Doppeltes Unrecht
Die neue Regierung bietet den Südtirolern österreichische Pässe an.

Als früherer österreichischer Aussenminister sollte Sebastian Kurz wissen, wie man diplomatische Minenfelder vermeidet. Doch kaum ist der 31-Jährige zum Kanzler der Republik aufgestiegen, legt seine konservativ-rechtspopulistische Regierung selbst ein Minenfeld. Ausgerechnet in einer der sensibelsten Regionen Europas: Die Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ möchte deutschsprachigen Südtirolern neben ihrer italienischen die österreichische Staatsbürgerschaft anbieten.
Die Rechten sehen das als Wiedergutmachung historischen Unrechts. Nach der Abtrennung ihres Landes von Österreich 1918 wurden deutschsprachige Südtiroler jahrzehntelang von den Italienern unterdrückt, mussten sich gegen eine radikale Italienisierung zur Wehr setzen.
Österreich ist bis jetzt bei Doppelstaatsbürgerschaften so restriktiv wie kaum ein Land in Europa.
Das sind Tempi passati. Seit der Umsetzung des Autonomiepaktes in den 1990er-Jahren gilt Südtirol als Erfolgsmodell. Die Autonomie ist sauteuer, aber sie lässt die Wirtschaft blühen. Auf den Alltag der Südtiroler hätte der Doppelpass kaum Auswirkungen. Dafür würde neues Unrecht geschaffen. Vor allem beim Wahlrecht: Sollen Menschen über das Parlament eines Landes entscheiden können, in dem sie nicht leben und keine Steuern zahlen? Und wie wäre dann noch zu rechtfertigen, dass Zehntausende EU-Bürger, die seit Jahren in Österreich leben, nicht einmal auf kommunaler Ebene wählen dürfen? Es würden auch neue Begehrlichkeiten geweckt: Österreich ist bis jetzt bei Doppelstaatsbürgerschaften so restriktiv wie kaum ein Land in Europa. Zwei Staatsbürgerschaften gibt es nur in Ausnahmefällen. Wenn nun die Südtiroler das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft bekommen, wird die Türkei dasselbe Recht für türkische Secondos einfordern. Will das die Regierung Kurz wirklich?
Oder geht es ihr nur um zusätzliche Wählerstimmen? Südtirol ist erzkatholisch und konservativ. ÖVP und FPÖ könnten sich so ihre Mehrheit sichern. In den USA sprechen sie von Gerrymandering, wenn Parteien Wahlkreise verschieben oder vergrössern, um sich den Sieg zu sichern. Es gilt als eine der grössten Bedrohungen der Demokratie.
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