«Nationale Einheit» ebnet Weg für Tunesiens Islamisten
Tunesiens Übergangspräsident Mebazaa verspricht den «vollständigen Bruch mit der Vergangenheit». Dies öffnet auch neue Perspektiven für die bis anhin verbotene islamistische Partei.
Der tunesischen Regierungspartei RCD zerrinnt die Macht in den Händen. Knapp eine Woche nach dem Sturz des langjährigen Staatschefs Zine al-Abidine Ben Ali wurde das Zentralkomitee der Partei am Donnerstag aufgelöst.
Als Reaktion auf die anhaltende Proteste traten auch die letzten Minister in der Übergangsregierung aus der früher von Ben Ali geleiteten Einheitspartei RCD aus.
Bereits am Mittwoch hatten Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi und Übergangspräsident Foued Mebazaa diesen Schritt vollzogen. Mebazaa versprach in einer Fernsehansprache einen «vollständigen Bruch mit der Vergangenheit» und die Etablierung einer «Nationalen Einheit».
Namenszug des RDC entfernt
Im Zentrum der Hauptstadt gab es dennoch erneut Demonstrationen, bei denen Tunesier die vollständige Auflösung der RCD und den Rücktritt aller mit dem alten Regime verbundenen Minister forderten. Am Hauptsitz des RCD wurde unter Duldung von Soldaten der Namenszug der verhassten Regierungspartei von der Fassade gerissen.
Soldaten hinderten die Menge daran, über den Zaun der Parteizentrale zu klettern. Ansonsten blieben die Proteste friedlich. Er kam zu Verbrüderungsszenen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.
Parteiverbote werden aufgehoben
Die tunesische Übergangsregierung beschloss am Donnerstag auf ihrer ersten Kabinettssitzung eine Generalamnestie für politische Häftlinge und die Zulassung aller politischen Organisationen. Auch die verbotene islamistische Partei Ennahda soll wieder zugelassen werden. Das Parlament muss dem Gesetzesentwurf aber noch zustimmen.
Industrieminister Mohamed Afif Chelbi kündigte zudem an, der Staat werde sämtliche Vermögenswerte der Familie Ben Ali sicherstellen. Die Übergangsregierung will untersuchen lassen, wie die Familie des langjährigen Staatschefs zu ihrem grossen Vermögen gekommen ist. 33 Mitglieder des Ben-Ali-Clans waren am Mittwoch festgenommen worden. Ben Ali selbst war nach Saudiarabien geflohen.
An der Sitzung des Übergangskabinetts fehlten fünf Minister, die aus der Regierung zurückgetreten waren. Erstmals verzichtete auch ein enger Vertrauter Ben Alis auf einen Platz im Kabinett.
Nach Angaben des Staatsfernsehens legte der Staatsminister für lokale Verwaltung, Zouheir M'Dhaffer, sein Amt nieder. Er hatte sich zuvor als Propagandist der alten Regierung hervorgetan und galt als kompromittiert.
EU friert Gelder ein
Auch das Ausland verstärkte den Druck auf Ben Ali. Die millionenschweren Konten des Ex-Präsidenten sollen nun auch in der EU gesperrt werden. Darauf verständigten sich Vertreter von 27 Mitgliedstaaten am Donnerstag in Brüssel in einer Arbeitsgruppe, berichteten Diplomaten.
Am Mittwoch hatte bereits die Schweizer Regierung beschlossen, allfällige Gelder und Immobilien Ben Alis und seiner Entourage einzufrieren.
Rund 30 Exil-Tunesier, die in der Botschaft des nordafrikanischen Landes in Bern protestiert hatten, verliessen unterdessen die Räumlichkeiten der diplomatischen Vertretung wieder.
Sie hätten alle die geforderten Reisedokumente erhalten, erklärte die Botschaft. Nach dem Machtwechsel in Tunis wollten die Exil- Tunesier, die nach eigenen Angaben als politische Flüchtlinge in der Schweiz lebten, in ihre Heimat zurückkehren, verfügten aber nicht über gültige Pässe.
Weitere Kandidatur fürs Präsidentenamt
Der frühere Regimekritiker Taoufik Ben Brik brachte sich unterdessen als Kandidat für die Präsidentschaftswahl ins Spiel. Der unter Ben Ali mehrere Monate inhaftierte Journalist kündigte am Donnerstag seine Kandidatur an. Der 50-Jährige wird vermutlich als unabhängiger Kandidat antreten.
Neben Ben Brik hatte bis Donnerstag lediglich der ehemalige Vorsitzende der tunesischen Menschenrechtsliga, Moncef Marzouki, angekündigt, bei den Neuwahlen kandidieren zu wollen. Sie wären die ersten freien Wahlen in dem nordafrikanischen Mittelmeerland seit der Unabhängigkeit 1956.
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