Betriebsanleitung für den Frauenstreik
Wie können Beschäftigte am kommenden Freitag am landesweiten Aktionstag teilnehmen? Rechtlich ist die Frage knifflig. Die Unternehmen drängen: Wer streiken will, soll freinehmen.

Der Streik ist die schärfste Waffe in einem Arbeitskampf. In einem konsensorientierten Land wie der Schweiz ist er entsprechend selten. Zwischen 2008 bis 2016 führten Streiks hierzulande gerade mal zu 1 Arbeitstag Ausfall pro Jahr je 1000 Arbeitnehmer. Mit diesem Wert liegt die Schweiz an der Weltspitze: Nur in der Slowakei und in Japan gibt es noch weniger streikbedingte Arbeitsausfälle, nämlich 0 Tage. Weltmeister mit 123 ausgefallenen Arbeitstagen ist Frankreich.
Allein diese Statistik macht den Frauenstreik, der am kommenden Freitag angesetzt ist, zu einem besonderen Tag. Nimmt man das Medieninteresse als Indikator, so dürfte die Mobilisierung gross ausfallen – und das nicht nur bei Frauen. Doch ist der Frauenstreik überhaupt ein Streik? Was müssen Angestellte beachten, wenn sie am Freitag die Forderungen nach Lohngleichheit, dem Ende von Diskriminierungen und sexuellen Übergriffen unterstützen wollen?
Rechtliche Grauzone
Nach Auffassung von Arbeitsrechtlern bewegt sich der Frauenstreik in einer rechtlichen Grauzone. Das Recht auf Streik ist zwar seit 1999 in der Bundesverfassung verankert. Als Bedingung für einen rechtmässigen Streik gilt aber unter anderem, dass der Ausstand Ziele verfolgt, die durch einen Gesamtarbeitsvertrag geregelt werden können.
Solche Ziele enthält der Forderungskatalog des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes durchaus – zum Beispiel die Forderung nach Lohnanalysen. Die Liste enthält aber auch allgemeine Forderungen wie zum Beispiel die «Beweislasterleichterung bei sexueller Belästigung».
«Der Frauenstreik ist primär als politischer Streik zu sehen, denn die Forderungen etwa zu mehr Lohngleichheit richten sich nicht an ein bestimmtes Unternehmen oder eine bestimmte Branche», urteilt Sara Licci, Dozentin für Arbeitsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie fügt an: «Aber es kann auch sein, dass es Frauen gibt, die zu einer Gewerkschaft gehören, die nach Verhandlungen zu bestimmten in einem GAV zu regelnden Punkten mit der Arbeitgeberseite zur Beteiligung am Frauenstreik aufgerufen haben. Dann könnte es sich für sie um einen Streik handeln.»
«Die Forderungen etwa zu mehr Lohngleichheit richten sich nicht an ein bestimmtes Unternehmen.»
Angesichts der nicht ganz eindeutigen juristischen Lage raten Experten dazu, für die Teilnahme am Frauenstreik einen Tag freizunehmen und dies vorab mit dem Arbeitgeber zu klären. «Mein Eindruck ist, dass Arbeitgeber sich hier flexibel zeigen werden – die meisten bereiten sich auf den 14. Juni vor. Unternehmen haben ein Reputationsrisiko, sollten sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht entgegenkommen beim Frauenstreik», sagt Licci.
Wer, ohne freizunehmen, der Arbeit fernbleibt, riskiert Ärger. Denn dies dürfte als Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber gewertet zu werden. Dann drohen den Betroffenen Sanktionen wie ein Verweis oder gar die Kündigung. Eine Entlassung wäre in diesem Fall zulässig, meint Kurt Pärli, Professor für soziales Privatrecht der Uni Basel. Anders sieht es wieder aus, wenn Betroffene nur zeitweise die Arbeit niederlegen. Hier wäre eine Kündigung wohl unverhältnismässig. Diese Frage ist aber noch nicht durch Gerichte abschliessend geklärt.
Eine Stichprobe bei Grossunternehmen wie Migros, UBS, Roche, ABB oder Post ergibt, dass die meisten Firmen ihre Angestellten auffordern, für die Teilnahme am Frauenstreik freizunehmen. «Möchte eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter am Frauenstreik teilnehmen, kann sie/er dies tun, muss jedoch einen Ferientag beziehen oder im Rahmen der Jahresarbeitszeit kompensieren», heisst es zum Beispiel bei der UBS.
Die Warnung der Migros
Auch die Migros empfiehlt ihrem Personal, die Teilnahme mit den Vorgesetzten abzusprechen und dafür einen freien Tag zu nehmen. «Wenn jemand unentschuldigt nicht zur Arbeit erscheint, liegt es im Ermessen des/der Vorgesetzten, ob er/sie die üblichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen einleitet», teilt die Migros mit, die mit über 105000 Mitarbeitenden der grösste private Arbeitgeber der Schweiz ist. Frauenanteil: 61 Prozent. «Wir werden hier sicher nicht überreagieren», verspricht der Detailhändler.

Die Post gibt sich kulanter: «Wir werden keine disziplinarischen Massnahmen ergreifen», teilt die Medienstelle mit. Der nicht gearbeitete Tag werde aber nicht vergütet. Die SBB mahnen zwar, dass die Teilnahme am Streik, ohne freizunehmen, gegen die Friedenspflicht verstiesse. Mitarbeiter sollen daher freinehmen. Dennoch wollen die Bundesbahnen «keine Sanktionen ergreifen».
Die befragten Unternehmen betonen unisono, dass ihnen das Thema Gleichstellung wichtig sei. Und sie verweisen auf ihre multiplen Aktivitäten in dem Feld: Die Zurich-Versicherung zum Beispiel lässt sich von einem externen Unternehmen zertifizieren, dass es keine Lohndiskriminierungen gibt. Die Migros wiederum betont, dass der Anteil Frauen im Kader «über 30 Prozent» betrage. Dennoch sind Schweizer Unternehmen bei der Gleichstellung sicher noch nicht am Ziel.
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