«Unsere Nachbarinnen wurden nachts vergewaltigt»
Mit dem Strom der Flüchtlinge aus Somalia ist in Dadaab auch die Zahl der sexuellen Übergriffe gewachsen. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Frauen im Lager den Angreifern ausgeliefert.
Still kauert Barwago Mohamud nachts unter den paar Decken, die seit ihrer Flucht aus Somalia und der Ankunft im Lager Dadaab in Kenia ihr Zuhause sind. Sie hat Angst um ihr Leben, Angst davor, vergewaltigt zu werden wie eine Nachbarin oder wie die Frau, d entführt, tagelang vor ihren entsetzten Kindern missbraucht und schliesslich nackt zur Behandlung ins Ärztezelt gebracht wurde. Nur wenige hundert Meter weiter steht ein neu gebautes Lager, in dem Mohamud sicher sein könnte – doch die kenianische Regierung will die Anlage «Ifo 2» nicht für Flüchtlinge aus Somalia öffnen.
Frauen und Kinder, die vor der Hungerkatastrophe aus Somalia geflohen sind, müssen daher immer weiter am Rand von Dadaab unterkommen, und damit immer weiter vom sicheren Zentrum entfernt. In den Randgebieten des Lagers treiben sich abends und nachts bewaffnete Männer herum, Deserteure der somalischen Truppen oder Kenianer, die sich reihenweise an den verzweifelten Flüchtlingen aus Somalia vergehen. «Unsere Nachbarinnen wurden nachts vergewaltigt», sagt Mohamud leise. «Wir haben Angst.» Zwar hielten ein paar Jungs Wache, sagt sie. Sie müssten aber tagsüber arbeiten und bräuchten ihren Schlaf.
Erweiterungsbau würde Sicherheit bieten
Der Kontrast zwischen Mohamuds armseligen Lager und «Ifo 2» könnte nicht grösser sein: Der Neubau verfügt über sauber gemauerte Toilettenhäuschen, eine Polizeiwache und zwei hübsch gestrichene Schulen. Errichtet wurde er als dringend nötige Erweiterung für das ursprünglich auf 90'000 Menschen ausgelegte Lager Dadaab, das inzwischen rund 440'000 Flüchtlinge beherbergt.
Die Europäische Union, die USA und weitere Geldgeber stellten 16 Millionen Dollar für den Bau von «Ifo 2» zur Verfügung, um dort 40'000 weitere Menschen unterzubringen. Die kenianischen Behörden betrachten Flüchtlinge aus Somalia jedoch als Sicherheitsrisiko, weil Teile des Landes in der Hand von Extremisten mit Verbindungen zu al-Qaida sind. Ausserdem befürchten sie einen weiteren Zustrom aus Somalia, wenn sich «herumspricht», dass den Flüchtlingen dort problemlos medizinische Versorgung und Schulbildung zur Verfügung gestellt wird. Wann «Ifo 2» eröffnet wird, steht daher noch immer in den Sternen.
Grossteil der Übergriffe wird verschwiegen
Angegriffen werden die Flüchtlingsfrauen häufig, wenn sie zur Toilette gehen oder Feuerholz sammeln. Mohamud besteht darauf, ihre drei Töchter jedes Mal auf dem Weg in die Büsche zu begleiten und nimmt dann sicherheitshalber die einzige Taschenlampe mit, die sie sich mit acht weiteren Frauen teilt. Sinead Murray von der Hilfsorganisastion International Rescue Committee (IRC) zufolge wurden seit Anfang Juni doppelt so viele Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen gemeldet wie in den Monaten Januar bis Mai.
Zwar würden immer mehr Frauen sich nach Übergriffen melden, sagt Murray. Der Grossteil der Gewalttaten werde aber verschwiegen – zum einen, weil die Frauen nicht wissen, wo sie Hilfe suchen sollen, zum anderen, weil sie sich schämen und befürchten, als Opfer ausgegrenzt zu werden.
Eine von diesen Frauen ist Sahan, die in einem Bus aus Somalia kommend in Kenia eintraf. Das Fahrzeug wurde von vier Bewaffneten gestoppt, die Frauen mussten aussteigen und wurden stundenlang missbraucht. Gemeldet hat Sahan den Übergriff nicht: Am äussersten Rand von Dadaab ist sie von jeglicher medizinischer Versorgung weit entfernt, und sie wollte nicht von ihrer Familie weg.
«Wir haben sonst nichts, wo wir hingehen könnten»
In der Anlage «Ifo 2» sollte ein eigenes Gebäude für die Organisation Ärzte ohne Grenzen errichtet werden, um die Flüchtlinge dort medizinisch zu versorgen. Anfang des Jahres habe man sie aber angewiesen, die Arbeiten abzubrechen, erklärten Mitarbeiter. Die Menschen werden jetzt stattdessen in einem Zelt in der Nähe versorgt. Mit dem Zustrom weiterer Flüchtlinge werden zusätzliche Zelte errichtet, aber Frauen und Kinder in Dadaab sind trotzdem gezwungen, immer weiter entfernt davon unterzukommen.
Mohamud fürchtet sich vor jedem Sonnenuntergang, weil dann die Dunkelheit einsetzt und sie in ihrer provisorischen Unterkunft Angst um sich und ihre Töchter hat. Denn Wände oder eine richtige Tür gibt es nicht – Decken sind die einzige Abgrenzung nach draussen und bieten keinerlei Schutz gegen mögliche Eindringlinge. «Wir haben Angst», sagt die Somalierin erneut, während ihre 13-jährige Tochter auf dem Boden spielt. «Vielleicht kommen sie zurück. Aber wir haben sonst nichts, wo wir hingehen könnten.»
Katherine Houreld ist Korrespondentin der AP
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