Er hatte Angst, die Familie würde ihn verstossen
Die Affäre um den verstorbenen Häftling Ben Zygier lässt Israel in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Nach einer anfänglichen Mediensperre werden nun immer mehr Details über den «Gefangenen X» bekannt.

Der «Gefangene X», jener mysteriöse Ausländer, der vor zwei Jahren erhängt in einem israelischen Hochsicherheitsgefängnis aufgefunden wurde, bekommt allmählich ein Gesicht. Aus den Schatten tritt ein junger australischer Jude, der nach seiner Einwanderung nach Israel laut Medienberichten für den Auslandsgeheimdienst Mossad arbeitete. Vor einigen Tagen hatte der australische Fernsehsender ABC enthüllt, dass es sich dabei um einen australischen Staatsbürger Namens Ben Zygier handelt, der zum Zeitpunkt seines Todes 34 Jahre alt war. (Redaktion Tamedia berichtete)
ABC hatte enthüllt, dass es sich bei dem Toten, der im Isolationstrakt der Haftanstalt Ajalon in Ramla östlich von Tel Aviv einsass und von dem nicht einmal die Wärter die Identität kennen durften, um Zygier handelte. Gegenwärtig wird auch viel über die Motive von Zygier spekuliert, die ihn letztendlich in das israelische Hochsicherheitsgefängnis brachten: Nach Angaben des britischen «Guardian» soll Zygier im Auftrag des Mossad über eine europäische Scheinfirma Elektrotechnik in den Iran verkauft haben.
An Ermordung beteiligt?
Eine kuwaitische Zeitung berichtete dagegen heute, Zygier sei am Mord am Hamas-Funktionär Mahmud al-Mabhuh im Januar 2010 in Dubai beteiligt gewesen. Einige der vielen Verdächtigen benutzten gefälschte australische Pässe.
Zygier habe nach dem Mabhuh-Mord Kontakt mit den dortigen Behörden aufgenommen, berichtete das Blatt. Zygier habe Einzelheiten über den Mord an Al-Mabhuh sowie Namen und Bilder anderer Agenten preisgegeben. Im Gegenzug habe Dubai ihm Schutz zugesichert. Er sei jedoch von Israel entführt und in Isolationshaft gesteckt worden.
Die Familie schweigt
Die Familie Zygiers, dessen Vater einer der Direktoren der jüdischen Vereinigung B'nai B'rith in Australien ist, lehnte jede Stellungnahme ab. Auf dem jüdischen Friedhof von Melbourne trägt sein Grabstein aus schwarzem, poliertem Marmor die Inschrift: «In Erinnerung an Ben Zygier, geliebter Ehemann von Maya, bewunderter Vater von Romi und Yuli, geschätzter Sohn von Louise und Geoffrey.»
Ben Zygier hatte in Melbourne eine jüdische Tagesschule besucht. Patrick Durkin, Kommilitone aus Zeiten des gemeinsamen Jurastudiums, erinnert sich an lebhafte Debatten über die Nahostpolitik: «Wir sprachen über die heikelsten Punkte des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Und Ben schien in diesen Fragen sehr engagiert», wird Durkin in der Zeitschrift Australian Financial Review zitiert. «In unserer damaligen Studentenclique ist Ben als sehr nachdenklicher Typ in Erinnerung geblieben, der sich auch immer ein wenig abseits hielt.»
Im Jahr 2001 nach Israel ausgewandert
Laut ABC wanderte Zygier 2001 als Ben Alon nach Israel aus. Er heiratete dort eine Israelin, bevor er Anfang 2010 festgenommen und unter grösster Geheimhaltung und falscher Identität in Ajalon isoliert wurde. Anklage und Prozess standen noch bevor, als er erhängt aufgefunden wurde. Laut Grabstein war dies am 15. Dezember 2010, sechs Tage nach seinem 34. Geburtstag. Eine amtliche Untersuchung der Todesursache endete vor sechs Wochen mit dem Befund, der Gefangene habe Selbstmord begangen.
Erstmals kam der Fall schon sechs Monate vor dem Tod Zygiers auf, als die israelische Nachrichtenwebsite Ynet von einem Gefangenen schrieb, dessen Identität und Haftgründe nicht einmal die Vollzugsbeamten kennen durften. Schnell war die Meldung wieder offline und eine Zensur wurde über den Fall verhängt.
Von Netanyahu ins Büro zitiert
Als am Dienstag ABC seine Recherchen veröffentlichte, rief Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die Chefredakteure der wichtigsten israelischen Medien in sein Büro und forderte sie auf, «nicht über einen Vorfall zu berichten, der ein bestimmtes staatliches Institut in grösste Verlegenheit bringen könnte». Eine klare Anspielung auf den Mossad, schrieb die Zeitung «Haaretz».
Als daraufhin drei Oppositionsabgeordnete, geschützt durch ihre Immunität im Parlament, Justizminister Jakob Neeman zu der Affäre befragten, war die Totalzensur nicht mehr zu halten. Und der Presse wurde erlaubt, das zu berichten, was aus Australien bekannt wurde. Nun werden auch vorsichtig Details im eigenen Land bekannt.
Angst, dass die Familie ihn verstossen würde
So berichtete heute der Menschenrechtsanwalt Avigdor Feldman, der Zygier auf Bitten seiner Familie wenige Tage vor seinem Tod besucht hatte, in einem Radio-Interview: «Er rechnete damit, zur längstmöglichen Haftstrafe verurteilt zu werden und dass seine Familie ihn verstossen würde.» Anzeichen für eine Selbstmordabsicht habe er aber nicht gespürt. Und auch Feldman, der die Akten kennt, unterliegt der strengen Zensur und darf nicht sagen, was dem «Gefangenen X» eigentlich vorgeworfen wurde.
Feldman sagte, Zygier habe sich bei dem Treffen im Dezember 2010 rational verhalten und habe Möglichkeiten seiner Verteidigung erwägt. Es habe Verhandlungen über eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft gegeben. Am Tag darauf habe man ihn darüber informiert, dass der australische Staatsbürger sich das Leben genommen habe.
Die eigens für den Mörder des früheren Ministerpräsidenten Izchak Rabin gebaute Zelle wurde rund um die Uhr per Bildschirm überwacht. Nach israelischen Zeitungsberichten erhängte Zygier sich jedoch in einem eingebauten Badezimmer, aus dem es zum Schutz der Privatsphäre keine Video-Übertragung gab.
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