Bedrohte Schatzkammern
Wenn es so weitergeht, hat Zürich bald keine Videothek mehr. Jetzt steht auch der Filmriss vor dem Aus. Ein Hilferuf und eine Liebeserklärung an eine aussterbende Branche.

Seit Anfang Woche steht im Schaufenster der Videothek Filmriss in Wiedikon auf mehreren Blättern: «Totalausverkauf». Und anders als bei manchem Teppichhändler ist dies leider kein Marketinggag, sondern das grafische Abbild des grossen Videothekensterbens, das auch vor Zürich nicht haltmacht. Findet sich nicht doch noch ein grosser oder eine Gruppe kleinerer Sponsoren, muss der Filmriss am 30. Juni 2017 nach fast zwei Jahrzehnten seine Türen schliessen. Oder wie es Inhaberin und Geschäftsführerin Liliane Forster in ihrem Rundmail an die Kunden formulierte: «Wir werden weggeklickt.»
Bis Mitte der Nullerjahre war Zürich noch Boomtown in Sachen Videotheken. Die längst untergegangene City-Video-Kette eröffnete damals gleich hinter dem Hauptbahnhof eine riesige, pompös dekorierte Filiale auf zwei Etagen, und auch der Filmriss florierte. «An unserem alten Standort an der Aemtlerstrasse war der Andrang nicht selten so gross, dass die Kunden auf dem Trottoir Schlange standen», sagt Liliane Forster. 2005 zügelte sie den ganzen Laden deshalb an die Gutstrasse. Den ersten Knick gabs 2007, als immer mehr Leute anfingen, Filme von illegalen Websites herunterzuladen. Dramatisch wurde es 2012, und seit letztem Herbst gehen nur noch so wenige Filme über die Theke, dass Forster eigentlich keine andere Möglichkeit mehr sieht als die Schliessung.
Für Liebhaber besonderer Filme
Dabei war und ist der Filmriss neben Les Videos an der Zähringerstrasse der Ort für Liebhaber besonderer Filme in der Stadt, eine Adresse, die man kennt. «Die Videothek mit fachkundiger Beratung, der Treffpunkt aller Filmfreaks, die Quartieroase zum Plaudern, die Auffangstelle für Witwen und Singles, der spät offene Kiosk der Raucher in Not, die schönste und liebste Videothek der Welt», nennt die im Quartier wohnhafte Musikerin Nadja Zela den Shop. Sie gehörte zu den Ersten, die via Facebook zur Rettung aufrief.
Rund 18'000 Namen stehen in der Filmriss-Kundenkartei. «Das ist aber leider nur noch eine theoretische Zahl», sagt die Chefin. Wäre es nicht eine Idee gewesen, wie die Kollegen von Les Videos eine Art Flatrate einzuführen, bei der die Abonnenten jährlich 365 Franken bezahlen und dann so viele Filme ausleihen dürfen, wie sie wollen? «Nein, das hätte die negative wirtschaftliche Entwicklung in unserem Fall nur noch zusätzlich beschleunigt. Einige Stammkunden geben diesen Betrag bei uns in einem Monat aus. Was uns fehlt, ist die Laufkundschaft, die es früher gab», führt Liliane Forster aus.
Dass Videotheken eine aussterbende Spezies sind, ist nichts Neues. Wenn es wieder eine erwischt, schmerzt es die Nostalgiker gleichwohl empfindlich. «Ich habe auf die Ankündigung der Schliessung hin zahlreiche Mails und Anrufe erhalten», erklärt Liliane Forster. «Darunter waren auch einige selbstkritische Voten von ehemaligen Stammkunden, die zugaben, inzwischen auch die bequemeren Internetdienste zu nutzen.» Es ist ein wenig wie beim Wählen und Abstimmen. Das grundsätzliche Interesse ist da, die Bequemlichkeit meistens aber stärker.
Nur warme Worte von der Stadt
Rund 20'000 Filme umfasst das Filmriss-Sortiment, darunter sind auch viele DVDs, die nicht mehr erhältlich sind. Es verschwindet also nicht nur eine Videothek, sondern ein Stück Stadtkultur, eine filmische Bibliothek. Wer als Student einmal ein Buch aus der Zentralbibliothek verloren hat, weiss, welche Konsequenzen das seitens der Hüter dieser Güter hat. Den Filmriss aber, der sich so grosse Verdienste um die Pflege nicht kommerzieller Filme erworben hat, lässt die Stadt langsam sterben. «Die finanzielle Unterstützung eines erfolgsorientierten Unternehmens wie der Filmriss GmbH ist aufgrund der kulturpolitischen Vorgaben nicht möglich», teilte die Verantwortliche für die Filmförderung der Stadt Zürich der um Hilfe bittenden Liliane Forster mit. Im Namen der eigentlich angeschriebenen Stadtpräsidentin Corine Mauch liess sie ausrichten, «dass aus städtischer Sicht das Verdienst von Filmriss im Bereich der Vermittlung von herausragenden Werken der Filmgeschichte unbestritten ist». Das mag sogar ehrlich gemeint sein, für Forster wars nur eine weitere geplatzte Hoffnung.
Die Formulierung «erfolgsorientiertes Unternehmen» ist im Zusammenhang mit dem Filmriss leider ein zünftiger Euphemismus. «Seit über einem Jahr zahle ich mir keinen Lohn mehr aus», sagt die Inhaberin. «Als ich kürzlich an einem Wochenende nachsah, wie viele von unseren 20?000 Filmen verliehen waren, kam ich auf gerade einmal 73.» Damit lasse sich noch nicht einmal die Miete bezahlen. «Hätte ich nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden, gäbe es meinen Laden schon lange nicht mehr.»
Es scheint, als sei das Kulturgut Videothek ohne Zuschüsse von aussen nicht mehr am Leben zu halten. Nachdem es erst jene Läden erwischte, die zuvor mit Blockbustern und hinter farbigen Vorhängen versteckten Pornos um Kundschaft warben, fressen das Internet und Pay-per-view-Angebote in der digitalen TV-Welt nun auch die wertvollen Vertreter der Branche.
Aus der Videothek Sphinx an der Kanzleistrasse ist wegen des gewaltigen Umsatzeinbruchs schon vor Jahren ein Mix aus Weinhandlung, Bar und Filmverleih geworden. So retteten die Betreiber, was zu retten war. Ausserhalb der Stadt versuchten es einige damit, ihre Läden zu Kiosken mit einem mehr oder weniger breiten Videoangebot umzugestalten; am Ende der Geschichte stand trotzdem fast immer die Geschäftsaufgabe.
Was sicher bleiben wird, sind all die Geschichten rund um das Videothekenbusiness. Wie jene meines Freundes Daniel, der seinem Chef nach einer Schicht erklären musste, wie der damals noch sündhaft teure DVD-Player aus dem Laden verschwinden konnte. Ein Mann hatte sich über das von ihm selbst absichtlich herbeigeführte Chaos bei den Nummernkärtchen der Pornos beklagt, und als Daniel diese im hinteren Teil des Ladens wieder ordnete, packte der Dieb das Gerät vorne in eine Tasche und verschwand.
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