Beim Schmuggel kennt er keine Grenzen
Lucien Ingivel hat ein Museum mit Tausenden von Verstecken errichtet. Eine ganz besondere Rolle spielen zwei Feuerzeuge.
Alles begann mit einem Feuerzeug. Ordinär, aus blauem Plastik, scheinbar harmlos. Lucien Ingivel hält es zwischen Daumen und Zeigefinger. Eine Geste, mit der er die Banalität des Gegenstandes unterstreicht. Der 42-jährige Grenzwächter erinnert dabei an einen Zauberer, der seinem Publikum Sand in die Augen streut. Er kennt den Effekt seines blauen Feuerzeugs. Es ist das erste von tausend «Verstecken», das er in den vergangenen drei Jahrzehnten gesammelt hat – und verbirgt in einem doppelten Boden ein Fläschchen aus Glas, darin ein Gramm Kokain.
In der denkmalgeschützten Villa beim Bahnhof von Lyss BE hat der Grenzwächter sein Schmuggler- und Spionagemuseum errichtet und organisiert darin Führungen. «Ich bin der erste Grenzpostenchef des Röstigrabens», sagt er. Dank der finanziellen Unterstützung seiner Eltern – die Mutter Glarnerin, der Vater Franzose, beides Berufsmusiker – erstand er vor drei Jahren das kleine Anwesen und zügelte sein Museum und sein Zuhause von Genf nach Lyss.
Neugierig bleiben ab und an Passanten mit ihren Kindern auf dem Weg zum Bahnhof an Ingivels Gartenzaun stehen – fasziniert von der Szenerie, die einem lebensgrossen Wimmelbild gleicht: ein Grenzwächterhäuschen, Grenzsteine in allen Grössen, etliche Zollschranken, ein kleines U-Boot. «Damit transportierten die Schmuggler Marihuana durch den Genfersee», sagt der Hausherr. Er hat den Einplätzer vor einigen Jahren selbst getestet und durchquerte darin den Lac Léman gemeinsam mit seinem Hund – zum Ärger der Behörden. Ingivel grinst.
Der Trick mit der schmutzigen Unterhose
Unweit steht ein schwarzer Citroën-Oldtimer in einer Ecke, in einer anderen ein VW neben einem Mazda. «Systemfahrzeuge», sagt Ingivel fachmännisch. Fahrende Verstecke, in denen Drogenkuriere bis zu 30 Kilogramm Rauschgift über die Grenzen brachten. Nur wer bestimmte Instrumente der Wagen in der richtigen Reihenfolge bediente, konnte das geheime Lager öffnen. «Zum Beispiel kuppeln, die Heizung und dann den Ventilator einschalten – und der Deckel des Verstecks springt auf», sagt der Grenzwächter, der am Flughafen Genf dienstet.
Ungeduldig tritt Ingivel dabei von einem Fuss auf den anderen. «Das ist noch nichts besonderes. Das Museum ist drinnen.» Drinnen, da stellt der Mann mit gedrungener Statur aber nicht nur in zwanzig Räumen sein Sammelsurium aus der Welt der Schmuggler und der Spione zur Schau. Da blüht er auf. Da wird der Verhaltene gesprächig, trägt ausführlich die Geschichte der Schmuggler vor, zeigt anhand von präparierten Schaufensterpuppen, wie sie Zündhölzchen über die Grenzen schafften, präsentiert die Gürtelschnalle aus dem Zweiten Weltkrieg, die vier Schüsse abgeben kann.
Drinnen, da hält er dreist seinem Publikum eine weisse Männerunterhose unter die Nase, in deren Schritt ein Drogenversteck eingenäht ist. Beobachtet amüsiert, wie die braunen Schmierereien auf der Rückseite der Schlüpfer die gewünschte Wirkung haben und seine Besucher angeekelt zurückweichen. «So wollen die Schmuggler erreichen, dass die Grenzwächter die Finger von ihrem Versteck lassen.» Da erzählt der Hausherr, wie er seit Jahrzehnten in Altwarengeschäften aller Herren Länder Raritäten mit Verstecken aufstöbert. Und dass sich zuweilen nicht mal die Ladenbesitzer bewusst sind, dass Kostbarkeiten in ihren Schaufenstern stehen. Etwa jener Antiquar, der nicht ahnte, dass sich der Griff eines schlanken Dolches abschrauben lässt und sich darin Edelsteine verbergen. Drinnen, da wohnt aber auch Lucien Ingivel in drei Zimmern, gemeinsam mit seinem «grössten und schönsten Fang», seiner Frau Maria und den zwei Kindern.
Ein Heiratsantrag unterden Briefmarken
Die Spione aus der Zeit des Ersten Weltkriegs dienten Ingivel als Vorbilder, als er um Marias Hand anhielt. Im vergangenen Juni schickte er seiner Angebeteten eine Postkarte mit einer für alle sichtbaren Liebeserklärung. Sie aber wusste, dass da für gewöhnlich mehr war und hob die beiden Briefmarken. Tatsächlich stand da in kleinster Schrift, mit einem Herz versehen: «Maria, willst du mich heiraten? Ich liebe dich. Dein Lu.» Unter der anderen Marke die möglichen Antworten: «Ja», «Nein», «Wer bist du?» Ohne es zu wissen, legte der Pöstler vier Tage später die Antwort in Ingivels Briefkasten. «Ja, ich will dich heiraten. Ich liebe dich sehr, mein Lu» stand da – von der Marke kaschiert. Die beiden Postkarten sind im Museum ausgestellt, mit zig Sendungen aus längst vergangenen Zeiten. Alle mit geheimen Botschaften in der linken oberen Ecke versehen.
Genauso wie diese Nachrichten bleiben etliche Schauräume dem Besucher verborgen. Wäre da nicht der Hausherr, der hier durch einen Schrank marschiert, dort ein Regal zur Seite klappt oder da eine Bücherwand aufschiebt. Die versteckten Zimmer gehören nicht nur zur Show, sondern dienen auch der Sicherheit, denn in der Sammlung steckt Ingivels ganzes Vermögen. «Einbrecher haben es hier nicht leicht», sagt er und schmunzelt verschmitzt.
Eines der spektakulärsten Ausstellungsstücke, das Ingivel aber gut versteckt, scheint auf den ersten Blick fast so banal wie das blaue Feuerzeug: ein Bild der verschneiten Stadt Zürich. In sich hat es die mehrheitlich weisse Farbe des Schneebilds. Der Künstler, dem Ingivel das Werk abgekauft hat, mischte ihr Kokain bei. Zuletzt führt der Hausherr in einen Raum mit einer einzigen Vitrine, darin ein einziger Gegenstand: ein Feuerzeug. Distinguiert, aus 18-karätigem Gold – und alles andere als harmlos. Ingivel hat es in Deutschland ersteigert. Den Preis will er nicht verraten, nur so viel: «Angefangen zu bieten habe ich bei 18'000 Franken.»
Das goldene Feuerzeug und sein Geheimnis
Einige Male schnellte seine Hand in die Höhe, bis er «das Bijou» sein Eigen nennen konnte. Es stammt aus der Werkstatt des Westschweizer Luxus-Juweliers Piaget, der es 1968 für einen amerikanischen Öl-Milliardär anfertigte. Und dieses Feuerzeug läge nicht in Ingivels Museum, wenn es nicht ein Geheimnis hüten würde: Durch die Goldummantelung für Röntgengeräte unsichtbar, versteckt sich darin eine kleine Schusswaffe, Kaliber 22. Eine schlichte Gravur tarnt den Auslöser.
Vor Jahrzehnten hat Lucien Ingivel seine Sammlung mit einem Feuerzeug begonnen, und für ihn steht fest: Vor drei Jahren hat er sie mit diesem Feuerzeug gekrönt.
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