Überall Promis, überall Vorfreude, und doch wirft der Volksauflauf vor dem Zürcher Theater 11 bange Fragen auf. Denn die Massen wollen das Musical «Mary Poppins» sehen. Das ist das magische Kindermädchen, das 1964 in der Disney-Version eine ganze Generation in seinen Bann schlug. Und diese Frau Poppins hatte im bodenlosen Handgepäck unter anderem zwei Lehrsätze dabei, von denen man sich fragen muss, ob es sinnvoll ist, wenn sie nun eine weitere Generation verderben.
Lektion 1:
Wenn man ein Löffelchen voll Zucker beifügt, schlucken die Schutzbefohlenen auch die bitterste Medizin. Bedenklich ist das nicht primär, weil es das Land in eine dentalhygienische Krise zu stürzen droht. Sondern weil es die vielen Regierungsvertreter auf der Gästeliste erklären könnte: Bundespräsidentin Doris Leuthard, Regierungsrat Mario Fehr, die Stadträte Filippo Leutenegger und Richard Wolff – setzen die etwa alle auf «Policy by Poppins»? «Ich schaue mir heute mal an, ob das funktioniert», sagt Leutenegger. So tönt doch kein Dementi! Mario Fehr beruhigt: Es kämen nur darum so viele Politiker zu «Mary Poppins», weil sie alle in einem Alter seien, in dem sie schöne Kindheitserinnerungen damit verbänden.
Lektion 2:
Man muss nur mit den Fingern schnippen, schon räumt sich das Kinderzimmer von selbst auf. Lässt sich das Fussvolk blenden von solchem Hokuspokus? Musiker Pino Gasparini («Swiss Lady»), im Job ein reger Schnipper, behauptet jedenfalls: «Das räumt die Musik auf.» Skeptischer ist Sängerin Stefanie Heinzmann, bei der das im Haushalt leider bisher nicht klappt. Erneut braucht es ein magistrales Wort der Aufklärung von Mario Fehr: «Die Schweiz lebt davon, dass die Leute hart arbeiten. Schnippen geht nur im Film.»
Man darf überhaupt Entwarnung geben: Den meisten sind von Mary Poppins keine pädagogisch fragwürdigen Lehrblätze in Erinnerung geblieben, sondern wenig konkrete Bilder von Heiterkeit. Und zwei politisch unverdächtige Details. Das erste wäre dieses Wort . . . wie ging das noch mal? «Supercalifragilisticexpialidocious», kommt es bei Schauspielerin Heidi Maria Glössner wie aus der Kanone geschossen. In perfektem Englisch. Glössner war 1964 als junge Frau in den USA und erinnert sich, wie man Julie Andrews in der Branche den Triumph als Mary Poppins gönnte, weil ihr im gleichen Jahr in ihrer Paraderolle als «My Fair Lady» Audrey Hepburn vor die Nase gesetzt worden war. Dabei konnte die gar nicht singen.
«Supercalifragilisticexpialidocious».
Als grosser Fan der Musical-Fassung von «Mary Poppins» entpuppt sich Walter Andreas Müller. Er hat sich sogar jahrelang insgeheim vorbereitet auf die Rolle des Kaminfegers, die er fürs Leben gern gespielt hätte – doch es kam nie ein Anruf. «Jetzt bin ich zu alt dafür.» Aber etwas könne er noch: «Supercalifragilisticexpialidocious». Etwas Luft nach oben hat im Vergleich die Performance von Gasparini, der die Browserhistorie auf seinem Smartphone abarbeitet: «Ich habe mich doch extra vorbereitet, man muss parat sein, gopf, wo ist es jetzt?» Derweil punktet Leutenegger, in Rom aufgewachsen, mit einem Erinnerungsfetzen, der überzeugend klingt – nach etwas aus der Gelateria: «Califradschili...»
Es ist ein anderes Detail von «Mary Poppins», das den meisten im Kopf hängen geblieben ist. Sogar bei Musiker Marc Dietrich (Peter, Sue & Marc). Er weiss nur noch etwas: «Am Schluss fliegt sie einfach davon.» Die fliegende Nanny – es ist auch das liebste Bild der Bundespräsidentin. Wir wollen das nicht überinterpretieren und nehmen an, sie sei per Auto heimgereist.
Mary Poppins, 1. Februar bis 19. März, Theater 11, ab 6 Jahren, in Englisch. www.musical.ch/marypoppins
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Bittere Pillen, süsse Erinnerungen
Bei der Prominenten-Premiere des Musicals «Mary Poppins» haben sich diverse Politiker als Fans des Kindermädchens geoutet. Wie soll man das bloss deuten?