Ginge es nicht um so wichtige Dinge wie die Bergung von Schiffbrüchigen, und stünde nicht das ohnehin ramponierte Ansehen einer Kulturnation wie Italien auf dem Spiel, könnte man darüber lachen: Ausgerechnet der italienische Innenminister Matteo Salvini donnert, Gesetze, Regeln, Vereinbarungen und Verordnungen seien zu respektieren, immer und überall. Carola Rackete, die Kapitänin des Rettungsschiffs Sea-Watch 3, habe gegen dieses Gebot verstossen und sei eine Kriminelle.
Das sagt einer, dessen Vorgänger an der Parteispitze der Lega 49 Millionen Euro veruntreut haben – und der nichts dazu beitrug, das Verbrechen aufzuklären. Da moralisiert einer über Gesetzestreue, der allzeit bereit ist, das Recht mit Füssen zu treten, wenn es ihm nützlich scheint. Salvini, der einst Italiens Bürgermeister dazu aufgefordert hat, ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu ignorieren. Der sich höhnisch über die Maastrichter 3-Prozent-Defizitregel der EU hinwegsetzt und damit die ökonomische Stabilität eines ganzen Kontinents gefährdet.
«Stoppt den Hanswurst Salvini»
Fürwahr ein schöner Sheriff ist das, den lediglich die Immunität, die ihm als Minister zusteht, vor einem Prozess wegen Freiheitsberaubung bewahrt – dies im Zusammenhang mit dem Drama um ein anderes Flüchtlingsschiff, der Diciotti. Der sich um internationales Seerecht foutiert und damit gedroht hat, 42 Flüchtlinge «bis Weihnachten oder Neujahr» unter unmenschlichen Bedingungen auf dem Boot einer NGO ausharren zu lassen, während die italienische Marine wöchentlich ein Vielfaches dieser Zahl an Land bringt.
«Stoppt den Hanswurst Salvini», schreibt Lucia Annunziata, die Chefin der italienischen Version der Onlinepublikation «Huffington Post»: «Man kann vieles aushalten in der Politik, aber nicht einen Narren als Leader». Offensichtlich sieht das ein grosser Teil der italienischen Bevölkerung anders, zumindest vorläufig noch.
Bei aller Empörung über Salvinis Heuchelei und Kaltschnäuzigkeit sollte eines allerdings nicht vergessen gehen: Italiens Innenminister ist bloss der rabaukenhafte Verfechter einer Migrationspolitik, hinter der letztlich die ganze Europäische Union steht – weniger vulgär zwar, aber dafür umso verlogener. Der Grundsatz dieser Politik lautet: möglichst wenig Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa kommen zu lassen. Und müssen dafür die viel beschworenen europäischen Werte geopfert werden, dann sei es halt so.
Es gibt durchaus Alternativen
Es war nicht Matteo Salvini, der die Zahl der Neuankömmlinge in Italien fast über Nacht drastisch senkte, sondern sein Vorgänger Marco Minniti. Dazu schloss der damalige Minister des linksliberalen Partito Democratico im Sommer 2017 mit libyschen Machthabern und marodierenden Milizen einen Pakt, wonach es den Nordafrikanern oblag, die Migranten an der Fahrt über das Mittelmeer zu hindern. Schon zuvor wurden Tausende von ihnen in Lagern festgehalten, die das deutsche Aussenministerium mit KZs verglich. Eine gesellschaftlich-politische Debatte, ob so etwas überhaupt vertretbar ist, hat es in Europa nirgends gegeben.
Der EU ist es bis heute auch nicht gelungen, einen solidarischen Verteilschlüssel für Migranten zu finden. Genauso wenig scheint sie zu einer Reform der Dublin-Regel imstande, die sich schon während der Krise um die Balkanroute als völlig untauglich erwiesen hat. Stattdessen wird immer wieder dasselbe unwürdige Schauspiel geboten: Salvini verwehrt einem Rettungsschiff so lange das Einlaufen in einen Hafen, bis die Zustände an Bord völlig untragbar sind. Dann raufen sich einige europäische Regierungen unter dem Druck der Öffentlichkeit zu einem Ad-hoc-Verteilschlüssel zusammen. Die Krise ist entschärft, bis die nächste eintritt.
Es gäbe prüfenswerte Alternativen. Etwa jene, die der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus vorschlägt: Rückführungsabkommen mit afrikanischen Ländern, gegen finanzielle Hilfen und die Zusicherung legaler Kontingente von Arbeitsmigranten. Eine von der EU mitfinanzierte Beschleunigung der Asylverfahren in den südeuropäischen Erstankunftsländern, damit die Wartezeiten in den Aufnahmezentren zumutbar werden. Und konsequente Rückführungen abgelehnter Bewerber. Europas Zerstrittenheit lässt all dies als Illusion erscheinen.
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Ausgerechnet Salvini verlangt Gesetzestreue
Italiens Flüchtlingspolitik ist skandalös. Aber jene der EU ist auch nicht viel besser.