Bald pfeift sie aus dem letzten Loch
Die umstrittene Tonhalle-Orgel wird zurzeit abgebaut und anschliessend nach Polen transportiert.
Genau weiss Andreas Ladach nicht, was ihn morgen erwartet, wenn die ganz grossen Pfeifen an der Reihe sind. Etwa 150 Kilo schwer seien die vorderen baumhohen Metallpfeifen wohl. Und dahinter, da kommen noch grössere aus Holz zum Vorschein.
Der aus Wuppertal stammende Ladach ist zusammen mit dem polnischen Orgelbauer Marian Majcher und dessen Team seit Anfang Woche daran, die aus dem Jahr 1988 stammende Tonhalle-Orgel abzubauen. Laasch ist ein international ausgewiesener Fachhändler für gebrauchte Pfeifenorgeln. Er hat in seiner 30-jährigen Berufstätigkeit schon unzählige Orgeln ab- und andernorts wieder aufgebaut – eines seiner Referenzobjekte ist die grosse Orgel aus der Kathedrale Lausanne, die in die Philharmonie in Danzig gebracht wurde. Und doch sagt er: «Jedes Instrument bietet uns wieder Überraschungen.»
Akustisch eine Diva
Es wird etwa zwei Wochen dauern, bis die 5362 Pfeifen der Orgel abgebaut, fein säuberlich verpackt und für den Transport bereits sind. Die kleinsten Pfeifen sind gerade mal so gross wie Kugelschreiber, für die grössten braucht es etwa acht Personen, um sie von der Windlade zu heben.
Auch das prächtige Gehäuse, der Prospekt des Mettmenstetter Architekten Hans-Rudolf Zulauf, wird abgebaut und verpackt. Es gab der Orgel, die von Kleuker/Steinmeyer in Zusammenarbeit mit dem berühmten Pariser Organisten Jean Guillou gebaut wurde, den grossen optischen Auftritt. Doch war sie vor allem akustisch eine Diva, was Anlass dafür war, dass sie von manchen geliebt, von anderen geschmäht wurde.
Petition zur Rettung lief ins Leere
Eines attestierten ihr alle: Charakter. Die viermanualige Kleuker/Steinmeyer-Orgel mit ihren 68 Registern gilt als farbenreich und vollmundig. «Bei diesem Instrument sehen wir uns einem Ensemble von ausserordentlich charakteristischen Stimmen gegenüber, die vereint ein besonders wuchtig-dramatisches Plenum zu bilden vermögen», beschreibt sie der Organist Ulrich Meldau.
Was Kritiker gar nicht abstreiten, doch monieren sie, dass diese Orgel sich schlecht in den Orchesterklang füge. Und da die Orgel in der Tonhalle grossmehrheitlich nicht als Soloinstrument zum Einsatz kommt, entschied sich die Kongresshaus-Stiftung dafür, eine neue Orgel anzuschaffen.
Eine im Juni von 2000 Personen unterschriebene Petition zur Rettung der Orgel ist zwar noch bei der Stadtpräsidentin hängig, doch ist sie nun hinfällig. Auch ging sie an die falsche Adresse, entscheidet doch alleine die Stiftung als Eigentümerin des Tonhalle-Gebäudes darüber.
Auf fünf Lastwagen verpackt nach Polen
«Wir haben uns den Entscheid nicht leicht gemacht», sagt Stiftungspräsident Hans-Peter Fricker. Doch zu den künstlerischen Vorbehalten kamen auch finanzielle Überlegungen. Der Ab- und Wiederaufbau der Orgel hätte gut 1,2 Millionen Franken gekostet. Eine neue Orgel wird mit 2,8 Millionen veranschlagt – und um einiges billiger wird deren Wartung sein. Rund 50'000 Franken kostete nämlich die aufwendige Wartung der Tonhalle-Orgel jährlich, üblich sind etwa 10'000 Franken.
Auf fünf Lastwagen verteilt wird daher die abgebaute Orgel nach Polen in ein Zwischenlager gebracht, in dem Temperatur und Feuchtigkeit den empfindlichen Teilen nichts anhaben können. Ein Käufer ist allerdings noch nicht in Sicht: In dem elektronischen Katalog Ladachs macht sie aber unter den aktuellen Angeboten eine gute Gattung. Preis nach Anfrage.
Die Orgel selbst wird als Geschenk weitergegeben. Der Beschenkte hat aber die Kosten für den Abbau, den Transport, das Zwischenlager und den Wiederaufbau zu übernehmen. Zusammen wird das auf etwa 220'000 Franken veranschlagt.
Rund ein Jahr Bauzeit
Die neue Orgel wird wohl etwas kleiner sein, aber sicher gleich viele, wenn nicht mehr Register aufweisen. Im nächsten Monat wird laut Fricker die Detailplanung in Angriff genommen, bei der es unter anderem um das genaue musikalische Profil des Instruments geht. Der Neubau einer solchen Orgel dauert rund ein Jahr. Fast ein weiteres Jahr braucht dann der Aufbau und vor allem die Einstimmung am neuen Ort.
Den Auftrag für das prestigeträchtige Werk erhielt Orgelbau Kuhn AG in Männedorf. Dort kennt man die viel gerühmte Akustik der Tonhalle bestens. Kuhn pflegt seit 1998 die Tonhalle-Orgel. Parallel dazu laufen aber auch die Abklärungen über den Prospekt des neuen Instrumentes. «Uns ist bewusst, dass wir diesen Aspekt nicht vernachlässigen dürfen», sagt Fricker. Das Auge höre ja in gewisser Weise mit.
Intermezzo in der Maag-Halle
Mit dem Abbau der Tonhalle-Orgel beginnt die umfassende Sanierung und Restaurierung der Tonhalle, die bis 2020 abgeschlossen sein sollte. Das Tonhalle-Orchester zieht in der Zeit in die Maag-Halle beim Bahnhof Hardbrücke um.
In der Maag-Halle wird das Tonhalle-Orchester ohne grosse Orgel auskommen müssen. Laut Tonhalle-Pressesprecher Christian Schwarz muss aber das Zürcher Publikum deswegen nicht grundsätzlich auf Orgelbegleitung verzichten. Es gebe transportable Instrumente. Auch werde das Orchester verschiedentlich in anderen Räumen der Stadt spielen, also auch in Kirchen mit Orgeln.
Alte Freunde
Dabei könnte es zu einem Zusammentreffen «alter Freunde» kommen. In der Kirche Neumünster würde das Orchester nämlich von der allerersten Tonhalle-Orgel begleitet. Sie wurde 1872 für die alte Tonhalle gebaut – von Nepomuk Kuhn, dem Gründer der Firma, welche die neue Orgel baut. Als sie 1988 der neuen – nunmehr alten – Tonhalle-Orgel weichen musste, wurde sie, verkleinert, in die Kirche Neumünster gezügelt.
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