Aufstand gegen Zürcher ETH-Professoren
Nach Mobbingvorfällen: Doktoranden kritisieren die Führungsmethoden an der Hochschule – und damit diejenigen, die über ihre Karrieren entscheiden.

Vergangenen Donnerstagabend in einem Wohnviertel im Zürcher Kreis 6. Im ETH-Gebäude SOL B 4 treffen sich mehrere Doktoranden zur Krisensitzung. Ihr Themenschwerpunkt: Die Mobbingvorfälle am ehemaligen Institut für Astronomie und die Konsequenzen, die daraus gezogen werden können.
Der auf der ETH-Website ausgeschriebene Anlass ist für aussenstehende Besucher nicht zugänglich, erst recht nicht für Journalisten. Doktorand Martin Roszkowski weist ungebetene Personen an der Tür freundlich ab: «Wir schätzen sehr, dass Sie der Sache nachgehen. Doch die Lage ist zurzeit ernst, sehr ernst. Wir können uns deshalb nicht öffentlich äussern», sagt der Neurowissenschaftler, der seit kurzem als neuer Präsident der Akademischen Vereinigung des Mittelbaus der ETH Zürich (Aveth) amtet. Die Angst, öffentlich über interne Vorfälle zu sprechen, ist deutlich spürbar.

Doch dann vollzieht die Doktoranden-Vereinigung am Wochenende eine Kehrtwende – und äussert sich. Sie veröffentlicht ein Schreiben, das den Führungsstil «gewisser» Professoren scharf verurteilt. Der Missstand liege im System: «Akademischer Konkurrenzdruck und Prestige werden als Beweggründe für die Aussetzung von Solidarität und Rechtfertigung für systematisches Fehlverhalten aufgeführt», steht darin. Zahlreiche Personen «innerhalb und ausserhalb der ETH» hätten Zweifel daran, dass gewisse Professoren «der verantwortungsvollen Berufung zur Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses» gewachsen seien. Die Worte bestätigen Aussagen mehrerer ETH-Mitarbeiter verschiedener Departemente der renommierten Hochschule, die sich anonym beim TA gemeldet haben.
Kein Schutz für Whistleblower
Seit die «NZZ am Sonntag» vor zwei Wochen erstmals über die Astronomie-Professorin berichtet hat, der schwerwiegendes Mobbing vorgeworfen wird, brodelt es in der ETH. Wer die Probleme offen anspricht, riskiert, seiner Karriere zu schaden. Wer es dennoch tut, macht es anonym. Die Doktoranden-Vereinigung ruft Opfer und Zeugen von Mobbing nun zum Sprechen auf: «Mach jetzt den ersten Schritt», steht in einem internen Schreiben an alle Doktoranden. Gleichzeitig warnen sie davor, sich an Journalisten zu wenden oder Missstände über die sozialen Medien zu kommunizieren: «Bedenkt, dass ihr dafür rechtlich belangt werden könnt.» In der Schweiz haben Whistleblower keinen Rechtsschutz.
«Endlich tut sich etwas. Die Missstände sind jahrelang totgeschwiegen worden.»
Parallel dazu hat die Aveth eine Umfrage lanciert, die das Verhältnis zwischen Doktoranden und Professoren untersuchen will. Ein Chemie-Doktorand sagt: «Endlich tut sich was.» Jahrelang seien die Missstände totgeschwiegen worden. «Die mangelhafte Mitarbeiterführung einzelner Professoren ist längst bekannt.» Die ETH-Leitung habe die Kritik aber nicht ernst genommen.

Fraglich ist, ob sich das nun ändert. Das einzige Instrument der Doktoranden-Vereinigung ist der Dialog. Auf organisatorischer Ebene besitzt sie keine Wirkungsmacht. Das, obwohl sie die Stimmen der meisten ETH-Mitarbeiter vertritt. Der wissenschaftliche Mittelbau ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen: 2005 beschäftigte die ETH fast 2680 Doktoranden. Im letzten Jahr waren es bereits mehr als 4000, dazu kommen über 1000 Postdoktoranden.
Ihre Arbeitsbedingungen variieren stark – je nach Departement. Das zeigt eine Erhebung unter Doktoranden, die in diesem Jahr durchgeführt wurde. So verdienen etwa die meisten Biologie-Doktoranden im ersten Jahr rund 47'000 Franken für eine Vollzeitstelle, während die Kollegen im Departement Informatik bereits zu Beginn mindestens 70'000 Franken verdienen. Biologen haben zugleich ein überdurchschnittliches Arbeitspensum: Fast 53 Stunden dauert eine Arbeitswoche gemäss Umfrage. Nicht nur in den Departementen gibt es Unterschiede, auch bei den Geschlechtern: Doktorandinnen verdienen im Schnitt schlechter als ihre männlichen Arbeitskollegen. Im Departement der Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften etwa sind Doktorandinnen durchschnittlich eine Lohnklasse tiefer eingestuft.
Billige Arbeitskräfte?
Das Problem liege in der Abhängigkeit vom Professor, sagt ein ehemaliger Biologie-Doktorand. «Er ist dein Chef, Mentor, Auftraggeber und gleichzeitig dein Gutachter.» Er allein entscheide, wann und ob ein Doktorand reif für den Abschluss sei. «Viele werden möglichst lange an der ETH gehalten, weil sie billige Arbeitskräfte sind.» Sieben Jahre und mehr seien nicht die Ausnahme. Vergleichbare Hochschulen wie das Max-Planck-Institut in Berlin setzen für die Promotion ein zeitliches Limit. Auch gegen die Abhängigkeit vom Doktorvater könnte es eine Lösung geben: Die Verleihung des akademischen Grades könnte an der ETH durch unabhängige Personen durchgeführt werden, wie dies an anderen Hochschulen der Fall ist. «An der ETH sind die Doktorväter allmächtig», sagt der Biologe.

Die ETH-Lehrkräfte profitieren zudem von exklusiven Arbeitsbedingungen. Ein Professor verdient jährlich bis zu 274'000 Franken, exklusiv Zulagen. Das ist international top. Wer einen der begehrten Jobs erlangt, sitzt fest im Sattel: Die Professorenverträge sind unbefristet. Vor 2004 musste sie der ETH-Rat alle sechs Jahre bestätigen. Zudem ist eine Kündigung aufwendig. Der ETH-Präsident muss erst eine Kommission einsetzen, die über die Angemessenheit einer Entlassung befindet. Dieses Verfahren ist in der Schweiz eine Ausnahme: «Das ist ein klarer Unterschied zu privatwirtschaftlichen und anderen öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnissen», sagt ETH-Sprecherin Vanessa Bleich. Sie gibt auch bekannt, wie vielen Professoren seit 2010 gekündigt wurde: keinem.
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