstanden fühlten. Rechtsradikale und frauenverachtende Texte aus den frühen 80er-Jahren sind das schwere Erbe der Band. Von vielen Fans werden sie heute als «Jugendsünden» abgetan. Die Band distanzierte sich schon in den 90er-Jahren vom rechtsradikalen Gedankengut. Stephan Weidner, einer der beiden Sänger, stieg einst gar von der Bühne, um einen Neonazi zu verprügeln, der gerade zum Hitlergruss ansetzte.
Wir gegen den Rest der Welt
Doch wer einmal «Türken raus» und noch Schlimmeres propagierte, der wird in Deutschland auf ewig geächtet. Von vielen Musikplattformen, Plattenfirmen und Medien werden die Onkelz bis heute zensiert. Dabei war es gerade die Zensur, die die Band geheimnisvoll und dadurch richtig gross werden liess. Niemand beschrieb diesen Prozess treffender als die Band 1992 in ihrem Lied «Gehasst, verdammt, vergöttert»: «Wir feiern uns, solange es uns gibt. Auch wenn nicht jeder Arsch uns liebt. Gepriesen sei der Name dieser Band. Betet zu Gott, dass ihr uns kennt». Die Band machte ihr Aussenseitertum zum Credo und verdiente damit Millionen. Wir gegen den Rest der Welt.
Doch die Zeiten ändern sich, die Onkelz sind längst in der Gesellschaft angekommen. Hinter ihrem Rücken auf der Grossbühne prangen Sponsoren, die nicht so recht zum gefährlichen Image passen wollen: Steiner Beck, TCS, Radio Zürisee. Ehemalige Anhänger boykottieren die Band heute, werfen ihr Geldmacherei vor: «Die Onkelz sind ein Trauerspiel geworden. Sie leben kniend, statt stehend zu sterben», steht in einem Eintrag der Fanclubseite. Für jene, die auch heute zu ihren Konzerten kommen – die Band ist populärer denn je –, bleibt jedoch alles beim Alten.
Die Onkelz vermischen musikalische Härte mit textlichem Pathos. Konsequent bis zur Eintönigkeit. Die Solos von Gitarrist Matthias Röhr funktionieren als wohltuende Variable. Im Lied «Finde die Wahrheit» kommt es zur grossen Verbrüderung. Sänger Weidner breitet den linken Arm über dem Publikum aus, «Love» steht darauf geschrieben. «Reich mir die Hände – werde Legende», singt Hauptsänger Kevin Russel. Es ist der Moment, wo sich langhaarige und kurz geschorene Männer und ein paar wenige Frauen vor der Bühne in den Armen liegen. Jede Liedzeile wird mitgeschrien, Handschläge werden verteilt. Rote Köpfe an einem heissen Sommerabend, Krampfadern am Hals, aufgequollene Augen. Die Stimmung aggressiv und doch harmonisch: wir gegen den Rest der Welt.
Die Medien als Feind
Doch eine Verbrüderung funktioniert nur mit gemeinsamem Feindbild: den Medien. «Die obligate Presseschelte können wir auch heute nicht lassen», sagt Weidner und stimmt das Lied «Fahrt zur Hölle» an. Eine bitterböse Abrechnung und gleichzeitig eine Hymne für die Missverstandenen. «Was glaubt ihr zu wissen, was glaubt ihr, wer wir sind? Ihr habt jahrelang gelogen, die Presse stinkt!» Ob heute noch echte Wut in diesen Zeilen steckt, ist zweifelhaft: Die Böhsen Onkelz geben heute, im Gegensatz zu früher, regelmässig Presseinterviews.
Wer die Onkelz und ihre Anhänger wirklich sind, ist am besten im persönlichen Gespräch zu erfahren. Philippe, 33-jährig aus Zürich, erzählt wie er Anfang der Nuller-Jahre zu den Onkelz kam. Als er als Teenager allein Konzerte in Deutschland besuchte und sich doch nie allein fühlte. «Mit dem Onkelz-Shirt bist du automatisch Teil der Familie.» Ausserhalb der Fangemeinde sei er damit auf Unverständnis, gar Hass gestossen. «Spaziergänge durch das Zürcher Niederdorf im Fanshirt endeten nicht selten in üblen Nazibeschimpfungen», sagt Philippe. Heute habe sich das etwas beruhigt. Philippe bezeichnet sich selbst als apolitisch, Rechtsextremismus verachte er. «Wenn, dann eher links.» Seine wichtigsten Lebensinhalte? Die Onkelz und der ZSC. «Und meine Freundin natürlich», fügt Philippe blitzschnell an.
Eine Vierergruppe reiste aus dem Toggenburg an. Es seien die konsequente Härte der Musik und die ehrlichen Texte, die sie vor langer Zeit zu Onkelz-Fans gemacht hätten. «Ich kenne keine Band, die authentischer ist», sagt Markus. Das Politische spiele bei den Onkelz längst keine Rolle mehr. «Auch bei uns nicht.» Ungefragt fügt Markus an: Früher, als Teenager, hätten sie allerdings über die Gründung einer «nationalen Front Toggenburg» nachgedacht. «Ich kann das doch sagen, ich bin ja anonym. Oder?» Inzwischen sei er gemässigter SVP-Wähler.
Unschöne Szenen am Rande
Als es am Autobahnkreisel in Hinwil dunkel wird, spielen die Onkelz ihre pathetischen Lieder weiter voller Hingabe. Sie handeln von Freundschaft, Gemeinschaft und Verlust. Zwischendurch ein seltener Anflug von Selbstironie. Ein falscher Song wird angespielt und sogleich wieder abgebrochen: «Haben wir schon gesagt, dass wir unser nächstes Album «Demento» nennen?», kommentiert Weidner den Verspieler. Eine Anspielung auf das fortgeschrittene Alter und ihr letztes Album «Memento». Die Bandmitglieder sind mittlerweile Mitte 50.
Politik spielt bei den Onkelz offiziell längst keine Rolle mehr. Hat sie vielleicht nie gespielt. Eine Tour durch die hinteren Ränge des Publikums sorgt jedoch für Ernüchterung: mehrere Personen, die ihr nationalistisches Gedankengut offen zur Schau stellen. Ein stark angetrunkener Mann mit Ostschweizer Dialekt, der die Hand minutenlang zum Hitlergruss ausstreckt. Nicht weit davon eine Gruppe Deutscher sowie ein Vater mit minderjährigem Sohn, die dasselbe tun. Polizisten stehen in Sichtweite. Sie lassen sie gewähren.
Es sind Szenen, die das Bild eines ansonsten friedlichen Abends erheblich trüben. Die Böhsen Onkelz sind heute eine Band für die Massen. Doch ein letztes Stück braunes Gedankengut, vermittelt durch einzelne Anhänger, sind sie nie losgeworden. Die Band darf sich weiter missverstanden fühlen.
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