Ausgeschaffte Tibeterin bekam keinen Prozess
Yangdon Chorasherpa wurde Ende Januar als erste Person tibetischer Herkunft nach Nepal ausgeschafft. Nun wurde sie in ein entlegenes Gefängnis gebracht.

Am 8. März war geschehen, was die tibetischen Freunde von Yangdon Chorasherpa in der Schweiz stets befürchtet hatten: Die 27-jährige Tibeterin, die nach Nepal ausgeschafft worden war, war nicht mehr im Immigrationsgefängnis in Kathmandu. Sie wussten nicht, wohin sie gebracht worden war, sie nahm auch das Mobiltelefon nicht mehr ab. Erst Tage später stellte sich heraus, dass sie nach Dolakha geschafft worden war, fast acht Autostunden von Kathmandu entfernt. Das macht die Situation der Tibeterin noch schwieriger; Menschenrechtsorganisationen haben das Immigrationsgefängnis in Kathmandu noch im Auge, bei Gefängnissen in entlegenen Gebieten wie dem Distrikt Dolakha am Fusse des Himalajas ist dies schwer möglich.
Yangdon Chorasherpa ist die erste Person tibetischer Herkunft, die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) nach Nepal ausgeschafft wurde. Nepal ist für Tibeter ein unsicheres Land, denn seit den Demonstrationen 2008 in Tibet hat China seine Präsenz auch dort massiv verstärkt. Wie der Verein Tibeter-Jugend in Europa mit Sitz in Zürich kritisiert, nahm das SEM damit bewusst eine Kettenabschiebung nach China in Kauf, wo Chorasherpa Folter, Zwangsarbeit und Umerziehungshaft drohen. Gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention darf ein Staat aber keine Flüchtlinge in Länder abschieben, in denen ihnen Gewalt angetan werden könnte. Kaum war aber Chorasherpa am 1. Februar in Kathmandu gelandet, war sie von Polizisten angehalten und verhaftet worden. Die Schweizer Behörden hatten ihr versichert, dass sie ohne Probleme einreisen könne.
Prozess fand nicht statt
Letzten Freitag hatten Chorasherpas Freunde in der Schweiz kurz Hoffnung geschöpft: Sie wurde den ganzen Weg nach Kathmandu gefahren, wo ihr Prozess anstand. Die Behörden werfen ihr vor, dass sie einen unrechtmässig erworbenen Pass und ein gefälschtes Citizenship Certificate besitzt, ein Papier, das die Staatsangehörigkeit bescheinigt. Für Tibeter ist es aber praktisch unmöglich, mit echten Papieren nach Europa zu gelangen; obwohl sie offiziell Chinesen sind, haben sie in der Regel keine chinesischen Papiere. Und wenn sie solche hätten, bekämen sie kein Visum. Yangdon Chorasherpa hat gegenüber den Mitarbeitern des SEM aber offengelegt, dass sie mit einem unrechtmässig erworbenen Pass in die Schweiz eingereist war. Ihre Freunde hatten am Freitag gehofft, dass sie mit einer Busse und einer zweiwöchigen Haft davonkommt – sie hätte sie längst abgesessen. Stattdessen wurde der Prozess abgebrochen. Die Tibeterin wurde noch gleichentags zurück nach Dolakha gefahren. Offiziell hiess es, es fehlten Dokumente.
Nun sitzt Yangdon Chorasherpa wieder im Gefängnis und weiss nicht, wie es weitergeht. «Die nepalesischen Behörden sind unberechenbar», sagt Sonam Palmo Brunner, Co-Präsidentin des Vereins Tibeter Jugend von Europa. Chorasherpa bekommt ab und zu ihr Mobiltelefon und konnte so Bilder ihrer Unterkunft nach Zürich schicken: Der Boden ist schmutzig, Holzlatten lösen sich von den Wänden, ein verrosteter Kessel dient für die Notdurft. Der Verein konnte in Dolakha keine Tibeter finden, die Chorasherpa betreuen und ihr Essen und das Nötigste zum Leben bringen. «Sie haben Angst, dass sie dadurch Probleme bekommen», sagt Brunner. Die meisten Tibeter in Nepal haben keine Papiere, sind sozusagen Rechtslose und entsprechend verwundbar; Überwachungskameras halten in Ortschaften praktisch jeden Schritt fest.
Auch für die Schweizerische Flüchtlingshilfe ist es schwierig, die Situation von Yangdon Chorasherpa einzuschätzen, wie Mediensprecher Stefan Frey sagt. Ihn erinnert ihren Fall an jenen des tamilischen Flüchtlings, der 2013 ausgeschafft und gleich nach der Ankunft in Sri Lanka verhaftet und für eineinhalb Jahre inhaftiert worden war. «Einmal mehr haben die Schweizer Behörden eine Person in ein Land ausgeschafft, in dem sie grossen Risiken ausgesetzt ist», sagt Frey. Er erwartet vom Staatssekretariat für Migration, dass es bei den nepalesischen Behörden interveniert und ein Verfahren verlangt, das diesen Namen verdiene.
Das SEM sagt dazu einzig, dass die Schweizer Vertretung in Nepal mit sämtlichen relevanten Personen in Kontakt stehe, um eine rasche Lösung zu erzielen. Zum Einzelfall will es sich nicht äussern; ein Anwalt hat im Namen von Chorasherpa ein Wiedererwägungsgesuch gestellt, das noch hängig ist. Zu hängigen Verfahren macht das SEM keine Angaben.
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