Banksys provokatives Hotel in Bethlehem
Ein Besuch im «Walled Off Hotel» – inklusive Affenbutler, Präsidentensuite und Tränengas aus Watte.
Die Betten sind weich, auch das Frühstück ist anständig. Der Tee exzellent, der Service fast rührend bemüht. Und der Hoteldirektor mit den buschigen Augenbrauen fragt am Morgen persönlich, ob man gut geschlafen habe. Aber was solls? Erstens ist ja niemand zum Wohlfühlen hier, und zweitens zahlt man in diesem Hotel nicht für die Annehmlichkeiten, sondern für die Aussicht, und das heisst: für den Mauerblick. Frontal, von jedem Fenster aus.
Das vom britischen Aktions- und Graffitikünstler Banksy gestaltete «Walled Off Hotel» in Bethlehem wirbt damit, «das Hotel mit dem schlimmsten Blick der Welt» zu sein. Es steht direkt an der von Israel errichteten Sperrmauer zum palästinensischen Westjordanland, acht Meter hoch, unten manchmal bunt bemalt, oben betongrau und im Ganzen bedrohlich. Das ist schon eine Reise wert. Nach einer generalstabsmässig über die Medien geführten Werbekampagne hat das Hotel nun endlich für die Gäste geöffnet, und wer das Glück hatte, ein Zimmer in der ersten Nacht zu ergattern, der hat nicht nur gut geschlafen in Bethlehem. Er darf sich auch als Teil eines subversiven und perfekt inszenierten Kunstprojekts fühlen.
Kunst und Politik und Subversion sind ja kaum voneinander zu trennen in den besetzten Palästinensergebieten, und in diesem Hotel kulminiert nun die lange Geschichte von Banksy und Bethlehem. Der stets vom Geheimnis der Anonymität umwehte Street-Art-Aktivist ist schon länger für die palästinensische Sache unterwegs. Bei Besuchen 2005 und 2007 hat er auf dem Sperrwall und angrenzenden Mauern Graffiti hinterlassen, die zu Ikonen wurden: die Friedenstaube mit der Splitterschutzweste; den jungen Kämpfer, der statt eines Steins einen Blumenstrauss schleudert; das Mädchen, das von Luftballons gezogen, die Mauer in Richtung Freiheit hochsteigt.
Selbst im abgeriegelten Gazastreifen hat Banksy 2015 seine Kunst auf den Kriegsruinen hinterlassen. Das Hotel ist also nur die konsequente Fortsetzung dieser Aktivitäten, aber trotzdem auch ein Überraschungscoup. Ein Jahr lang war das zuvor leer stehende Gebäude im Geheimen umgebaut worden, bis der leuchtende Schriftzug über dem Eingangsportal angebracht wurde: «The Walled Off Hotel», das im Namen auf die Ummauerung verweist und sich zugleich phonetisch anschmiegt an die luxuriöse Waldorf-Astoria-Kette.
Plakativ und provokativ
Eine rot-livrierte Affenfigur empfängt die Gäste am Eingang und weist den Weg in die Lobby. Gedämpftes Licht, Ledermöbel, Pianoklänge aus einem selbstspielenden Klavier. Very British, Kolonialstil eben. Im Kontrast dazu: Statt Hirschgeweihen sind auf den Trophäenbrettern Überwachungskameras installiert, darunter schmücken gekreuzte Vorschlaghämmer die Wand, Steinschleudern sind drumherum drapiert. In einer Ecke umzieht wattiges Tränengas die Marmorbüste eines vermummten Jünglings. Dazu gibt es Banksy-Klassiker: den Blumenwerfer goldgerahmt; den zum Kettenkarussell für Kinder umfunktionierten Wachturm.
Die Präsidentensuite für 965 Dollar ist mit allem ausgestattet, «was ein korrupter Staatschef brauchen würde».
Zu den Gästezimmern gelangt man durch eine als Bücherwand getarnte Geheimtür. Neun Räume, die unüberwindliche Mauer zum Greifen nah. Für 30 Dollar können Rucksackreisende im Schlafsaal in Stockbetten aus israelischen Armeebeständen nächtigen. Die Präsidentensuite kostet 965 Dollar die Nacht, ist aber dafür laut Eigenwerbung «ausgestattet mit allem, was ein korrupter Staatschef brauchen würde». Konkret: Heimkino, Dachterrasse und ein Whirlpool, dessen Befüllung aus einem zerschossenen Wassertank plätschert. Im «Banksy-Zimmer» findet sich am Kopfende des Kingsize-Bettes ein Schlachtengemälde – die Kissenschlacht zwischen einem israelischen Soldaten und einem vermummten Palästinenser. Dazu sind alle Zimmer mit royalem und kolonialem Nippes ausgestattet.
Plakativ und provokativ lässt Banksy die Welten aufeinanderprallen, und eine Erklärung dazu liefert er zugespitzt am Eingang zum Museum, das gleich hinter der Lobby liegt: «Die Briten haben dieses Chaos nicht nur angerichtet – jetzt sind sie auch zurück und erzählen die Geschichte.» Ein bitterer Gruss an den verstorbenen Londoner Aussenminister Arthur James Balfour, der lebensgross am Museumseingang hinter dem Schreibtisch thront. Auf Knopfdruck bewegt der Wackel-Balfour hektisch den Arm und unterzeichnet dabei jene berühmte Balfour-Deklaration von 1917, in der Grossbritannien den Zionisten Unterstützung dafür zusicherte, in Palästina eine «nationale Heimstatt» des jüdischen Volkes zu errichten.
Zum 100-Jährigen der Balfour-Deklaration wird von Banksy in fünf Räumen und für umgerechnet knapp vier Euro Eintritt multimedial jene Geschichte erzählt, die über den UNO-Teilungsplan und unzählige Kriege zur israelischen Besatzung, zur Mauer und zu diesem Hotel geführt hat. Schnell, eindringlich und gewiss aus israelischer Sicht nicht ausgewogen. «Hier erzählen wir unsere Geschichte, die sonst nicht erzählt wird», erklärt der von Banksy eingesetzte Hoteldirektor Wisam Salsaa. «Jeder kennt Israel, aber nur wenige kennen die Wirklichkeit hier in Palästina.» Das Hotel leiste dabei «einen Beitrag zum Frieden». Willkommen sei nämlich jeder, sagt der Direktor, «auch Israelis, wenn sie keine Siedler sind».
Willkommener Boom
Wisam Salsaa kennt Banksy angeblich schon seit dessen erster Reise nach Bethlehem. Reden darf er darüber natürlich nicht, Banksy ist ja von Natur aus unsichtbar. Kann natürlich sein, dass er zur Eröffnung des Hotels gekommen ist. Möglich, dass er einer von diesen Briten ist, die den ganzen Tag in der Lobby umherschwirren und irgendwie verschwörerisch schauen. Egal. Banksy spricht durch seine Hotel-Installation und obendrein in einem seiner seltenen Interviews, das er dem britischen Fernsehsender Channel 4 gegeben hat. «Mein Buchhalter», sagt er darin, «hatte Sorge, dass manche Menschen zu viel Angst haben, ins Westjordanland zu reisen. Aber dann habe ich ihn daran erinnert, dass die Leute für meine vorherige Show einen ganzen Tag in Weston-super-Mare verbracht haben.» In diesem englischen Küstenort hatte Banksy 2015 den beabsichtigt trostlosen Freizeitpark «Dismaland» eröffnet. «Grossbritanniens enttäuschendste neue Touristenattraktion», wie er sie nannte, zog innerhalb von fünf Wochen 150'000 Besucher an.
Auf einen solchen Boom hoffen sie nun auch hier hinter der Mauer im Westjordanland, die Taxifahrer, Fremdenführer und Souvenirshop-Besitzer. Auch wenn manche murren, dass hier aus dem Elend Profit geschlagen werde, ist für die meisten in Bethlehem Banksy so etwas wie Weihnachten. Zusätzlich zum frommen Pilgergeschäft soll er nun den darniederliegenden Tourismus ankurbeln. Die Läden sind ja sowieso schon voll mit Banksy-Motiven auf Postkarten, Taschen und T-Shirts. Nun ist mit dem Hotel als Gesamtkunstwerk noch eine Attraktion dazugekommen.
«Für die ersten drei Monate», verkündet Direktor Wisam Salsaa stolz, «sind wir schon fast ausgebucht.» Und neben den Hotelgästen kommen jetzt schon neugierige Tagesbesucher und internationale Selfie-Brigaden, die durch die Lobby und das Museum ziehen. Gleich nebenan im Wall-Mart können sie Spraydosen kaufen und Leitern ausleihen, um sich auf der Mauer zu verewigen. Solange da noch Platz ist.
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