Eine fast unmögliche Aufgabe für die «Weltkanzlerin»
Von Gastgeberin Angela Merkel wird in Hamburg erwartet, dass sie die Weltgemeinschaft voranbringt und Donald Trump die Stirn bietet.

Angela Merkel sei die neue Anführerin der freien Welt, schreiben internationale Medien, seit Donald Trump die Vereinigten Staaten von Amerika vom Westen weg und auf einen egoistischen Sonderweg geführt habe. Es gibt wenig, was die «Weltkanzlerin» mehr nervt als dieser überzogene Anspruch, jedenfalls widerspricht sie ihm stets vehement. Doch wenn es einen Moment gibt, in dem ihr diese ungeliebte Führungsrolle sozusagen von Amtes wegen zufällt, dann ist es der Gipfel der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, dessen Gastgeberin sie am Freitag und Samstag in Hamburg ist.
Übersicht: Der G-20-Gipfel in Hamburg

An diesem Gipfel wird nicht nur über globale Herausforderungen verhandelt, viel grundsätzlicher steht zur Debatte, wie die Welt überhaupt geordnet ist. Ist die Weltgemeinschaft, wie Trump und dessen Ideologen es sehen, im Grunde eine Fiktion? Und deren Gipfeltreffen nur die Arena, in dem jede Macht auf Kosten anderer Mächte ihren grösstmöglichen Vorteil sucht? Oder ist die Welt, wie Merkel es sieht, eine Sphäre kollektiver Rechte und Regeln? Eine Welt, in der es darum geht, gemeinsam Lösungen für weltweite Probleme zu finden, die die Macht und Verantwortung jedes einzelnen Staates überfordern?
Der G-20-Gipfel nimmt Themen wie den Klimawandel und den Welthandel in den Blick, dem Kampf gegen Terrorismus, die Steuerung der Migration, die Gestaltung von Globalisierung und Digitalisierung. Merkel erklärte schon letzte Woche in einer programmatischen Rede im Bundestag, dass sie diese Herausforderungen durch internationale Kooperation anzugehen sucht. Sie setzte sich dabei deutlich vom amerikanischen Präsidenten ab: «Wer glaubt, die Probleme dieser Welt mit Isolationismus und Protektionismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum.»
Rückschritte wahrscheinlich
Vom Hamburger Gipfel müsse ein Signal der Entschlossenheit ausgehen, forderte Merkel. Die beteiligten Länder, die zusammen zwei Drittel der Weltbevölkerung und 85 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung vertreten, müssten ihren Bürgern zeigen, dass sie bereit seien, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Die Kanzlerin sagte aber auch, dass sie angesichts der erwarteten amerikanischen Verweigerungshaltung aussergewöhnlich schwierige Gespräche erwarte. Man wolle zwar Gemeinsamkeiten suchen und betonen, hiess es aus dem Kanzleramt, aber nicht um jeden Preis. Man sei auch bereit, Differenzen offen auszusprechen, wo sie sich nicht überbrücken liessen.
In Berlin ist man mittlerweile ehrlich besorgt, dass der Gipfel krachend scheitern könnte – mitten im deutschen Wahlkampf. Merkels Unterhändler und Berater fürchten zwei sehr verschiedene Arten von Fiasko: eine allgemeine Uneinigkeit, die dazu führt, dass die Hamburger Abschlusserklärung vollkommen leer und unverbindlich daherkommt. Oder aber ein Krach auf offener Bühne, eine Konfrontation mit Trump, allenfalls flankiert von Scharmützeln mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin oder dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Beide Ausgänge wären für Merkel, die sehr auf Verständigung bedacht ist, eine mittlere Katastrophe.
Bevor Trump gewählt worden war, hatten sich die Deutschen für den Gipfel noch ganz eigene Schwerpunkte vorgenommen. Er sollte sich vor allem Afrika zuwenden, private Investitionen auf dem Kontinent fördern, die Rolle der Frauen stärken, Antibiotikaresistenzen bekämpfen. Nach zahlreichen Arbeitsgruppen und Vor-Gipfeltreffen laufen viele dieser Projekte bereits an und werden am Gipfel formell verabschiedet werden. Dennoch werden sie nun völlig im Schatten des erwarteten Streits mit Trump stehen.
Offene Konflikte gibt es insbesondere in der Klima- und in der Handelspolitik.
Seit ihrem Amtsantritt sabotiert die neue «America first»-Regierung die Suche nach gemeinsamen Lösungen. Unterhändler sagen, die USA hätten sich auf breiter Front aus dem G-20-Prozess zurückgezogen, die multilaterale Kooperation stecke in einer existenziellen Krise. Man sei schon froh, wenn überhaupt noch geredet werde. Merkels Leute haben deswegen die Erwartungen an den Gipfel seit Monaten immer weiter gedämpft. Von Fortschritten spricht niemand mehr, im besten Fall könne man bewahren, was man bei früheren Gipfeln erreicht habe, heisst es. Rückschritte seien nicht ausgeschlossen, sondern wahrscheinlich.
Offene Konflikte gibt es insbesondere in der Klima- und in der Handelspolitik. Der amerikanische Präsident hat das Pariser Klimaabkommen gekündigt und droht starken Exportnationen wie China und Deutschland einen Zoll- und Handelskrieg an, falls diese den USA nicht grössere Anteile am Welthandel zugestehen. In beiden Bereichen wird Merkel im Sinne der G-20 zu vermitteln suchen, gleichzeitig aber auch deutsche und europäische Interessen vertreten – und in einzelnen Bereichen auch auf dem als richtig Erkannten beharren. Man könne und werde in der Klimapolitik nicht zuwarten, sagte sie letzte Woche, bis auch der letzte von den wissenschaftlichen Beweisen für den Klimawandel überzeugt sei. Das Pariser Abkommen sei unumkehrbar und unverhandelbar. Auch den Freihandel als Prinzip wird Merkel vehement gegen Protektionismus und andere «unfaire Praktiken» verteidigen.
Ob sich Trump überhaupt noch einbinden lässt, ist fraglich. Gleichwohl habe man nicht vor, die USA zu isolieren, dies betonten letzte Woche sowohl Merkel wie auch der französische Präsident Emmanuel Macron. Sie hatten ihre Positionen bei einem gemeinsamen Vorbereitungstreffen in Berlin abgesprochen, an dem auch die weiteren europäischen G-20-Mitglieder – Italien, Grossbritannien und die EU – teilnahmen. Merkel und Macron sind sich bewusst, dass Europa für seine Sicherheit wesentlich von amerikanischer Militärmacht und nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit abhängig ist.
Ziel ist ein 19:1 beim Klima
Normalerweise entscheiden die G-20-Staaten im Konsens darüber, welche Beschlüsse in die gemeinsame Abschlusserklärung gelangen. Und alles, worüber sich die Mitglieder nicht einig werden, fällt unter den Tisch. Andererseits erwarten viele Bürger und Politiker, dass Merkel wenigstens in der Klimafrage ein 19:1 gegen Trump organisiert. Die Vorgespräche haben gezeigt, dass selbst das schwierig werden könnte.
Nicht nur Saudiarabien könnte aus der Anti-Trump-Allianz ausscheren, auch das Verhalten Russlands, Japans, Grossbritanniens und Kanadas ist unberechenbar. Vor allem die drei letztgenannten Länder, die mit den Vereinigten Staaten traditionell sehr enge Beziehungen unterhalten, wollen eine offene Konfrontation mit Trump lieber vermeiden. Und einem 14:6 würde Merkel eine Spielverschiebung oder einen Spielabbruch wahrscheinlich vorziehen, glauben Beobachter.
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