Sie kämpft gegen den Krebs und Präsident Ortega
Für die Regierung Nicaraguas ist Nahomy Urbina eine Terroristin, für die Opposition ist sie die «starke Kommandantin».

Die blau-weisse Nationalflagge trägt sie als Umhang, den selbst geschweissten Mörser in der rechten Hand, eine Gasmaske in der linken: Mit diesem Bild wurde die 21-jährige Nahomy Urbina als führende Kämpferin für ein freies Nicaragua bekannt.
Seit April steckt das Land in einer politischen Krise. An deren Anfang stehen zwei Vorfälle: der Umgang der Regierung mit einem Waldbrand in einem Naturschutzgebiet und ihr Vorschlag für eine Reform der Sozialversicherung. Obwohl die Rentenreform zurückgezogen wurde, gingen die Proteste weiter – und richteten sich nun vermehrt gegen die andauernde Herrschaft des Präsidenten Daniel Ortega. Dieser kehrte 2007 ins Präsidentenamt zurück. Obwohl die Verfassung eine unmittelbare Wiederwahl ausschloss, liess er sich 2011 und 2016 im Amt bestätigen.
«Ich verabscheue Mitleid»
Es sind Studenten der unterschiedlichsten Universitäten Nicaraguas, die als die ersten Demonstranten auf den Strassen marschieren. Unter ihnen: Urbina. Viele hoffen, dass sich der Konflikt schnell löst. Als Sicherheitskräfte und regierungsnahe Paramilitärs die Demonstrationen niederschlagen, verschanzen sich die protestierenden Studenten in Universitäten und Schulen. Auch Urbina verlegt ihr Zuhause hinter die Barrikaden der San-José-Schule in Jinotepe – 40 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt Managua. Zwölf Tage verbringt sie dort und mobilisiert neue Demonstranten.
Aber Urbina kämpft nicht nur für ihr Land, sondern auch gegen ein Lymphom, welches Ärzte im vergangenen Dezember diagnostizierten. Während der Unruhen durchläuft sie eine Chemotherapie. Doch bemitleidet werden will sie nicht: «Viele sagen: Du armes Ding, du wirst sterben. Das mag ich nicht, da ich Mitleid verabscheue», sagt Urbina.
Schon bald kursiert in den sozialen Medien ein ihr gewidmeter Hashtag: #comandantemacha – die starke Kommandantin. Sie erhält den Namen, da sie in einem Interview angibt, mehr männliche als weibliche Freunde zu haben. Auch ist sie eine der wenigen Frauen hinter den Barrikaden. Das Bild, das sie mit dem Mörser zeigt, wird zum Protestsymbol, landet auf T-Shirts, Bannern und Posts.
«Ich werde nicht schweigen»
In den kommenden Wochen gehen die Polizisten und die regierungstreuen Schlägertruppen brutal gegen die Demonstranten vor. Studenten, Rentner und Witwen werden niedergeschossen, Erwachsene, Kinder und Schwangere in ehemaligen Folterzentren eingesperrt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisation sterben rund 500 Menschen.
Auch Urbina gerät auf den Radar der Unterstützer der Regierung: In den sozialen Netzwerken wird sie mit Hassnachrichten überschwemmt; Morddrohungen und Einbrüche in ihr Haus in der Hauptstadt Managua verunsichern sie. Aktivisten berichten, dass «die Kommandantin» im Rahmen einer «Hexenjagd» fürchten musste, unter einem im Juli eingeführten Terrorismusgesetz angeklagt zu werden. Die Reform führt dazu, dass Demonstranten unter anderem wegen Tötungen und anderer meist erfundener Vorwürfe angeklagt werden. Als ein Haftbefehl gegen die «Kommandantin» ausgesprochen wird, flieht Urbina im Juli nach Costa Rica. Ihr neuer Status: Flüchtling.
Nahomy Urbina in Costa Rica nach ihrer Flucht.
Doch die Regierung findet einen neuen Weg, ihr zu schaden: Letzte Woche wurden ihre Mutter und Grossmutter verhaftet. Urbina meldet sich aus dem Exil: In einem Facebook-Video erklärt sie, dass sie weiterhin die Anliegen der Demonstrierenden mittrage: «Ich werde nicht schweigen. Ich werde weiterhin Interviews geben und der Welt erzählen, was in Nicaragua passiert», sagt sie. Es sei schwer, zu beschreiben, wie sich ihr Herz anfühlt, angesichts der vielen politischen Gefangenen, die in Haft gefoltert und vergewaltigt worden seien. «So viele junge Menschen verlieren ihre Freiheit, aber ich möchte, dass du weisst, dass ich den Kampf mit euch allen weiterführen werde.»
Die Familienmitglieder Urbinas sind nicht die einzig Inhaftierten. Menschenrechtsorganisationen kämpfen derzeit für die Befreiung von 340 politischen Flüchtlingen, wie der «Guardian» berichtet. Letzte Woche gab die Polizei an, dass Proteste der Opposition nun «illegal» seien. Wohl aber nicht für alle: So fand am Mittwoch ein Umzug zur Unterstützung von Präsident Ortega statt. Tausende Sandinisten marschierten durch das Zentrum der nicaraguanischen Hauptstadt. Die Mehrheit von ihnen waren Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Es wird vermutet, dass viele nicht freiwillig teilgenommen haben. So berichten Augenzeugen, dass die Beamten zu Beginn und am Ende des Umzugs eine Anwesenheitsliste unterschreiben mussten.
Bilder: Ausschreitungen in Nicaragua
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