Betrugsaffäre erschüttert Liechtenstein
Der ehemalige Präsident des Staatsgerichts soll bis zu 50 Millionen Franken veruntreut haben. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Damit ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen.

Harry G. war ein Mann, dem man sein Geld blind anvertraute. Der heute 69-jährige G. war in den höchsten Kreisen der Liechtensteiner Gesellschaft zu Hause und konnte einen beachtlichen Lebenslauf vorweisen: eigene Anwaltskanzlei, Treuhandfirmen, Präsident des Verwaltungsgerichts, dann Präsident des Staatsgerichts, daneben Präsident der Prüfungskommission für Treuhänder und Rechtsanwälte und zuletzt Vertreter des Fürstentums in der «Venedig-Kommission» des Europarates.
Mit seiner Karriere und seinem Ehrentitel «Fürstlicher Justizrat» stand G. stellvertretend für Seriosität und Verlässlichkeit des Finanzplatzes Liechtenstein: In Stiftungen und Firmen verwaltete er Millionen von Geldern aus- und inländischer Kunden, er legte die Ersparnisse seiner Freunde und Bekannten an, selbst seine Physiotherapeutin überwies ihm ihre Pensionsvorsorge – im Vertrauen auf eine besonders hohe Verzinsung. Und nun ist alles weg.
Die Ermittlungen laufen weiter
Bis zu 50 Millionen Franken habe G. veruntreut, schätzt die Staatsanwaltschaft Liechtenstein. Im September 2016 wurde der Treuhänder in Vaduz verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Am letzten Mittwoch wurde er wegen schweren Betrugs, Untreue und Geldwäsche zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft bezog sich allerdings nur auf Fälle nach dem Jahr 2010 und auf eine Schadenssumme von 13 Millionen Franken. Weitere Ermittlungen laufen noch. Sie dürften zu einem weiteren Prozess im kommenden Jahr führen. Der Fall G. wird für Liechtenstein damit vermutlich zum grössten je verhandelten Betrugsfall.
G. war zwar geständig und entschuldigte sich bei seinen Opfern, von denen einige das Verfahren im Saal verfolgten, «wütend, verärgert, aber auch traurig und verletzt», wie das «Liechtensteiner Vaterland» schreibt. Dennoch hat das Eilverfahren, das die Staatsanwaltschaft anstrengte, mehr Fragen offengelassen als beantworten können. ¨
Ein Getränk, das von innen her bräunt
Unklar ist zum Beispiel, wann genau G. damit begann, die ihm anvertrauten Gelder zu veruntreuen. Unklar ist auch, ob er selbst eine so starke kriminelle Energie entwickelte oder ob er zum Getriebenen wurde, verstrickt in einer verhängnisvollen Liebesbeziehung.
Laut Anklageschrift (die Redaktion Tamedia vorliegt) begann das Unheil mit G.s schwerer Krebserkrankung im Jahr 2003. Bei seiner Suche nach einer wirkungsvollen Behandlung traf der Liechtensteiner in Mailand auf eine junge brasilianische Neurologin. Sie habe ihn psychisch und physisch behandelt und damit seine Heilung ermöglicht, gab G. in den Verhören an. Möglicherweise geriet er dadurch in die Abhängigkeit der Ärztin. Jedenfalls stellt die Anklage fest, dass er in dieser Zeit seine Tätigkeit als Treuhänder und Rechtsanwalt immer mehr vernachlässigt habe. Die Umsätze sanken rapid, Mitarbeiter wurden entlassen, Rechnungen nicht mehr bezahlt.
Viel Zeit und Geld investierte G. hingegen in den Aufbau einer Gesundheits- und Kosmetikfirma gemeinsam mit der brasilianischen Ärztin. Sie wollten unter anderem ein Getränk namens «Sun Lover» auf den Markt bringen, das die Haut von innen zum Bräunen bringen sollte.
Dass G. die von ihm erwarteten hohen Gewinne nicht mit dem Staat teilen wollte, macht seine Firmenkonstruktion klar: Seine Kosmetikfirma in Mailand gehörte einer GmbH in Wien, diese wiederum einer Holding in Zypern und diese einer Familienstiftung, die G. zuzurechnen sei, so die Anklage. Freilich: Gewinne dürfte es keine gegeben haben. Ausgaben umso mehr. Aus Liechtenstein floss das Geld erst nach Italien, später auf ein Konto in Portugal. Die Ärztin soll ab 2010 insgesamt über 12 Millionen Franken erhalten habe. Wo die Frau und das Vermögen heute sind, ist unbekannt.
Darlehen nie zurückbezahlt
G. überwies zuerst das Vermögen seiner Familie und seiner Firmen. Als das nicht reichte, griff er auf das Geld seiner Kunden zu. Ein Beispiel: G. verwaltete die Stiftung einer reichen Spanierin, die ihr Vermögen ihren beiden Töchtern nach deren 30. Geburtstag zukommen lassen wollte. Im Herbst 2012 überwies der Treuhänder jedoch das Geld der Stiftung auf sein eigenes Konto und von dort weiter nach Portugal. Gegenüber der Stifterin versuchte er danach, die Entnahme als «Darlehen» zu rechtfertigen, das er gut verzinst zurückzahlen werde. Das geschah aber nie. 1,6 Millionen Euro verschwanden. Das Konto der Stiftung ist bis heute leer.
Nach den Kunden zapfte G. Freunde und Geschäftspartner an. Er holte sich von ihnen hohe Darlehen, weil er angeblich kurzfristig nicht liquid war oder Kosmetikprodukte vom Zoll holen musste. Stets bekam er das Geld. Von einem Geschäftsfreund, den G. seit den 80er-Jahren kannte, erhielt er im Laufe von vier Monaten in mehreren Tranchen ein Darlehen über 804'000 Euro. Dafür nahm der Geschäftsfreund sogar Geld aus dem Liegenschaftskonto seiner Ehefrau und liess das Ferienhaus in den Bergen oberhalb von Vaduz mit einer Hypothek belasten.
Auf Sicherheiten verzichteten die Kreditgeber. Ihnen genügte G.s Reputation. Ausserdem glaubten sie G., wenn er von seiner Eigentumswohnung im Zentrum von St. Moritz schwärmte oder sein Haus in Vaduz erwähnte. Nur: Die Wohnung in Graubünden gehörte ihm schon lange nicht mehr, und das Haus in Liechtenstein war zwangsversteigert worden. G. wohnte dort nur mehr zur Miete. Die Anklage spricht von einer «tristen finanziellen Lage».
Kredite mit Schulden bezahlt
Ab 2013 hatte G. praktisch kein Geld mehr. Um misstrauische Kreditgeber ruhigzustellen, zahlte er Geld zurück, das er wiederum bei anderen aufnehmen musste: Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Pyramidenspiel zusammenbrach. Dass G. sein System der Geldbeschaffung dennoch jahrelang aufrechterhalten konnte, hat viel mit der Beschaffenheit des kleinen Fürstentums und den engen familiären und geschäftlichen Banden seiner Bürger zu tun. Exekutionsanträge gegen G. und seine Firmen gibt es seit mehreren Jahren. Doch sie waren kein Anlass, beim «Fürstlichen Justizrat» genauer hinzusehen. Auf G.s Konto bei seiner Hausbank in Vaduz wurden Millionen Franken eingezahlt und ein paar Tage danach weitertransferiert. Hätte die Bank diese seltsamen Vorgänge nicht melden müssen? Sie mache zu Kundenbeziehungen «grundsätzlich keine Angaben», hiess es auf Anfrage.
Es habe Hinweise auf finanzielle und gesundheitliche Probleme bei G. gegeben, aber keine Anzeichen für irgendwelche Unregelmässigkeiten, sagt Ivo Elkuch von der Liechtensteinischen Treuhandkammer. Er sieht wegen eines Einzelfalls keine Veranlassung für eine kritischere Haltung: «Die zeitnahe Verurteilung, unabhängig vom Ansehen der Person, zeigt das einwandfreie Funktionieren von Justiz- und Strafbehörden. Der Finanzplatz Liechtenstein ist bezüglich Regulierung und Überwachung vorbildlich aufgestellt.»
Auch Finanzmarktaufsicht und Regierung sind der Meinung, dass «die Behörden umgehend und konsequent reagiert haben». Handlungen wie jene von G. «werden in Liechtenstein konsequent verfolgt». Trotz des schnellen Handelns der Justiz fürchtet allerdings der Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbands, Simon Tribelhorn, negative Auswirkungen auf die Reputation des Finanzplatzes: Im Land sorge dieser Fall für grosses Unverständnis und Empörung: «Leider lassen sich jedoch Missbrauchsfälle auch mit der besten Regulierung nicht hundertprozentig ausschliessen.»
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