Ein bitterer Abgang
Michail Saakaschwili tritt unter Schimpf und Schande ab. Dabei hat er Georgien zum Positiven verändert.
Es war die Stunde des absoluten Triumphs: Am 4. Januar 2004 wurde der erst 37-jährige Michail Saakaschwili mit über 95 Prozent der Stimmen zum neuen georgischen Präsidenten gewählt. Und der Urnengang war erst noch demokratischer als alle Wahlen, die das Kaukasusland seit seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion je erlebt hatte. Selbst Zweifler wollten es mit Saakaschwili versuchen: Egal, was der junge Staatschef bringen mochte – besser als das Vorherige würde es alleweil werden.
Zwei Monate vor seinem Wahltriumph hatte der Oppositionsführer das Parlament gestürmt und vom greisen Staatschef Eduard Schewardnadse den Rücktritt verlangt. Hinter sich wusste Saakaschwili Hunderttausende Demonstranten, die mit Rosen in der Hand gegen Wahlfälschungen und ausufernde Korruption auf die Strasse gingen. Schewardnadse verliess das Parlament fluchtartig durch die Hintertür. Und Saakaschwili wurde in der ganzen ehemaligen Sowjetunion zum Vorbild für Revolten gegen die Mächtigen.
Zehn Jahre später muss Saakaschwili selber unter Schimpf und Schande gehen. Bei der Präsidentenwahl vom Wochenende gewann der ehemalige Bildungsminister Georgi Margwelaschwili vom Bündnis Georgischer Traum mit über 62 Prozent im ersten Wahlgang. Der Kandidat von Saakaschwilis Partei brachte es nur auf 21 Prozent. Der Präsident selber durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl antreten. Sein Ergebnis wäre wohl noch weit schlechter ausgefallen. Zu viele schlechte Angewohnheiten hat er die letzten 10 Jahre von seinem Vorgänger Schewardnadse übernommen. Saakaschwili verlangte immer mehr Macht für sich und liess Wahlen manipulieren. Seine Polizisten knüppelten alle nieder, die sich seiner Politik widersetzten. Kein Land in Europa hat pro Einwohner so viele Gefangene wie Georgien, und in den Haftanstalten wird brutal gefoltert.
Südossetien verspielt
Seinen grössten Fehler machte Saakaschwili, als er 2008 den Krieg gegen Russland anzettelte. «Russland hat Georgien angegriffen, weil wir Freiheit und Demokratie wollen», dozierte Saakaschwili in fliessendem Englisch im US-Fernsehsender CNN. Diese Meinung teilte das ganze Land: Die patriotischen Georgier scharten sich hinter ihren Präsidenten, der sich in der Rolle des feurigen Oberkommandierenden gefiel und in kugelsicherer Weste posierte. Später belegte eine unabhängige Untersuchung, dass Saakaschwili gelogen hatte: Nicht die Russen hatten Georgien angegriffen – Saakaschwili liess im Morgengrauen ohne Vorwarnung die südossetische Stadt Zchinwali beschiessen. Doch aus dem schnellen, glänzenden Sieg, der das abtrünnige und von Russland beschützte Südossetien in den georgischen Staat zurückbringen sollte, wurde nichts. Nach fünf Tagen mussten die Georgier kapitulieren. Zurück blieben zerschossene Dörfer und Städte, und Südossetien hat Saakaschwili mit seiner Kamikaze-Aktion wohl für immer verspielt.
Ein neuer Traum
Nun sank sein Stern rasch. Die letzten seiner Verbündeten aus Revolutionstagen wandten sich von ihm ab, das Volk war reif für einen neuen Hoffnungsträger: Vor einem Jahr gewann das Oppositionsbündnis Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili die Parlamentswahlen und stellt seither die Regierung. Und in Zukunft nun auch den Präsidenten. Nach dem deutlichen Wahlergebnis vom Wochenende gestand Saakaschwili zerknirscht seine Niederlage ein. Doch es könnte für ihn noch viel schlimmer kommen: Iwanischwili hat mehrfach erklärt, dass man Saakaschwili vor Gericht bringen werde. Für Korruption, für Amtsmissbrauch und auch für den Tod seines anfänglichen Partners und späteren Rivalen Surab Schwania, der 2005 unter ungeklärten Umstanden starb. Die letzten Monate wurden bereits Dutzende von Saakaschwilis Gefolgsleuten verhaftet, unter ihnen mehrere Minister. Beobachter warnen vor einer Politik der Revanche.
Dabei ist Saakaschwilis Bilanz nicht so schlecht, wie der bittere Abgang vermuten lässt. Mit seiner unkonventionellen Art machte er innert kürzester Zeit aus einem Rumpfland eine halbwegs moderne Nation westlichen Zuschnitts. Er holte wenigstens eines der drei abtrünnigen Gebiete, die Schwarzmeerrepublik Adscharien, in den Staatsverbund zurück. Die grassierende Korruption vermochte er einzudämmen. Die Infrastruktur wurde verbessert, und das Investitionsklima lässt sich nicht mehr mit dem Insiderhandel der Schewardnadse-Zeit vergleichen.
Ein Viertel lebt in Armut
Kaum verbessert hat dies jedoch die Lage der einfachen Bürger: Noch immer lebt rund ein Viertel der georgischen Bevölkerung in bitterer Armut. Die Menschen richten nun ihre Hoffnungen auf Premierminister Bidsina Iwanischwili, der die Macht in Georgien übernommen hat. Der reichste Mann des Landes, der in einem grotesken Palast aus Glas und Stahl hoch über der Hauptstadt Tiflis residiert, bezeichnet Saakaschwili ungeniert als «politische Leiche». Mit über 5 Milliarden hat er mehr Geld als der georgische Staat, der pro Jahr nur gut 4 Milliarden ausgeben kann. Angeblich will sich der klein gewachsene, fast schmächtige Oligarch bald aus der Politik zurückziehen, seinen Nachfolger im Amt des Premiers habe er bereits bestimmt.
Die verarmten Georgier verfahren einmal mehr nach dem Prinzip Hoffnung: dass vielleicht ein kleines Bisschen von Iwanischwilis glitzerndem Lebensstil auf sie abfärbe, dass Georgien eine bessere Zukunft habe. Und wie bei Saakaschwilis Amtsantritt vor zehn Jahren sind sie überzeugt, dass es nur noch besser werden kann.
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