Sweet Home: Wundersames WismarBackstein, Kirchen, Nosferatu und Fisch
Kommen Sie mit auf einen kleinen Stadtspaziergang durch die deutsche Stadt Wismar an der Ostsee.

Eine Freundin von mir ging jeden Sommer in die DDR in die Ferien, da ihre Mutter von dort kam. Sie erzählte fantastische Geschichten von endlosen Sommertagen, grossen Stränden und hübschen Häusern. Für mich klang alles wie aus dem Bilderbuch. Später brachte sie dann Fundstücke mit, welche sie in den DDR-Geschäften entdeckte, wie schöne Hefte, Bleistifte, Bürsten – einfache Alltagsgegenstände, die anders gemacht wurden als bei uns, andere Farben hatten und einen ganz speziellen Charme ausstrahlten.
Als ich im Oktober einer Einladung der deutschen Zentrale für Tourismus folgte und auf einer kleinen Pressereise an der Ostsee war, besuchten wir zuerst Wismar. Bei meinem ersten Bild, das ich auf Instagram postete, meldete sich meine Freundin und erzählte mir, dass Wismar eben dieser wundersame Ort ihrer Kindheit sei.

Ich habe Wismar zuerst in der Krimiserie «SoKo Wismar» entdeckt. Denn seit der Pandemie haben sich meine Gewohnheiten geändert. Ich begann, in einfache, nicht allzu beängstigende deutsche Krimiserien zu tauchen, denn meine englischen Lieblinge «Miss Marple» und «Poirot» kenne ich inzwischen alle auswendig (nicht, dass mich das davon abhält, sie trotzdem immer mal wieder anzuschauen).
Aber «Soko Wismar» packte mich, da es mein Fernweh stillte und eine beruhigende Wirkung hatte. Die Strassen, durch die das Polizeiteam die Bösen jagt, sehen so anders aus – wie aus dem Bilderbuch. Und da ist das Meer im Norden, für mich exotisch und begehrenswert. Zudem gibt es eine gute Portion gemütliche Idylle: Den dicken Polizeichef etwa, der mit dem Fahrrad durch die Stadt und dem Hafen entlang fährt und immer Fischbrötchen isst.

Da war ich nun, mitten in dieser so ganz anderen Welt. Unsere kleine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten aus der Schweiz und Österreich wurde von einem Chauffeur mit einem Minibus am Hamburger Flughafen abgeholt. Wir ratterten ein paar Stunden auf der Autobahn mitten in die Altstadt von Wismar. Doch da war noch niemand, der uns abholte, so überredeten wir unseren netten Chauffeur, der übrigens Pöhlmann aus «Soko Wismar» ähnelte und auch so sprach, uns doch schon mal in die Unterkunft zu bringen, um einzuchecken.
Wir wohnten in ganz neuen Ferienwohnungen in einem umgebauten Lagerhaus am Hafen, die wirklich hübsch und komfortabel waren. Endlich kam unsere Reiseleiterin und wollte uns für Tee und Kuchen in ein Café bringen. Doch nachdem wir bereits seit sechs Uhr morgens unterwegs waren und auch im Flugzeug natürlich nichts serviert bekamen, wie das mittlerweile so Brauch ist, waren wir alle richtig hungrig. Also machten wir uns ganz nach dem Motto eines österreichischen Kollegen («Ohne Mampf, kein Kampf») erst mal auf den Weg zu den Ständen am Hafen. Nach einem dieser legendären Fischbrötchen waren wir dann gut gelaunt und bereit, diese fremde Welt zu erkunden.

Dass die Stadt so ganz anders aussieht wie die Städte, die ich sonst so kenne, hat natürlich viel damit zu tun, dass sie am Meer ist. Aber noch mehr mit den vielen roten Backsteinbauten. Die ersten davon sahen wir am Hafen. Weil man Neues zur besseren Einordnung immmer gerne mit Bekanntem vergleicht, erinnerten sie mich ein wenig an New York. Die Stadt, in der ich einst eine Weile lebte, aber schon ewig nicht mehr war. Diese grossen Lagerhäuser am Meer vermitteln gleichzeitig Weltoffenheit, Stattlichkeit und Fernweh, vor allem für Binnenländerbewohner.

Ebenfalls aus Backstein ist das Stadttor, durch das Nosferatu im allerersten Horrorfilm in die Stadt schritt. Ich sah den legendären Stummfilm Nosferatu, den Franz Murnau 1921 zum Teil in Wismar drehte, während meiner Ausbildung in der Kunstschule an einem Morgen in der Aula mit Livemusik. Ein eindrückliches, unvergessliches Erlebnis, das im nächsten Sommer für Touristen auf diese Art auch in Wismar möglich sein wird. Wie viele solcher Jubiläen wurde auch der 100. Geburtstag vom grossen Stummfilm Nosferatu pandemiebedingt ein wenig verschoben.

Die kleine Stadt hat viele grosse und grossartige Kirchen, in die wir ziemlich bald geführt wurden. Ich liebe es, Kirchen anzuschauen. Ich ging auch mit Miss C., meinem ersten Hündchen, in alle Kirchen, die offen hatten. Die Tatsache, dass man Hunde nicht in die Kirchen mitnehmen darf, habe ich einfach ignoriert.
In der Schweiz ist mir aufgefallen, dass nur die katholischen Kirchen offen sind, die protestantischen sind immer verschlossen. Da ich katholisch bin, sind mir die üppigeren Kirchen mit Kerzen, Schmuck und vielen Heiligen eh näher und die meisten Kirchen waren ja erst mal katholisch. Doch diese grossen, eindrucksvollen Kirchen in Wismar waren noch mal ganz anders.

Natürlich ist für mich die Optik immer das Erste und das Wichtigste. Und die St. Nikolaikirche war wunderschön. Ihre hohe Hallen sind bunt bemalt mit Mustern, Ornamenten und Bordüren und natürlich auch mit Bildern.

Zudem sind da prächtige barocke Tafeln, Kanzeln und Kerzen, auch solche, die man für die Verstorbenen anzündet wie in den katholischen Kirchen. Die Kirche ist wirklich ein Traum. Ich kann hier nicht so viele Bilder zeigen, denn sonst wird diese sonntägliche Reisegeschichte eine Kirchengeschichte. Aber für alle, die es interessiert, poste ich heute ein kleines Album mit den Bildern aus der St. Nikolaikirche auf meinem Instagram-Account.

Dass die kleine Stadt so viele Kirchen hat, hat damit zu tun, dass Wismar eine sehr reiche Handelsstadt war und die vielen vermögenden Handelsleute etwas mit ihrem Geld machen wollten. So bauten sie Kirchen, eine höher und grösser als die andere, und sie nutzen diese nicht nur für den Gottesdienst. Vielmehr trafen sie sich in den Kirchen auch, um Geschäfte zu machen und sich auszutauschen.

Diese Offenheit ist diesen grossartigen Kirchen erhalten geblieben. So gibt es Orte für die Seefahrer, Kunst, eine Kinderkapelle und einen Buchladen.

Draussen machte sich gerade der Herbst Platz. Der Herbst ist eigentlich die schönste Jahreszeit, um Häuser und Kirchen anzuschauen. Er lässt sie im goldenen Licht erstrahlen und verdeutlicht ihre wichtigste Bedeutung als Orte der Zuflucht.

Diese Reise in den Nordosten Deutschlands war für mich eine Reise der Häuser, der Sweet Homes. Ich habe gelernt, dass hier in dieser Handelsstadt die Wohnbereiche der Häuser nicht die wichtigsten waren, sondern einfach ein Anhängsel im hinteren Teil des Hauses.

Zur Strasse gerichtet sind die fantastischen Fassaden und dahinter grosse Hallen, in denen die Handelsgüter gelagert wurden. Später, auf unserer nächsten Destination Stralsund, besuchen wir dann ein solches Sweet Home, das genau die Geschichte des Wohnens in der Entstehungszeit der Häuser zeigte. Doch das wird dann ein anderer Blogbeitrag, den Sie noch diesen Herbst auf Sweet Home lesen können.

Wismar hat tatsächlich diese Bilderbuchstrassen, von denen meine Freundin früher erzählte. Sie sind zuweilen sehr gemächlich, sodass man sich manchmal alleine währt. Die Städte Wismar und Stralsund gehören zum Welterbe der Unesco. So wird alles gepflegt, erhalten und harmonisch in die Gegenwart integriert. Es sind keine typischen Touristenstädte und das macht sie meiner Meinung nach ideal für alle, die sich gerne wie ich einfach für eine Weile in der Fremde fühlen möchten. Es tut gut, Neues zu sehen und zu entdecken und nicht einfach bloss von einem beliebten Instagram-Hotspot zum andern zu hüpfen! Für mich ist der Bummel durch andere Städte, das genaue Anschauen der Häuser, der Kultur und dem Alltag, wie eine grosse erweiterte Version von langen Spaziergängen, die man übrigens gut auch alleine machen kann.

Natürlich findet man hier auch hübsche kleine Cafés, in denen man, wie hier im Café Alte Löwenapotheke, nicht nur Kuchen und Kaffee, sondern auch kleine Mahlzeiten bekommt. Angeschlossen ist ein Geschäft mit besonderen Lebensmitteln von kleinen, interessanten Produzenten.

Dieses Geschäft ist wohl noch so, wie die Geschäfte, in die meine Freundin zur DDR-Zeit auf Shoppingtour ging. Es tut gut, für einmal durch Strassen zu schlendern ohne dabei all dieselben, grossen, globalen Marken zu sehen.

Ein Besuch im Schabbelhaus lohnt sich ebenfalls. Das Haus gehörte dem Bierbrauer, Kaufmann und Bürgermeister Heinrich Schabbel, ist ein Museum und erzählt die 800-jährige Geschichte des Hauses und der Stadt.

Ein Sweet-Home-Highlight ist das Tapetenzimmer. Die Bildtapete zeigt eine mythologische Geschichte, welche der Künstler Xavier Mader zwischen 1815-1820 als Tapetenentwurf umsetzte. Die Panoramatapete wurde 1823 von der Pariser Manufaktur Dufour&Leroy produziert. Dafür brauchte sie 87 Farben und 2087 Druckstöcke. Solche Tapeten waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts beim gehobenen Bürgertum gross in Mode und ein Symbol von Weltoffenheit.

Es ist immer gut, alles auch von weitem oder von oben zu betrachten. Die Weitsichten von Türmen oder Landschaftspunkten sind nicht nur eindrucksvoll, sondern helfen auch dabei, einen Ort besser zu verstehen. So besuchten wir die St. Georgenkirche, ein weiterer gotischer Backsteinbau, nicht nur innen, sondern fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf, um schon wieder Teil von märchenhaften Bildern und Stimmungen zu werden. Die St. Georgenkirche wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und später wieder neu renoviert und aufgebaut. Die grossen hohen Backsteinhallen dienen nun als Konzertsaal.

Diese Seite zeigt den Blick auf den Hafen und das Meer. Die absolut fantastischen Lichtstimmungen und der ständige Wechsel von Wetter und Wind bringt viel dramatische Schönheit in den Alltag …

… und lässt auch wieder an den Film Nosferatu denken.

Doch kommt auch Adventskalenderstimmung auf. Besonders auf dem Marktplatz, an dem zauberhafte Häuser im Dämmerlicht zu glitzern scheinen. Manche Fassaden wirken wie Spitzen, Scherenschnitte oder Papierlaternen, denn die Fensterbögen sind nur Zierde und somit offene Tore zum Himmel.

In eines dieser wunderschönen Häuser sind wir eingekehrt und genossen natürlich Fisch, frisch aus dem Meer. Die Fischpfanne mit Gemüse wurde mit Salzkartoffeln serviert und schmeckte nach einem langen Tag bei Wind und Wetter, Stadttouren und Museumsbesuche einfach fantastisch.
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