Aus dem Gespenst wird Wirklichkeit
Lange wurde ein Schuldenschnitt für Griechenland von allen Seiten kategorisch ausgeschlossen. Nun gilt die Massnahme einen Tag vor dem Krisen-Gipfel plötzlich als der Befreiungsschlag.

Von den einen herbeigerufen, von den anderen als Teufel an die Wand gemalt: Seit mehr als einem Jahr geistert das Gespenst eines drastischen Schuldenschnitts für Griechenland über der Eurozone. Nun wird aus dem Gespenst Wirklichkeit.
Meldungen vom Dienstag, es werde zwischen Frankreich und Deutschland noch über einen «Haircut»-Spielraum von 40 bis 60 Prozent gestritten, wurden in Diplomatenkreisen dementiert: «Wir sind über die 40 Prozent längst hinaus», hiess es. Denn die Troika-Analyse vom Freitag hatte eine Finanzierungslücke von 250 Milliarden Euro aufgedeckt. Ohne 60 Prozent Abschlag auf die Forderungen der Gläubiger komme Griechenland auch in den kommenden Jahrzehnten nicht auf einen grünen Zweig, lautete die unmissverständliche Botschaft.
Freiwilliger oder erzwungener Schnitt
Die Banken tun sich natürlich schwer, diese Botschaft zu akzeptieren. Der Internationale Bankenverband (IFF) blieb zunächst hart, wollte allenfalls 40 Prozent akzeptieren, so hiess es. Am Dienstag standen die Verhandlungen noch auf der Kippe. Dabei sollten sich die Politiker nicht beirren lassen, meint zumindest der Schuldenexperte Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel: Schliesslich passe es nicht in die Logik der einzelnen Banken, sich freiwillig auf den maximalen Haircut einzulassen. «Sie werden bis zuletzt versuchen, das Beste für sich herauszuholen.» Notwendig sei eine «Kollektivintelligenz» der Branche. Denn auf lange Sicht würden auch die Banken zu den Gewinnern zählen.
Weil die Kollektivintelligenz noch zu fehlen scheint, rät Wolff den Euro-Staats- und Regierungschefs zum Durchgreifen. Sie sollten den Banken einfach ein Rückkaufangebot unterbreiten: Für jeden Euro Schulden erhalten sie 40 Cent. Wer nicht mitmache, riskiere den Totalverlust. «Und vom Markt würde ein erzwungener Schuldenschnitt positiv aufgenommen, weil er zeigen würde, dass die Euroländer zu harten Entscheidungen fähig sind.»
Angst vor der Kettenreaktion
Die Geldhäuser treibt - ebenso wie viele Regierungen - die Angst for einem forcierten Haircut um. Denn dies zöge eine Herabstufung Griechenlands durch die Rating-Agenturen nach sich, wodurch die sogenannten Kreditausfallversicherungen ausgezahlt werden müssten. Da viele Hedgefonds und Banken tief in den Handel mit diesen Risikopapieren verflochten sind, könnte eine Kettenreaktion drohen. Soweit die Theorie.
Wolff hält die Angst vor einem Kreditereignis indes für «völlig übertrieben». Die Verluste für die Banken blieben überschaubar. Auch das Ansteckungsrisiko für Italien oder Spanien sei geringer als heraufbeschworen, weil die Märkte nicht davon ausgingen, dass Schuldenschnitte für andere Länder folgen würden. «Ich gehe nicht davon aus, dass die Risikoaufschläge für andere Länder nach einem harten Schnitt am Donnerstag in die Höhe schnellen.» Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass sich die Märkte über Expertenprognosen kaltschnäuzig hinwegsetzten.
EU-Staaten haben stärkere Verhandlungsposition
Aber ob freiwillig oder nicht, letztlich befinden sich die EU-Staaten in der stärkeren Verhandlungsposition. Liessen sie Griechenland einfach in die Pleite rauschen, dann sähen die Banken noch weniger von ihrem Geld wieder. Denn die Kredite des IWF müssten im Pleitefall vertragsgemäss vorrangig bedient werden. Anschliessend dürften sich die EU-Staaten und die Europäische Zentralbank ihre Unterstützung der vergangenen Monate soweit wie möglich erstatten lassen. Private Gläubiger kämen in der Nahrungskette an letzter Stelle.
Möglicherweise einigen sich die Euro-Staaten also einseitig auf eine Prozentzahl, die sie dann den Banken als Henkersmahlzeit vorsetzen - ganz nach dem Motto: Friss oder stirb! Diese bekämen dann eine letzte Chance, sich darauf einzulassen und nach aussen den Schein einer gütlichen Einigung zu wahren. Falls sie stur bleiben, dürften sie auch kaum darauf hoffen können, noch einmal mit Steuermilliarden gerettet zu werden.
dapd/jak
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