Bauwut in Downtown Zug
60 Jahre Wirtschaftsboom haben ihre Spuren hinterlassen. Bilder zeigen spektakuläre Vorher-Nachher-Vergleiche.
Von Michael Soukup (@nachdenkend)
Es gibt diese berühmte Bildermappe «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder» aus dem Jahr 1973. Mit seinen legendären sieben Bildtafeln hat der Bieler Illustrator und Grafiker Jörg Müller eine ganze Generation geprägt. Am Beispiel des fiktiven Dorfs Güllen zeigte er auf, wie ein fast unberührter Lebensraum durch Menschenhand immer mehr zu einer nahezu klinisch sauberen und zubetonierten Stadtszenerie wird.
Güllen ist überall, wir können die baulichen Veränderungen tagtäglich im Siedlungsbrei Mittelland beobachten. Während die ländlichen Gebiete hauptsächlich von der Zersiedelung betroffen sind, steht in den Städten die bestehende Bausubstanz unter enormem Druck. «Es gibt in unserer Denkmalpflege-Zunft einen Spruch: ‹Armut ist der beste Denkmalpfleger›», sagt Reto Nussbaumer, Leiter der Denkmalpflege des Kantons Aargau. Er ist in der Stadt Zug aufgewachsen. Auf Zug gemünzt, ergänzt er: «Reichtum allein garantiert keinen anständigen Umgang mit der vergangenen Baukultur.»

Zug zählt knapp 30'000 Einwohner, aber dank der Nähe zu Zürich und der landesweit niedrigsten Steuerbelastung ist es Sitz vieler multinationaler Unternehmen. So gibt es im Städtchen 7000 Firmen mit fast 40'000 Arbeitsplätzen. Und deshalb kommt der frühere Denkmalpfleger des Kantons Zug, Heinz Horat, zum Schluss: «Zug ist keine Schweizer Kleinstadt. Zug ist wirtschaftlich ein ganz anderes Kaliber und muss städtebaulich mit Zürich, Basel oder Genf verglichen werden, mit Orten, wo mit einer hohen Dynamik umgegangen werden muss.»
Das Gespräch zwischen Nussbaumer, Horat und fünf weiteren amtierenden oder ehemaligen Denkmalpflegern findet im diese Woche erscheinenden Buch «Zug 1873–2016» statt. Sie beurteilen die teils atemberaubende Entwicklung der Zentralschweizer Metropole. Hauptbestandteil des Buches sind 100 Vergleichsbilder, die 50 Orte auf einer historischen und aktuellen Ansicht zeigen. Am Anfang des Projekts «Zeitbild» stand eine simple Idee mit subversivem Ansatz: Man nehme ein historisches Bild und platziere es im öffentlichen Raum genau dort, wo es einst aufgenommen wurde. Ohne Text, ohne weitere Erklärungen. Und lasse es wirken. Genau das haben Ueli Kleeb und Caroline Lötscher von DNS-Transport von 2008 bis 2014 getan und in dieser Zeit 50 Bilder in der Stadt Zug montiert.
Redaktion Tamedia veröffentlicht exklusiv eine Auswahl der Vergleichsbilder; die Beschreibung der Bilder basiert weitgehend auf den Texten des Historikers und Schriftstellers Michael van Orsouw.
Zeitbild 26: Zug, Rötel, 1938 / 29.09.2016


Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Amt für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Zug
Von der Industriestadt zum Dienstleistungszentrum
Vom Rötelberg bietet sich ein schöner Blick auf den nördlichen Teil der Stadt. 1938 war dieser Stadtteil ausgesprochen industriell geprägt: Nicht weniger als neun Fabrikkamine sind diesseits und vier jenseits der Bahnlinie erkennbar. Die bekanntesten Betriebe waren Landis & Gyr, Metallwarenfabrik, Distillerie Etter, Inducta und Untermühle. Damals arbeiteten die meisten Zuger in Industriebetrieben. Rund 45 Prozent der Arbeitsplätze fielen auf den industriellen Sektor.
Das aktuelle Bild zeigt keinen einzigen Fabrikkamin mehr, dafür umso mehr Büro- und Gewerbebauten. Der optische Wandel ist Ausdruck der veränderten Wirtschaftsstruktur. Anstelle der Fertigung von Industriegütern bringen heute Handel und Dienstleistungen Beschäftigung und Wohlstand. Und auch der Rötelberg wurde zu einem Teil der Stadt: Der ganze Hang hat sich zur begehrten und dementsprechend teuren Wohnlage entwickelt.
Zeitbild 21: Zug, Guggi, um 1930 / 21.09.2015
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Korporation Zug
Uptown und Parktower statt Neustadtquartier
1930 wohnten 11'113 Menschen in Zug. Die Aussicht vom Guggihügel geht in Richtung Nordwesten, wo sich die Neustadt ausbreitet. Das kompakte Stadtquartier entstand um die Jahrhundertwende: Die Gebäude atmen in etwa den gleichen Zeitgeist, sie sind mehrheitlich zwischen 1880 und 1930 erbaut worden.
Während in Zürich oder Luzern die Stadtteile aus dieser Epoche zu den begehrtesten Wohnquartieren zählen, ist in Zug die Neustadt fast komplett verschwunden. Neue Hochhäuser thronen nun als sogenannte Landmarks über der Stadt: links in der Herti die monumentale Haifischflosse des Hochhauses Uptown mit einer Höhe von 63 Metern, rechts beim Bahnhof der 81 Meter messende Parktower. Davor zwischen Post- und Bahnhofstrasse befinden sich die markanten Gebäuderiegel mit Steinhof, Kathrinenhof und Neustadt-Center.
Zeitbild 14: Zug, Bahnhofstrasse, um 1915 / 23.09.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Postkartensammlung Oskar Rickenbacher Zug
Wirtschaftsboom statt Bomben
Die Schweiz blieb vom Krieg verschont, dafür war es besonders in Zug der Wirtschaftsboom ab den 1960er-Jahren, der die Bahnhofstrasse im früheren Neustadtquartier komplett veränderte. Nach und nach verschwanden alle alten Gebäude. Auf dem Bild von 1915 ist links das Kaufhaus Monopol zu sehen. Es war das erste Warenhaus in Zug. Heute prägen neuere Bauten mit Stein-, Glas- und Metallfassaden die Strasse. Das Monopol wurde 1963 durch ein modernes Hochhaus ersetzt.
Zeitbild 5: Zug, Bahnhof-/Gartenstrasse, um 1900 /07.03.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Amt für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Zug
Bahnhofstrasse: «Eine Visitenkarte für das moderne Zug»
Etwas weiter vorne auf der Bahnhofstrasse Richtung See sind nochmals die historistischen Bauten aus dem 19. Jahrhundert zu sehen: das Eckhaus mit dem markanten Erker und der Nummer 21 für Fotograf und Kirschwasser-Destillateur Josef Schmidt vom Italienischen Keller von 1893/94, daneben die Nummer 19 für Stocker-Dossenbach von 1894, vermietet an Blums Bazar, dahinter die Nummer 17, das Verwaltungsgebäude der Sparkassa Zug von 1892. Schliesslich das kleinere Wohnhaus von 1886, die Nummer 15, sowie das Wohnhaus mit Werkstatt, die Nummer 13, von Schmied Alois Zehnder, der 1894 und 1896 Anbauten vornehmen liess.
Das aktuelle Bild zeigt eine komplett erneuerte Bebauung der Bahnhofstrasse. Sie soll «eine Visitenkarte für das moderne Zug» sein. Dennoch stellt sich weniger als noch vor hundert Jahren der Eindruck grosszügiger Urbanität ein.
Zeitbild 22: Zug, Baarerstrasse, 14. Juni 1932 / 23.08.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Staatsarchiv Zug
Hochhaus Glashof statt Glaserei
Die Baarerstrasse schliesst sich direkt an an die Bahnhofstrasse Richtung Baar. Hier hat sich das Stadtzentrum nach Norden entwickelt. Auf dem Bild von 1932 ist noch das Gleis der längst eingestellten Elektrischen Strassenbahnen Zug zu erkennen. Rechts oben sind das Türmchen und der Balkon des Gasthofs Bären sichtbar. Die linke Strassenseite ist trotz der Nähe zum Bahnhof erst wenig genutzt: Bäume, Zäune und Gärten dominieren das Bild. Mittendrin steht ein 1889 erbautes weisses Wohn- und Geschäftshaus. Hier befand sich eine Glashandlung, weshalb das Gebäude fortan Glashof hiess. Ab 1931 war hier auch die erste Migros-Filiale untergebracht, wie das Schild «Migros AG Zürich Fil. Zug» an der Strasse besagt. Ausser dem Gasthof hat kein Gebäude den Bauboom überlebt. Immerhin heisst das erste richtige Hochhaus Zugs, welches 1964/65 anstelle der einstigen Glashandlung entstand, noch Glashof.
Zeitbild 38: Zug, Baarerstrasse, 31. Dezember 1957 / 26.03.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Staatsarchiv Zug
Shopping-Center «Metalli» statt Metallwarenfabrik
Nochmals die Baarerstrasse, nun geht der Blick vom Gasthof Bären Richtung See und Rigi. Rechts ist der klassizistisch anmutende Giebelbau der Kirschbrennerei Paul Etter Söhne von 1926 zu erkennen. Dahinter befindet sich das wuchtige Hochhaus der Migros-Pensionskasse von 1956. Auf der linken Seite, hinter einem breiten Trottoir, ist die lange Backsteinfassade der Metallwarenfabrik von 1882 zu sehen. Die Gebäude nehmen sich etwas zurück, sie sind alle zurückversetzt und vermitteln das Gefühl, dass hier genügend Luft zum Atmen ist.
Auf dem heutigen Bild sind zwei Merkmale geblieben: die Rigi am Horizont und das Hochhaus der Migros-Pensionskasse. Ansonsten zeigen sich hier die Folgen von 60 Jahren Wirtschaftsboom. Die städtische Verdichtung hat um sich gegriffen. Die Vorgärten oder Vorplätze sind weg. Die Gebäude drängen zur Strasse, der teure Boden muss genutzt werden. Mitte der 80er-Jahre wurde die Metallwarenfabrik abgebrochen und durch das Einkaufszentrum Metalli ersetzt.
Zeitbild 46: Zug, Dammstrasse/Dammweg, 1972 / Dammstrasse/Dammweg, 24.09.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Zugerland Verkehrsbetriebe AG Zug
«Hinter den sieben Gleisen» war einmal
Zwischen diesen beiden Bildern liegen bloss 44 Jahre. 1972 war das Gebiet westlich des Bahnhofs kaum genutzt. Der schmale Weg entlang der Gleise war nicht einmal asphaltiert. Heute ist die Westseite des neuen, 2004 erstellten Bahnhofs einer der wichtigsten Zugänge. Immerhin blieben die einfachen Mehrfamilienhäuser von Anfang der 1950er-Jahre dank einem Volksentscheid erhalten.
Zeitbild 30: Zug, Dammstrasse/Gubelstrasse, 1948 / 06.09.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Amt für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Zug
Landis-&-Gyr-Gebäude – früher von Gemüse, heute von Wolkenkratzern umgeben
Die Landis & Gyr ist während Jahrzehnten die grösste Arbeitgeberin in der Stadt Zug. Das neue Verwaltungsgebäude aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs trotzt der Rationierung und spiegelt stolz das Selbstbewusstsein des Zuger Konzerns. Rund um das Gebäude herum befinden sich nur freie Wiesen, Bäume, sauber gestutzte Hecken und grosszügig angelegte Gartenbeete. Wie anders wirkt die Situation heute: Wir wähnen uns mitten in einem hochverdichteten, urbanen Raum. Vorne ragt das 25-geschossige Hochhaus Parktower von 2014 in die Höhe. Trotz seines Namens ist von einem Park nichts zu sehen, höchstens eine Grünhecke im Verkehrskreisel.
Zeitbild 16: Zug, Kolinplatz, um 1920 / 22.03.2016
Quelle: Farbbilder: DNS-Transport/Regine Giesecke; Schwarzweissbilder: DNS-Transport/Archiv Amt für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Zug
Wo das alte Zug weitgehend erhalten blieb
Auf dem unteren Kolinplatz in der Altstadt hat sich vergleichsweise wenig verändert. Zwar dominiert längst der Verkehr den freien Raum zwischen den Häusern, und deshalb ist der Kolinplatz ein Nadelöhr. Doch im Gegensatz zur Neustadt blieb die Altstadt vergleichsweise gut erhalten. «Unbestritten als Baudenkmäler gelten in Zug die alten Kirchen, die Befestigungstürme mit den Stadtmauern, der Zytturm, die Burg, der Zurlaubenhof, die Stadt- und Kantonsbibliothek sowie die Altstadt mit ihren Häusern und Gassen», sagt Josef Grünenfelder, der von 1974 bis 1987 der erste Denkmalpfleger des Kantons Zug war. Das sei typisch Zug: «Daran hängt das Heimatgefühl, damit kann man auch werben.»Buchhinweis:
«Zeitbild: Zug, 1873–2016», herausgegeben von DNS-Transport Zug (Ueli Kleeb & Caroline Lötscher), 244 Seiten, Hardcover, gebunden, mit 100 Bildtafeln. Preis 49 Fr., erhältlich ab 13. Januar bei Bücher Balmer in Zug.
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