Judenhass schadet auch Palästinensern
Antisemitismus ist unerträglich. Aber es gibt berechtigte Kritik am israelischen Vorgehen, findet Daniel Vischer, Präsident der Gesellschaft Schweiz-Palästina.

Antisemitische Hasstiraden sind indiskutabel und scharf zu verurteilen. Da gehe ich mit Herbert Winter vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund einig. Solchen Ausfälligkeiten ist energisch entgegenzutreten, auch von Politikern. Die Gesellschaft Schweiz-Palästina, der ich vorstehe, hat es schon getan.
Die Kundgebung, die vergangenen Freitag in Zürich stattfand, richtete sich gegen die israelische Aggression in Gaza und rief gleichzeitig zu einer friedlichen Lösung auf. Dass eine Mitorganisatorin den Schweizer Juden vorwarf, eine Hetzkampagne zu betreiben, war mir nicht bekannt. Ich verurteile es ebenso wie die Gewaltaufrufe gegen Juden, die im Internet kursierten. Wer die Urheber waren, wird zu analysieren sein. Offensichtlich werden aus dem fundamentalistisch-islamischen Umfeld solche Hasskampagnen losgetreten. Und schweizerische rechtsextreme Kreise machen mit.
Israelische Besatzungsmacht
Sie schaden der Solidarität mit dem palästinensischen Volk enorm. Denn sie verhindern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der israelischen Bodenoffensive in Gaza, die vor allem Zivilisten vertreibt, verwundet, tötet.
Für mich gab es nie einen Zweifel, dass auch die Raketenangriffe der Hamas auf israelische Wohngebiete unzulässig sind. Aber es gilt die Relationen zu wahren. Wer ist denn die Besatzungsmacht? Wer verfügt über die fünftstärkste Armee der Welt? Wer baut völkerrechtswidrig neue Siedlungen und verhindert damit faktisch den Friedensprozess?
Zutiefst unsympathische Hamas
Warum kam es denn überhaupt zur jüngsten Eskalation? Vor wenigen Monaten haben sich Fatah und Hamas, die grössten Palästinenser-Organisationen, auf eine gemeinsame Regierung geeinigt. Ein riesiger Fortschritt: Nur, wenn die palästinensischen Hauptorganisationen vereint handeln, kann der Friedensprozess Erfolg haben.
Einem laizistisch denkenden Menschen wie mir ist das Programm der Hamas zutiefst unsympathisch. Nur: Nicht wir entscheiden, wer das palästinensische Volk vertritt, sondern die Palästinenser selbst. Und ein grosser Teil von ihnen unterstützt die Hamas.
Nach der Einigung unter den Palästinensern brach die israelische Regierung die Friedensverhandlungen brüsk ab. US-Aussenminister John Kerry wurde vorgeführt. Als drei israelische Kinder vor wenigen Wochen entführt und ermordet wurden, schob Israel die abscheuliche Tat ohne jeden Beweis der Hamas zu. Siedler rächten sich brutal an einem palästinensischen Kind. Gleichzeitig begann Israel den Gazastreifen zu bombardieren, was mit Raketenangriffen von dort beantwortet wurde.
Was will Israel wirklich?
Gewalt und Gegengewalt nahmen ihren vorhersehbaren Lauf. Israels aggressive Bodenoffensive, die auch Kinder in Spitälern trifft, hat jede Verhältnismässigkeit überschritten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bundespräsident Didier Burkhalter das anders sieht. Die Frage ist nur: Was hat er Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas geantwortet, als dieser die Schweiz – den Depositärstaat der Genfer Völkerrechtskonvention – vor einigen Tagen aufforderte, alles in ihrer Macht Stehende gegen die Gaza-Offensive zu unternehmen? Nichts?
Israel wird die Hamas nicht auslöschen, im Gegenteil: Eine friedliche Lösung wird nur mit ihr zustande kommen. Dabei muss Israels Regierung endlich klarmachen, was sie will. Eine Zweistaatenlösung? Die können die Palästinenser nur akzeptieren, wenn die Grenzen vor Juni 1967 gewahrt werden. Das entspricht auch der völkerrechtlichen Beschlusslage. Diese verlangt nach einem sofortigen Siedlungsstopp auf palästinensischem Gebiet. Dass Israel darauf eingeht, wird immer unwahrscheinlicher. Seine Alternative scheint die Segregation zu sein, wie sie das südafrikanische Apartheid-Regime durchsetzte. Das darf die Völkergemeinschaft nicht zulassen.
Aber seien wir realistisch: Die Beziehungen zwischen Israel und Palästina sind so schwer gestört und der Zerfall des irakischen und des syrischen Staates wird so viele Flüchtlinge auslösen, dass sich die Lage in Nahost nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern wird.
Erstellt: 23.07.2014, 23:43 Uhr

Daniel Vischer ist grüner Zürcher Nationalrat, Rechtsanwalt und Präsident der Gesellschaft Schweiz-Palästina.
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