Besser als die Besten – bis in Åre alles zerbarst
Vor 24 Jahren rutschte Slalomfahrer Thomas Fogdö aus, prallte gegen einen Baum – und sein Leben lag in Trümmern.

Als er da sass und die Hose nicht anziehen konnte. Als er eine Liste mit Dingen aufstellte, die er noch machen wollte im Leben, aber drei Viertel davon streichen musste. Als er sich verirrte in den Gedanken, nach Zielen, Aufgaben, Hoffnung suchte, und nichts davon fand. In jenen Momenten stürzte Thomas Fogdö in ein tiefes Tal, der freie Fall schien kein Ende zu nehmen.
Fogdö, einst der beste Slalomfahrer der Welt, läuft noch immer, aber nur in den Träumen, und diese werden seltener. Er sitzt im Rollstuhl, morgen jährt sich der Tag zum 24. Mal, an dem die Laune des Schicksals ihm übel mitspielte. Während dem Training in Are wechselte er die Piste, er schnallte die Ski ab, um eine Abkürzung zu nehmen, und dann: «Dann geschah es», sagt er nur. Auf einer Eisplatte verlor der Schwede die Balance. Er rutschte den Berg hinab. Bis ihn ein Baumstumpf stoppte. Und sein Leben in Trümmern lag.
Fogdö ist zurück am Ort, an den er jeden Tag denkt, an den er immer denken wird. Zum Baumstumpf ist er nie mehr zurückgekehrt, aber er weiss noch genau, wo dieser lag. Er hat aufgehört zu fragen, warum er nicht einen Meter weiter links oder rechts hatte hinunterfallen können, warum es ihn hatte treffen müssen. «Das war ein Lernprozess, der Jahre dauerte», sagt Fogdö. Es sei eine Frage der Perspektive, wie mit solch einem Vorfall umgegangen werde, «wäre es kein Stumpf gewesen, sondern ein ganzer Baum, hätte ich den Unfall wohl nicht überlebt».
Euphorie und Depression
Fünf Slaloms gewann der 48-Jährige in seiner viel zu kurzen Karriere. 1993 entschied er den Disziplinenweltcup für sich, er war besser als die Tombas, Girardellis, Aamodts. Auf einmal war alles vorbei, mit 24, und für Fogdö begann mit gebrochener Wirbelsäule und Querschnittlähmung eine Phase der Schwermut. Über drei Jahre lang sei er sehr traurig gewesen, er schwankte zwischen sanfter Euphorie, wenn er sich anschickte, selbstständiger zu werden, und schwerer Depression, wenn er realisierte, wie hilflos er doch immer noch war.
Viel härter als gedacht sei dieser 24-Stunden-Kampf Tag für Tag gewesen, sagt Fogdö. «Der Unfall hat mich psychisch beinahe zerstört.» Doch er stellte sich seinen Ängsten, arbeitete bald als TV-Experte, er war nun einfach der, der sass, die anderen waren die, die standen. Es fühlte sich gut an, dazuzugehören, aber als er jeweils heimkehrte von den Rennen, wurde es dunkel in ihm. So ging es lange, Fogdö war orientierungslos, aber er kämpfte sich auf den richtigen Weg zurück. «Ich lernte in dieser Zeit, über Gefühle zu reden, Gefühle zuzulassen. Das war mir total fremd gewesen.»
Stiftung und Prävention
Ein wenig gedankenverloren wirkt Thomas Fogdö, wobei er keineswegs verbittert ist. Er redet nichts schön, sagt mehrmals, er würde fast alles dafür geben, wieder laufen zu können, weil alles viel einfacher würde. Doch Fogdö hat aufgehört, darauf zu hoffen – vielmehr hat er sich arrangiert, sich neu ausgerichtet. Er unterhält die «Actif Life Foundation», eine Stiftung für verletzte Sportler, denen mit finanziellen Zuschüssen geholfen werden soll und an die appelliert wird, sich abzusichern. Fogdö sagt, er sei sorglos durchs Leben gegangen, zu sorglos, eine Ausbildung machte er nicht.
Viele Sportler würden zu wenig an die Zeit nach der Karriere denken, «mir geht es darum, sie zu sensibilisieren, dass sie vorsorgen. Nach einer schlimmen Verletzung stürzt das ganze Fundament ein, da bleibt keine Energie übrig, sich mit existenziellen Fragen zu beschäftigen.»
In Are ist Fogdö auch Botschafter einer Firma, die für Sicherheit im Strassenverkehr kämpft. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für die Unfallprävention einzusetzen. Nach der WM wird er wieder Seminare halten, über sein Leben referieren, als Mentalcoach arbeiten. Zu seinen Klienten zählen primär Skifahrer, Junioren wie Profis, Namen will er keine verraten. Mit der Szene ist der zweimalige Olympiateilnehmer also in Verbindung geblieben, wobei es mühsam werden kann mit dem Rollstuhl im Schnee, «es gibt schon Hürden, die sich ein Fussgänger nicht ansatzweise vorstellen kann».
Drei Kinder und das Chaos
Selber Ski gefahren ist Fogdö bis heute nicht mehr. Zunächst schwor er sich, es nie mehr zu tun, aus Selbstschutz, mittlerweile denkt er anders darüber, er will es mit dem Mono-Ski versuchen, irgendwann.
Er könnte seine neunjährigen Töchter begleiten, deren drei sind es, welche sein Leben bereichern. Mit Gattin Anna hatte er sich Kinder gewünscht, aber es wollte nicht klappen, im Sommer 2009 endlich durfte das Paar die kleine Saga bald nach deren Geburt adoptieren. Und weil die Launen des Schicksals auch wunderbar sein können, wurde Anna kurz darauf schwanger, am Tag vor Heiligabend kamen Zwillinge zur Welt. Fast aus dem Nichts waren drei Mädchen im Haus, Chaos herrschte, und Fogdö machte sich Gedanken: Was, wenn ein Kind von der Schaukel fällt und ich nicht helfen kann? Wenn es auf die Strasse läuft, und ich es nicht stoppen kann?
Fogdö hat Wege gefunden, wie er damit umgehen muss, hat gelernt, Hilfe anzunehmen.
Als es ihm gelang, sich erstmals selbst die Hose anzuziehen, fühlte er sich wie nach einem Weltcupsieg.
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